Eigensinnig, nervig, sprühend, nachdenklich. Wie jeder andere Teenager hatte auch Anne Frank ihre Launen, ihre Talente, ihre Gedanken und vor allem viele unerfüllten Träume. Am heutigen Donnerstag, den 12. Juni, wäre Anne Frank 85 Jahre alt geworden. Bis heute ist sie nicht vergessen. Täglich stehen die Menschen aus aller Welt Schlange vor dem Anne Frank Haus in Amsterdam. Bei jedem Wetter wird oft stundenlang darauf gewartet, sich das Hinterhaus anzusehen, in dem Anne Frank und ihre Familie zwei Jahre verbracht haben.
Anne Frank: Orte der Erinnerung
Merwedeplein 37: Familie Frank wanderte 1934 von Frankfurt am Main nach Amsterdam aus. Sie zog in das Viertel Rivierenbuurt, das sich im Süden der Stadt befindet. Hier wohnten viele jüdische Amsterdamer. Die Wohnung wurde restauriert und wird heute verfolgten Schriftstellern zur Verfügung gestellt. Auf dem Platz vor dem Wohnblock erinnert ein Standbild an Anne Frank.
6. Montessorischule: Kurz nach ihrer Ankunft in Amsterdam 1934 wurde Anne in die Grundschule unweit ihrer Wohnung eingeschult. In der heutigen Anne-Frank-Schule werden immer noch Kinder unterrichtet.
Jüdisches Lyzeum: 1941 durfte jüdische Kinder auf Befehl der deutschen Besatzer keine öffentilchen Schulen mehr in Amsterdam besuchen. Von 1941 bis 1942 ging Anne in die jüdische Oberschule in der Innenstadt.
Oase: In ihrem Tagebuch beschreibt Anne, dass sie mit ihren Freundinnen in dem Eissalon "Oase" in der Nähe ihrer Wohnung gerne ein Eis holte. Heute ist "Oase" eine Snackbar.
Buchhandlung Jimmink: In der kleinen Buchhandlung "Jimmink" hatte sich Anne das rot-karierte Tagebuch gekauft. Sie bekam es an ihrem 13. Geburtstag, am 12. Juni 1942, und schrieb: «Ich hoffe, dass ich dir alles anvertrauen kann.»
Hinterhaus: Im Sommer 1942 tauchte die Familie unter und lebte im Hinterhaus der Firma von Vater Otto Frank an der Prinsengracht 263. Das Versteck wurde 1942 verraten. Die Familie Frank wurde ins Konzentrationslager deportiert. Nur Otto Frank überlebte. Anne Frank starb im Frühjahr 1945 im KZ Bergen-Belsen an Typhus. Das Hinterhaus ist heute das Museum «Anne Frank Haus».
Das Anne Frank Haus ist eine Pilgerstätte geworden
Eine schmale Stiege führt hinauf in das kleine dunkle Kämmerchen. Hier schrieb Anne Frank ihr Tagebuch. Das Haus an der Prinsengracht ist mittlerweile zu einer Art Pilgerstätte geworden. Im Jahr besuchen mehr als eine Millionen Menschen diesen Ort. Darunter sind Mönche aus Tibet, Schulkinder aus Rom oder Deutsche, deren Eltern Nazis waren.
Die 15-jährige Jüdin ist ein Symbol der Hoffnung und Humanität in der damaligen Zeit. Der niederländisch-amerikanische Publizist Ian Buruma schrieb, Anne Frank sei zur Heiligen geworden: "Eine jüdische St. Ursula, eine niederländische Jeanne d'Arc, ein weiblicher Christus." Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter hielt Anne Frank für eine talentierte Schriftstellerin: "Sonst hätte ihr Tagebuch nicht überlebt."
Die Gefahr einer Vermarktung von Anne Frank ist groß
Das jüdische Mädchen ist das bekannteste Opfer des Holocausts und wurde zu seinem Symbol. Aber das wird mittlerweile zum Problem. Der Amsterdamer Historiker Bart Wallet warnt vor einem Anne-Frank-Tourismus. "Es ist ein Wunder, dass es in Amsterdam noch keine T-Shirts oder Kaffeebecher mit ihrem Bild gibt", so Wallet.
Und die Gefahr einer Vermarktung von Anne Frank ist tatsächlich groß. Nach 70 Jahren laufen die Urheberrechte an den Tagebüchern 2015 aus. Bald kann jeder daraus frei zitieren. Es gibt zwei Organisationen: Der Anne Frank Fonds in Basel verwaltet das Erbe von Annes Vater Otto Frank und besitzt die Rechte an dem Tagebuch. Die Anne Frank Stiftung verwaltet das Amsterdamer Hinterhaus und stellt auch Anne Franks Tagebuch aus. Beide geben darauf Acht, dass Anne Frank nicht kommerziell missbraucht wird. Trotzdem versuchen sie, dass die Botschaften der 15-jährigen Anne auf eine respektvolle Weise an kommende Generationen weitergegeben wird.
Konflikte um Anne Franks Andenken
Ein bizarrer Machtkampf entsteht dadurch: Wem gehört Anne Frank? Vom Basler Fonds wurden exklusiv Filmrechte vergeben. Der geplante Film vom ZDF wurde wegen der Konflikte fallen gelassen. In einem langen Rechtsstreit forderten die Erben auch von der Amsterdamer Stiftung erfolgreich Dokumente aus dem Nachlass von Otto Frank zurück. Die Dokumente sollen in Frankfurt am Main, wo Anne Frank 1929 geboren wurde, ausgestellt werden.
Ein weiterer Konfliktpunkt war das Theaterstück "Anne", das im Mai in Amsterdam uraufgeführt wurde. Ursprünglich sollte es weltweit gezeigt werden. Der Basler Fonds hatte dazu dem Schriftstellerehepaar Leon de Winter und Jessica Durlacher den Auftrag erteilt. In dem Stück wurden Annes Texte auf die Bühne gebracht. Eine private Produktionsgesellschaft ließ dafür ein Theater bauen.
Anne Frank darf nicht kommerzialisiert werden
Dies wurde bereits als reiner Kommerz aufgefasst. In den Pausen konnten Zuschauer mit Prosecco die Tränen über das tragische Schicksal wegspülen. Im NRC Handelsblad hieß es: "Schön, dass wir uns nicht von der PR-Maschine eines Kassenknüllers haben beeindrucken lassen." Von Seiten der Anne Frank Stiftung klagte man: "Es wird auf den Markt gebracht als geselliger Abend mit Snack-Box."
Aber besonders auf der Bühne wurde deutlich wie stark das Tagebuch von Anne Frank tatsächlich ist. In fast lebensgroßen Kulissen und aufwendiger Multimediashow wurde das Mädchen Anne Frank durch seine Texte selbst wieder lebendig. dpa/AZ