Geht das? Kann man eine Synagoge, auch wenn sie nicht mehr zum Gottesdienst genutzt wird, zum Kunstraum machen, zumal dann, wenn mit der Geschichte dieses jüdischen Betsaals und seiner Gemeinde so viel Gewalt und Terror, wenn damit der Holocaust in Verbindung steht? Diese Bedenken mögen die Leiterin des Jüdischen Kulturmuseums, Benigna Schönhagen, beschäftigt haben, als sie den Entschluss fasste, die ehemalige
Doch – um das gleich vorweg zu sagen – es geht. Kunst in ein jüdisches Gotteshaus zu bringen, das geht dann, wenn man wie die Dachauerin Esther Glück sich auf die Aura dieser Räume einlässt, wenn man darin Spuren von Religion und Geschichte sucht, diese sichtbar macht und auf sensible Weise auf sie antwortet. Eine künstlerische Intervention nennt
In der ehemaligen Synagoge Kriegshaber verteilt sie im ganzen Gebäude die verschiedensten Bildelemente, die fast alle scheinbar gar nichts mit dem Judentum und seiner Auslöschung durch die Nationalsozialisten zu tun haben. Schon vor dem Haus, am Eingang, ruht ein übergroßer Apfel in einem Nest aus Holz und Draht. Drinnen im Haus entdecken die Besucher Äpfel, Pflanzen, Bienen, Laub und ein paar Gärtner-Gummistiefel. Sind wir jetzt in einem Garten gelandet? Ja, suggeriert uns Esther Glück, aber es soll ein Garten der Erinnerung sein, und sie lädt uns ein, uns ungeschützt, gewissermaßen nackt oder zumindest barfuß darauf einzulassen. Die Gummistiefel, ohnehin aus Leim und Seidenpapier, sind nämlich ohne Sohlen, wir sollen mit bloßen Füßen auf dem Boden (der historischen Tatsachen) stehen.
Die Künstlerin führt also die Natur in einen Ort voller Geschichte ein. Ein Ablenkungsmanöver? Eine Verniedlichung, eine Verleugnung des Schrecklichen? Man fühlt sich wie in Jenny Erpenbecks Roman „Heimsuchung“, wo der Gärtner, weil er sich um die Natur kümmert, als einziger unbeschadet in einem Haus lebt, in dem die Gewalt-Geschichte des 20. Jahrhunderts wütet. Aber so leicht lässt uns Esther Glück nicht davon kommen.. An einer Tür klebt die Reproduktion des Abschiedsbriefs, den die Kriegshaber Bürger Moriz und Lydia Einstein an ihre Tochter Liese geschrieben haben. Abgezählt wenige Worte auf einem Rot-Kreuz-Formular, einen Tag, bevor sie ins Vernichtungslager deportiert wurden. Liese hatten sie mit ihrem Bruder Siegbert nach England geschickt; nach Siegberts frühem Tod blieb sie als einzige ihrer Familie am weiß Gott schweren Leben. Ein von der Raumdecke hängendes Kinderkleid aus Papier sagt uns, dass dieses Mädchen hier im Mittelpunkt steht.
Man steht erschüttert vor dem Abschiedsbrief, – dem einzigen Dokument der Rauminstallation. Hinter der halb offenen Tür liegen welke Blätter und man empfindet, wie fragil ein Menschenleben ist, wie leicht es von Gewalt zerstört, vom Wind verweht werden kann wie diese Blätter. Und jetzt liest man auch die Naturelemente anders, die Esther Glück hier angeordnet hat – den Teppich aus Efeu vom Jüdischen Friedhof, das winzige Vogelskelett, den verwundeten und verbundenen Baum, die Granatäpfel aus Seidenpapier und Gips sowie als echte Pflänzchen, die Bienen als Projektion im ehemaligen Thora-Schrein. Es sind Zeichen der Trauer, der man als Besucher in diesen Räumen nun gar nicht mehr ausweichen kann. Aber es sind zugleich Zeichen von Hoffnung, denn Geschichte findet ihre Antwort in der Gegenwart, und beides muss durch Erinnerung verbunden werden.
Darauf weisen nicht nur die Bienen, diese emsigen Lebensspender, im Thoraschrein hin, sondern auch die vom Gewölbe der Synagoge wehenden Papierblätter. Es sind Arbeitsunterlagen der Mitarbeiter des Jüdischen Kulturmuseums, des Teams, das sich heute um Erinnerung an das Judentum in Augsburg und Kriegshaber bemüht. Vielleicht sind unter diesen Blättern Briefe, mit denen die Nachfahren der in Tod oder Flucht getriebenen jüdischen
Laufzeit bis 17. September, geöffnet Do bis So 14 - 18 Uhr, So 13 - 17 Uhr.