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Ausstellung: Münchner Haus der Kunst zeigt Kunst im Kontext geistiger Behinderung

Ausstellung

Münchner Haus der Kunst zeigt Kunst im Kontext geistiger Behinderung

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    Felix Brenners Arbeit ohne Titel zeigt das Untersuchungsgefängnis Lohnhof.
    Felix Brenners Arbeit ohne Titel zeigt das Untersuchungsgefängnis Lohnhof. Foto: Repro Felix Brenner

    „Ich komme vom Mond. Da wollte man mich nicht haben, also wurde ich am 28.12.1955 in einer Vollmondnacht nach Basel geschickt.“ Felix Brenner ist um keinen schrägen Spruch verlegen. Und was ihm durch den Kopf saust, wird sofort durch den Kakao gezogen. Dann veräppelt er zum Beispiel Goethes Faust und hat – ach! – so manche Nacht mit dem Kopfsalat auf dem Tisch zugebracht.

    Für die Dadaisten ist Brenner tatsächlich ein paar Jahre zu spät in der Schweiz „gelandet“ – in seiner Vielseitigkeit steht er der legendären Künstlerbewegung aber in nichts nach. Aufregender als seine Wortspiele sind allerdings Brenners raumgreifende Bilder, die mit ihrer Wucht und in ihrer überbordenden Fülle gerade im Haus der Kunst bestens platziert sind. In mehrerlei Hinsicht.

    Die Teilnehmer des Euward kommen aus ganz Europa

    Felix Brenner gehört zu den drei Preisträgern des so genannten Euward, das ist die wichtigste Auszeichnung für Malerei und Grafik im Kontext geistiger Behinderung. Seit 2000 vergibt die Münchner Stiftung Augustinum diesen Preis alle drei Jahre; die Teilnehmer kommen aus ganz Europa. Beim achten Euward etwa haben 341 Künstler aus 22 Ländern Arbeiten eingereicht. Und die jeweiligen Ausstellungen sind stets ein besonders eindringliches Erlebnis.

    Nach zwei Gastspielen im Buchheim Museum in Bernried hat Andrea Lissoni diese Schau wieder an das von ihm geleitete Münchner Haus der Kunst zurückgeholt. Nicht in die Nebenkabinette, sondern in die zentralen Räume. Das ist ein Statement, und dazu passt vor allem auch das Werk des ersten Preisträgers 2021: Andreas Maus, der sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt.

    Andreas Maus Arbeit „Eine brennende Frau im Bombenhagel auf Deutschland 1940“ ist derzeit im Münchner Haus der Kunst zu sehen.
    Andreas Maus Arbeit „Eine brennende Frau im Bombenhagel auf Deutschland 1940“ ist derzeit im Münchner Haus der Kunst zu sehen. Foto: Repro Andreas Maus

    Dies geschieht in überschaubaren Formaten, doch deren Inhalte sind harter Stoff. Die meisten Blätter bersten beinahe vor Gewalt: Bomben, Feuer, monströse Fratzen, Foltergeräte, Konzentrationslager und immer wieder die Täter. Maus ist sich völlig im Klaren, welches Schicksal ihn im NS-Staat ereilt hätte. Darüber spricht er trocken, sachlich. Seine Bilder im Stil einer Graphic Novel dagegen schlagen einen exzessiven, anklagenden Ton an. Gerade wenn es um Anne Frank geht, die den 1964 in Köln geborenen Künstler tief beeindruckt. Einmal zeichnet er das Mädchen nackt und erklärt dazu sinnfällig: Man habe ihm doch alles genommen, um es am Ende auszulöschen.

    Manche Künstler verarbeiten negative Erfahrungen

    Andreas Maus ist wütend, das kann man auf Hunderten seiner Blätter sehen. Womöglich hilft ihm das Abarbeiten an den dunklen Kapiteln der deutschen Geschichte auch, mit der eigenen Vergangenheit fertig zu werden. Das heißt: Sie mit dem Kugelschreiber zu formulieren und in Hefte zu bannen. Gewalt und gesellschaftlichen Ausschluss kennt Maus aus seinen Jahren in der Jugendpsychiatrie.

    Auch Felix Brenner hat Erfahrungen mit dem Ein- und Weggesperrtsein. Mit dreizehn Jahren war er aus einem zerrütteten Elternhaus ausgebrochen, es folgten Drogen, dann Gefängnis, intensive Phasen als Politaktivist, Psychiatrie und schließlich Obdachlosigkeit. Sein Talent wird aber auch erkannt: Nach der Kunstgewerbeschule in Basel erhält er ein Stipendium und einen Atelieraufenthalt in New York. Brenner musste eine Art Odyssee überstehen, bis er 2001 in Altnau ankommt und dort seitdem eine Lithografie- und Radierwerkstatt betreiben kann.

    Kar Hang Mui zerstörte seine Bilder lange Zeit

    Und nun? Nun seziert Felix Brenner seine eigene Biografie und kombiniert sein x-fach wiedergegebenes Konterfei mit Porträts von Philosophen, Politikern, Wissenschaftlern. Was Brenner malt, zeichnet, tuscht, performt, fotografiert und lithografiert, ist wild und ungestüm. Tief in ihm sitzt der alte Bürgerschreck, der sich noch immer gerne an Pilzen berauscht. Selbstredend hat auch Albert Hoffmann, der LSD-Entwickler, ein schönes Bildnis bekommen.

    Ganz eigene, leuchtende Fantasiewelten malt dagegen Kar Hang Mui. Als Kind von Migranten aus Hongkong wurde der dritte Preisträger 1989 in den Niederlanden geboren, und auf seinen Zeichnungen findet man die Skyline der chinesischen Millionenstadt genauso wie reetgedeckten Hollandhäuser und mehr noch Berg- oder Urwaldlandschaften voller Vögel und Falter. Kar Hang Mui erkundet die Welt mit dem Buntstift, ungestört und unbedrängt.

    Lange Zeit zerstörte er seine Bilder – dies war auch bei Felix Brenner der Fall. Inzwischen kommen sie in Kar Hang Muis Schublade; damit sind sie für ihn ad acta gelegt. Gut, dass es dabei nicht blieb. Und das gilt in gleichem Maße für die Kollegen-Werke, die Sabine Brantl vom Haus der Kunst und Klaus Mecherlein von der Stiftung Augustinum in einen anregenden Rhythmus brachten.

    Selten geht man so bereichert aus einer Ausstellung wie aus dieser im Haus der Kunst. Der gesundheitliche Hintergrund der Künstler tritt vollkommen in den Hintergrund.

    Mit Arbeiten von Felix Brenner, Andreas Maus und Kar Hang Mui: „Euward 8“ – bis 15. August im Haus der Kunst München, Mo./Mi./So. von 10 bis 18 Uhr, Do. von 10 bis 22 Uhr, Fr./Sa. von 10 bis 20 Uhr. Ausstellung als 360-Grad-Schau sowie Filmporträt von Cyrill Lachauer auf www.euward.de.

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