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Ausstellung: Erwin Olaf in der Hypo-Kunsthalle: Geruch eines bösen Zaubers

Ausstellung

Erwin Olaf in der Hypo-Kunsthalle: Geruch eines bösen Zaubers

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    "Im Wald. Auf dem See." aus dem Jahr 2020.
    "Im Wald. Auf dem See." aus dem Jahr 2020. Foto: Erwin Olaf

    Rau ist diese Waldlandschaft und zugleich in sanften Nebel gehüllt. Winzige Figuren sind im Dickicht auszumachen, mal mit Tornister, mal mit Reisetasche – wie Wanderer, die vom Weg abgekommen sind und in Schockstarre versetzt wurden. Man riecht schon den bösen Zauber. Und wären da nicht Alltäglichkeiten wie Smartphones, Plastikflaschen und Einkaufstrolleys, man könnte auf die Märchenwälder der Brüder Grimm kommen, wo hinter jedem Strauch was lauert.

    Der Fotograf Erwin Olaf ist in Deutschland bisher kaum bekannt

    Erwin Olaf hat wieder konstruiert, das heißt, mit den Mustern gespielt, die in unseren Gehirnen sitzen. Bei ihm ergibt das fantastische Geschichten, und im Wettersteingebirge nahe Garmisch scheint der niederländische Fotograf die ideale Kulisse für seine jüngste Serie gefunden zu haben: die Wucht der Berge und der Wälder, die dem Menschen Grenzen aufzeigen und an die Seelenlandschaften der Romantiker anknüpfen. Die Retrospektive in der Kunsthalle München endet mit diesen betörenden, verstörenden Bildern. „Unheimlich schön“ lautet ihr Titel.

    Doch zunächst irritiert die Tatsache, dass Erwin Olaf in Deutschland kaum bekannt ist. In seiner Heimat gehört er zu den Stars der Kunstszene, und wenn die königliche Familie auf ihrer Webseite „holland.com“ richtig gut rauskommen will, steht Erwin Olaf hinter der Hasselblad. Mittlerweile ist das eine Ausnahme, allerdings verdeutlicht die royale Charme-Attacke, weshalb man diesem Lichtbildner so leicht auf den Leim geht. Es ist die perfekte Oberfläche, das hochästhetisch Artifizielle – für Sekunden. Dann realisiert man, dass in der vermeintlichen roten Brosche ein Messer steckt und ein „Sisi“-Zombie (1997) auf seine Todesursache anspielt. Nichts ist so schön, wie es ausschaut.

    "Unheimlich schön": Nichts wird bei Erwin Olaf dem Zufall überlassen

    Den letzten technischen Schliff mag sich der Autodidakt in der Werbebranche angeeignet haben. Shootings für Louis Vuitton und Levi’s haben ihm seine unabhängige künstlerische Arbeit ermöglicht. Doch der 1959 in Hilversum geborene Erwin Olaf Springveld – so sein eigentlicher Name – will von 08/15-Idealen nichts wissen. Und noch weniger von klassischen Geschlechterrollen. Bei ihm war Diversität lange schon in Serie gegangen, bevor darüber in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurde. „Jeder Einzelne hat es verdient, gesehen zu werden“, lautet sein Credo. Und er weiß, was das für die „Unsichtbaren“ bedeutet. Selbst homosexuell, engagierte sich Olaf bereits in jungen Jahren für Gleichberechtigung und provozierte: mit wilden Nachtgestalten und Selbstporträts, meist nackt und in bizarren Posen.

    In der Folge „Chessmen“ (1987/ 88) ist dieses fast schon manierierte Arrangieren auf einen albtraumhaften Gipfel geführt. Ein behelmter Kleinwüchsiger trägt wie Atlas den Bauch einer Schwangeren auf den Schultern. Ein Beau mit hohen Hacken mutiert durch sein Hirschgeweih zum erotischen Wolpertinger. Füssli, Bosch und Mapplethorpe feiern hier Hexensabbat. Olafs Werk ist auch ein Ritt durch die Kunstgeschichte. Das beginnt schon bei den minuziös ausgearbeiteten Details, die an Vermeer und überhaupt an die Niederländer erinnern. Nichts wird dem Zufall überlassen.

    Laufzeit: bis 26. September in der Kunsthalle München, Katalog (Hatje Cantz Verlag): 40 Euro (240 Seiten)

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