Vieles ist schon unter den Hammer gekommen, so manches wird versteigert: Inseln und Mobilfunk-Lizenzen, getragene Wäsche und unausgetrunkene Flaschen Wein, Autos und Handtaschen, Devotionalien und Reliquien, Abendessen mit berühmten Menschen. Es gab auch mal Zeiten, da versteigerten Menschen Menschen. Diese waren Sklaven.
Gemeinsam aber war und ist diesen Versteigerungs-„Objekten“: Sie hatten oder haben eine physische Präsenz – oder mussten zumindest auf Zeit Nutzungsrechte einräumen. Ja, davor sind nicht die Augen zu verschließen.
Nun hat das Auktionswesen eine neue geschraubte Windung genommen. Die Versteigerung des umstrittenen „Salvator mundi“ im Jahr 2017 für 450 Millionen Dollar ist demgegenüber noch als plausibel zu bezeichnen. Denn das Bild, wohl in Teilen von Leonardo da Vinci gemalt, gibt es ja. Man kann es anfassen, in den Händen halten.
Der US-Künstler Beeple postet seit 2007 fast täglich ein digitales Bild
Aber das, was jetzt bei Christie’s in New York zum wahnwitzigen Preis von knapp 58 Millionen Euro digital versteigert wurde, das existiert nur virtuell. Es ist eine Datei, von Jedermann einsehbar.
Die Geschichte ist die: Seit 2007 postete ein US-Künstler namens Beeple – bürgerlich: Mike Winkelmann – fast täglich ein digitales Bild bei der Online-Plattform Tumblr. Als er dann 5000 Fotos auf der Plattform beieinander hatte, verband er sie zu einer Collage und JPEG-Datei mit 21.069 mal 21.069 Pixeln. Er tat das, was jeder zu Hause auch machen konnte: die Fotos aneinanderreihen, als einen Fleckerlteppich nachbauen.
Und dann griff Christie’s zu. Erstmals versteigerte ein großes Auktions-Traditionshaus digitale Kunst – beziehungsweise: das digitale Echtheitszertifikat dafür. Und nach rund zweiwöchigem, digitalem Bietergefecht erbrachte „Everydays: The First 5000 Days“ 69.346.250 Dollar, das sind ziemlich genau 57,8 Millionen Euro. Alle können die Collage sehen, wenn auch nicht anfassen, aber nur eine(r) besitzt das digitale Eigentümer-Dokument dafür – und kann in die gut 319 Megabyte große Datei immerhin so weit hinein zoomen, dass er sich jedes Bild der Collage einzeln anschauen kann. Es dürfte wohl ein Mensch sein; die Entwicklung der Roboter ist noch nicht so weit fortgeschritten …
Das Auktionsergebnis ist der bisherige Höhepunkt eines Booms
Beeple aber veröffentlichte nach der Rekord-Versteigerung die erschüttert-ungläubige Reaktion seiner Familie in einem Video bei Youtube: „Ich fahre nach Disneyworld!“, ruft er dort aus.
Das Auktionsergebnis ist der bisherige Höhepunkt des jüngsten Booms digitaler Echtheitszertifikate mit dem Namen NFT (non-fungible token). NFT: Unter einer Vielzahl identischer Kopien darf nur eine Datei als Original gelten. Walter Benjamin hätte seiner berühmten Betrachtung glatt noch ein Kapitel angefügt.
Die Echtheit der Dateien wird bei den meisten neuen NFTs mit der Blockchain-Datenkette der Krypto-Währung Ethereum abgesichert. Diese Blockchain ist im Prinzip eine Datenbank, die alle Transaktionen mit einem digitalen Artikel speichert und auf viele Rechner im Netz verteilt ist. Das macht sie fälschungssicher. Der Hype um Krypto-Geld mit Kursrekorden bei der Währung Bitcoin dürfte den Sturm auf NFTs befeuert haben. Folgerichtig konnte „Everydays: The First 5000 Days“ mit der Krypto-Währung Ethereum bezahlt werden.
Eine Reihe kurzer Videos hat rund sechs Millionen Dollar erzielt
In den zurückliegenden Monaten erzielte der Verkauf von NFT-Dateien immer wieder hohe Preise. Grimes, Popmusikerin und Partnerin von Tesla-Milliardär Elon Musk, verkaufte eine Reihe kurzer Videos für rund sechs Millionen Dollar. Ein Clip, in dem Basketball-Star LeBron James den Ball in den Korb hämmert, wechselte für mehr als 200.000 Dollar den Besitzer. Käufer spekulieren darauf, dass die Dateien mit NFT-Zertifikat irgendwann so viel wert sind wie andere Raritäten …
Beeple, Jahrgang 1981, war schon vor der Auktion bei Christie’s ein Star der Digitalkunst-Szene. Im Dezember verkaufte er eine Kollektion aus 20 NFT-Bildern für 3,5 Millionen Dollar. Und im Februar wechselte sein Werk „Crossroads“, das Donald Trump als Verlierer der US-Präsidentenwahl zeigt, für 6,6 Millionen Dollar den Besitzer.
Nach spezialisierten Auktions-Plattformen sprang nun Christie’s auf den Zug auf. Mehr als die Hälfte der 33 Bieter jetzt seien zwischen 1981 und 1996 geboren, teilte das Haus mit. (mit dpa)
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