Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Ausstellung: Das Theater und sein Dauerkampf um die Werktreue

Ausstellung

Das Theater und sein Dauerkampf um die Werktreue

    • |
    Was soll der fürchten, der den Tod nicht fürchtet? Peter Zadeks Inszenierung von Schillers „Die Räuber“ 1966 in Bremen. Das Bühnenbild schuf Wilfried Minks.
    Was soll der fürchten, der den Tod nicht fürchtet? Peter Zadeks Inszenierung von Schillers „Die Räuber“ 1966 in Bremen. Das Bühnenbild schuf Wilfried Minks. Foto: Gabriele Pagenstecher/Akademie der Künste Berlin/DTM

    Dieses Stück gibt es nicht. Und doch wird unentwegt an ihm geschrieben, vom Publikum, von Kritikern und von Regisseuren. So kommt dieses Drama seit über 100 Jahren ein ums andere Mal zur Aufführung. Sein Titel: „Die Werktreue“.

    Wer die Ausstellung „Regietheater. Eine deutsch-österreichische Geschichte“ im Theatermuseum in München betritt, gerät sogleich ins Schlagzeilen-Gewitter. Da wird der Kopf des Intendanten gefordert, ein Ende der Provokation herbeigesehnt, da erschallt der Ruf nach Verbot und nach dem Gericht …

    Acht Regisseure bietet die von Claudia Blank unter Mitarbeit von Petra Kraus kuratierte, ein gutes Jahrhundert durchmessende Schau auf: Otto Brahm, Max Reinhardt, Leopold Jessner, Fritz Kortner, Gustaf Gründgens, Peter Zadek, Peter Stein, Claus Peymann. Die hehren Namen eröffnen einen Parcours der Opposition: Die Jungen begehren auf gegen die Altvorderen. Doch der Generationenkonflikt mildert sich bei näherem Zusehen, offenbart auch Verschleifungen und Überlappungen, dies zumal die Regisseure schwerlich auf einen beständigen Stil zu fixieren sind.

    Von der Alltagsmisere zur reinen Schönheit

    Der Berliner Theaterleiter Otto Brahm, bei dem Max Reinhardt von 1894 bis 1902 als Schauspieler engagiert war, schrieb sich den Naturalismus auf die Fahnen. Das hieß für ihn: „Wahrheit“, Kampf gegen „eine Kunst, die vor dem Tage auswich“, Einsatz für Dramatiker wie Ibsen und Hauptmann. Der Siegeszug von Hauptmanns „Die Weber“ war Brahm zu verdanken. Von seinem sozialen Theater aus lässt sich mühelos ein Weg durchs 20. Jahrhundert bahnen, bis hin zu Franz Xaver Kroetz und anderen. Max Reinhardt indes lästerte über diesen „Armeleutegeruch“. Er installierte ein Theater voller „Farbe und Licht“, das aus der „grauen Alltagsmisere hinausführt in eine heitere und reine Luft der Schönheit“. Gleichwohl versuchte er, Otto Brahm, Autoren wie Hauptmann und Schnitzler abspenstig zu machen.

    Leopold Jessner wiederum, von 1919 bis 1930 Intendant am Staatlichen Schauspielhaus Berlin, rechnete ab mit Reinhardts „Zauberei“. Er stand aufseiten der jungen Weimarer Republik, erklärte das Theater zum „Kampfobjekt“, fegte die Illusionen weg, zog das Tempo an und installierte die berühmte Stufenbühne, auch um die Fallhöhe eines Stückes zu inszenieren. Regie bedeutete ihm die Entscheidung über Thema und Perspektive eines Stücks: „Jede Zeit löse das ihr Gemäße aus des Dichters Werk.“

