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Corona-Lockerungen: Die Augsburger Philharmoniker spielen wieder - vor 50 Zuhörern

Corona-Lockerungen

Die Augsburger Philharmoniker spielen wieder - vor 50 Zuhörern

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    Über mangelnde Beinfreiheit kann hier niemand klagen: die Augsburger Philharmoniker und ihr Publikum.
    Über mangelnde Beinfreiheit kann hier niemand klagen: die Augsburger Philharmoniker und ihr Publikum. Foto: Mercan Fröhlich

    „Wie schön, dass Sie so zahlreich erschienen sind!“ Der Geiger Linus Roth kann in Anbetracht der Lage gar nicht anders, als bei seinem Gruß ans Publikum in Ironie zu verfallen, auch wenn die Sache eigentlich zum Heulen ist. Wo ansonsten beim Sinfoniekonzert der Augsburger Philharmoniker im Kongress am Park vielleicht 800, bei ausverkauftem Saal 900 Zuhörer dem Spiel des Orchesters lauschen, sind es an diesem Abend – 50. Es ist Montag, der 15. Juni, der Tag, ab dem in Bayern wieder Theater- und Konzertveranstaltungen genehmigt sind, unter strengen Auflagen, versteht sich.

    Schon am Eingang zur Halle ist bei diesem ersten Konzert nach dem Corona-Lockdown alles anders. Wo sonst die Hundertschaften zu den Türen wuseln, wartet jetzt ein Fähnlein Musikbegieriger darauf, dass ihm Einlass gewährt wird. Wer sich nicht im Vorfeld um eine Karte bemüht und namentlich hat registrieren lassen, wird abgewiesen, eine Abendkasse gibt es nicht. Keine Garderobe an diesem regnerischen Abend, auch die Bar für den Schluck vorm Konzert hat geschlossen, die paar Dutzend Besucher verlieren sich im Foyer, als hätte ein Debütant sich angesagt und nicht das Orchester des Staatstheaters Augsburg. Dessen Intendant André Bücke kann dann auch nur den Kopf schütteln in Anbetracht der regierungsamtlich vorgegebenen pauschalen Besucher-Obergrenze: 50 Personen im großen Kongress-Saal, der eigentlich das 20-Fache fasst! Tatsächlich, im Gegensatz etwa zu Nordrhein-Westfalen, wo schon vorvergangene Woche Klassik-Konzerte stattfanden in Sälen, die zu einem Viertel oder gar einem Drittel belegt waren, zeigt sich Bayern hier von seiner nicht so liberalen Seite.

    Mindestens 1,5 Meter Abstand müssen zwischen den Streichern herrschen, zwischen den Bläsern sind sogar zwei Meter vorgeschrieben.
    Mindestens 1,5 Meter Abstand müssen zwischen den Streichern herrschen, zwischen den Bläsern sind sogar zwei Meter vorgeschrieben. Foto: Mercan Fröhlich

    Innen im Augsburger Kongress dann die vollendete Tristesse: Der Balkon gesperrt, in der hinteren Saalhälfte die Stühle abmontiert, vor der Bühne nur jede zweite Reihe belassen, jeweils drei Sitze mit Schnüren versperrt, nur dazwischen ein freies Stuhl-Doppel. Hier also dürfen die Musikfreunde versprengt Platz nehmen, nicht ohne am Einlass noch einmal mit dem Hinweis versorgt worden zu sein, auch während der Darbietung die Maske aufzubehalten.

    Ohne den Stofffetzen geht nichts in dieser Zeit, auch nicht auf der Bühne. Einheitlich maskiert betreten die Musiker das Podium, nicht wie sonst durch die eine Türe, sondern geteilt, die zweite Orchesterhälfte auf dem Weg durchs Auditorium. Angekommen am Pult, darf die Maske fallen, auch beim Dirigenten, Generalmusikdirektor Domonkos Héja. Der kann sich, wie Violinsolist Linus Roth, launige Worte ebenfalls nicht verkneifen beim Blick in den traurigen Saal: „Sieht ein bisschen so aus, als ob wir Generalprobe hätten.“

    Die Abstandsregeln fordern die Musiker heraus

    47 Musiker, mehr passen nicht auf die keineswegs kleine Bühne. Denn auch hier regiert die Vorschrift: Die Streicher müssen mindestens eineinhalb Meter Distanz zueinander halten, bei den Bläsern sind es sogar zwei Meter. Für die Interpreten eine Herausforderung, nimmt man sich doch klanglich ganz anders wahr. Aber auch: Welche Folgen hat solch ein gespreiztes Orchester für den Hörer im Saal?

    Keine Frage, es klingt anders. Und doch, die Befürchtung eines ausgedünnten Klangbilds stellt sich rasch als unbegründet heraus, im Gegenteil. Egal, ob Mendelssohns e-Moll-Violinkonzert oder Beethovens vierte Sinfonie, das Orchester klingt füllig, und auch, wenn sich manchmal ein Eindruck einstellt wie aus der Frühzeit der Stereophonie, als das musikalische Geschehen breitwandhaft von ganz links nach ganz rechts zu pendeln schien, bringt die Dehnung des Orchesters doch erhöhte Transparenz mit sich, von der die Einzelinstrumente profitieren, die Bläser vor allem.

    Generaldirektor Domonkos Héja im Einsatz.
    Generaldirektor Domonkos Héja im Einsatz. Foto: Mercan Fröhlich

    Durch Corona ist nicht nur Raum und Zahl beschränkt – an insgesamt vier Abenden spielen die Philharmoniker vor jeweils 50 Zuhörern –, sondern auch die Zeit. Viel mehr als eine Stunde Konzert soll’s nicht sein, also keine Pause, Mendelssohn direkt im Anschluss an Beethoven, mehr geht im geschlossen Konzertraum nicht. Dem Geigensolisten Linus Roth gelingen im langsamen, mit dosierter Süße entfalteten Satz des Mendelssohn-Konzerts Momente voller Musikmagie, und im Finale kombiniert er Virtuosenfeuer mit Leichthändigkeit. Nach solch lässigem Furioso rauscht dem Solisten in der Regel der Applaus nur so entgegen; jedoch, wie begeistert die hundert Hände im Saal sich auch mühen, es bleibt eine schüttere Zustimmungsgeste. Die den blendend aufgelegten Linus Roth („Ich habe Sie alle sehr vermisst“) freilich nicht von einer Bach-Zugabe abzuhalten vermag.

    Wie begierig auch die Augsburger Philharmoniker darauf sind, endlich wieder vor Publikum zu spielen, macht vollends der Beethoven klar. Herrlich frisch in der Gesamtanmutung, fein ausgehört die Wechsel der Stimmungen im Allegro des Kopfsatzes und im dahinsurrenden Finale, kantabel blühend das Adagio, in dem die Kommunikation zwischen metrisch gerade intonierenden und nachklappenden Streichern/Bläsern trotz aller Distanz ganz ausgezeichnet funktioniert. Auch hier am Ende hocherfreutes Beifallsrinnsal, Bravos gar und Standing ovation – es scheint, als habe auch das Publikum vermisst, dies alles wieder kundzutun. Die Musiker wissen es sichtlich zu schätzen, Dirigent Héja muss ein ums andere mal nach vorne eilen, freilich ohne diesmal mit den obligatorischen Blumen bedankt zu werden. Andernorts war man da schon findiger. In Bochum, liest man, bekam der Interpret seinen Strauß hygienegerecht von einem kleinen fahrbaren Roboter überreicht.

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