    Der "Tell" endete mit Jubelrufen

    Am 12. Dezember 1919 debütierte Regisseur Jessner am Berliner Gendarmenmarkt mit Schillers „Wilhelm Tell“. Sein „Freiheitsschrei“ löste Protestgeschrei aus. Es war ein veritabler Theaterskandal. Die gewohnt lieblichen Schweizer Alpen- und Wiesen-Kulissen waren gestrichen zugunsten dreier querlaufender Stufen (Bühne: Emil Pirchan). Fritz Kortner, ein Geßler von satanischer Energie, schildert in seine Autobiografie die Entrüstung zu Beginn der „Hohle Gasse“-Szene. Der Vorhang wurde heruntergelassen, dann trat Albert Bassermann, der Tell, an die Rampe und rief: „Schmeißt doch die bezahlten Lümmel hinaus!“ Das gab dem Tumult neue Nahrung. Schließlich beförderten Polizisten und Logenschließer die „Radaumacher“ aus dem Haus. Es wurde weitergespielt – und Jessners „Tell“ endete in Jubelrufen. Ein Zeichen auch dafür, wie stark das Theater jener Zeit in die Politik verwickelt war und schon weit vor den 30er Jahren durch rechtsnationale und antisemitische Kreise torpediert wurde.

    undefined

    Die Münchner Schau, reich bestückt mit Porträtfahnen, Fotografien, Schriften, Videoeinspielungen, vor allem mit Entwürfen großer Bühnenbildner (von Teo Otto und Caspar Neher bis Wilfried Minks und Karl-Ernst Herrmann), verfolgt die Konfliktlinien penibel. Es ist kein Ende der Wortgefechte um die „Werktreue“. Schließlich ist diese kein Fixum, sondern muss immer erst erarbeitet und mit Ausstattern und Schauspielern erstritten werden. Wie mühsam dieser Prozess ist, verrät der Blick in Kortners Regiebuch. Vom Schauspieler Curt Bois ist der Satz überliefert: „Wenn nötig, probierte Kortner drei Stunden und länger an einem Satz.“

    Dass ein mit intellektueller Inbrunst den Spieltext probender Regisseur wie Kortner anders zur Werktreue steht als der Clownerien nicht abgeneigte Claus Peymann oder der freigiebig improvisierende Peter Zadek, der 1961 mit Brendan Behans „Die Geisel“ in Ulm Tumulte entfesselte, versteht sich. Gustaf Gründgens trat 1952 mit dem „Düsseldorfer Manifest“ hervor, in dem er die „willkürliche Interpretation der Dichtung durch ungerechtfertigte Experimente“ anprangerte.

    Wo aber bleibt der Regisseur?

    Peter Stein wiederum geht mit sich selbst ins Gericht, distanziert sich z. B. von seinem aufregenden „Torquato Tasso“ (mit Bruno Ganz 1969 in Bremen) – „ich sterbe vor Scham“! – und liefert 2000 mit Goethes „Faust I und II“ in 21 Stunden, ohne eine Textzeile zu kürzen, eine wahre rktreue-Demonstration. Sie warf allerdings die Frage auf: Und wo bleibt da der Regisseur?

    Gorkis "Sommergäste" in der Berliner Schaubühne, 1974 in Szene gesetzt von Peter Stein und mit dem Bühnenbild von Karl-Ernst Herrmann.
    Gorkis "Sommergäste" in der Berliner Schaubühne, 1974 in Szene gesetzt von Peter Stein und mit dem Bühnenbild von Karl-Ernst Herrmann. Foto: Deutsches Theatermuseum München © Helga Kneidl

    Dabei sind Stein und sein Dramaturg Botho Strauß 1974 einem Maxim Gorki radikal an den Text gegangen und haben die „Sommergäste“ an der Berliner Schaubühne durch einen echten Birkenwald wandern und räsonieren lassen. Ein großes Theatererlebnis! Es ruft Max Reinhardts Berliner „Sommernachtstraum“ (1905) in Erinnerung. Sein Wald war aus Plastik, machte aber auch Furore dank der revolutionären Drehbühne – und führte unter Berlinern zum schön-geflügelten Wort: „Um zehn Uhr dreht sich bei Reinhardt der Wald“.

    • Bis 21. April 2021 im Deutschen Theatermuseum am Münchner Hofgarten (Di – So von 10 bis 16 Uhr). Der etliche weitere Regisseure aufführende Katalog (von Claudia Blank) ist sehr zu empfehlen (424 S., 38 €).
    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden