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Analyse: Was bedeutet die Ernennung von Claudia Roth für die Kulturlandschaft?

Analyse

Was bedeutet die Ernennung von Claudia Roth für die Kulturlandschaft?

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    Die Kommende und erste Grüne im Amt: Claudia Roth.
    Die Kommende und erste Grüne im Amt: Claudia Roth. Foto: dpa

    Was bedeutet die Ernennung von Claudia Roth zur Kulturstaatsministerin? Gleich werden die Experten Auskunft geben: Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat, Anne Schuester vom Verband Freie Darstellende Künste Bayern und Philosoph Julian Nida-Rümelin als einer ihrer Vorgänger. Aber bereits auf den ersten Blick zeigen sich zwei Neuerungen, die mit der 66-jährigen Schwäbin Einzug halten ins Amt, das erst 1998 Kanzler Schröder quasi für seinen Vertrauten Michael Naumann geschaffen hat.

    Mit ihr, so konstatierte selbst die FAZ, zieht eine der bekanntesten Politikerpersönlichkeiten des Landes in das Ressort. Und das ist ein bisschen, wie es mit Bob Dylan und dem Literaturnobelpreis war: Wenn die Auszeichnung sonst in der Regel durch ihre Prominenz deutlich weniger bekannte Autorinnen und Autoren ins Licht rückt – bei der US-Folklegende war es das Gegenteil, der Preis stand plötzlich mehr und breiter im Fokus als sonst, auch weil die Wahl nicht unumstritten war. Und: Wer kannte schon Christina Weiss, Bernd Neumann und Monika Grütters oder hatte Michael Naumann und Julian Nida-Rümelin politisch auf der Rechnung? Der politische Bedeutungstransfer geht diesmal mit Claudia Roth von der Amtstragenden zum Amt.

    Claudia Roth erhitzt von vornherein die Gemüter - vor allem in konservativen Kreisen

    Hinzu kommt, dass in konservativen Kreisen ihre Bekannt- alles andere als eine Beliebtheit ist. Das zeigten auch die Leserkommentare bei der FAZ. Etwa: „Ich fürchte, dass das dann mit der Kultur hierzulande ein Ende hat. Schriften, Theaterstücke und Filme werden auf kulturelle Aneignung, versteckten/offenen Rassismus und Diskriminierung hin untersucht, landen im Feuer, und Gendern wird zum Prinzip.“ Auf der anderen Seite des publizistischen Spektrums, in dertaz, scheint nicht minder klar zu sein, wofür sie steht: „Roth repräsentiert durch ihre Vita kulturell selbst vieles von dem, für das die Grünen nun einstehen wollen. Stichworte sind: mehr Gendergerechtigkeit, die konsequente Durchleuchtung staatlicher Sammlungen nach arisierter sowie kolonialer Raubkunst, eine dem Antifaschismus verpflichtete Erinnerungspolitik sowie eine bessere soziale Absicherung der freischaffenden Künstler und Kreativen.“

    Vorbei sei es nun mit „Pragmatismus beim Ausspielen wirtschaftlicher gegen menschenrechtliche Interessen“. Vor allem aber dürfte Claudia Roth die von Vorgängerin Grütters „beförderte Preußenrenaissance – siehe Fassade und Kuppel des Großprojekts Humboldt-Forum – nicht fortsetzen“. Die Amtstragende also wird mit einer politischen Agenda identifiziert – und erhitzt damit von vornherein die Gemüter.

    Aber wie viel Einfluss bringt das Amt eigentlich wirklich mit sich? Und wie groß ist der Unterschied überhaupt, den die Person im Amt machen kann? „Er kann beträchtlich sein“, sagt der Philosoph Julian Nida-Rümelin, der ja selbst darin tätig war. Das Amt sei mit einer doppelten Zielsetzung eingerichtet worden: „Auf der einen Seite die verschiedenen, verstreuten Verantwortlichkeiten für Kultur auf Bundesebene zusammenzuführen, deswegen handelt es sich auch nicht, wie oft behauptet wird, um einen Hilfsminister, der den Kanzler berät, sondern auch zugleich um einen Behördenleiter.“ Und diese Behörde sei größer als manche normalen Ministerien, mit einem beträchtlichen Gesamtetat in Milliardenhöhe. Und, so der Philosoph: „Zu meiner Zeit waren es samt der nachgeordneten Bundesbehörden rund 6000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – das ist schon etwas anderes als ein einfacher Staatsminister mit einem Büro und ein paar Referenten.“

    Zum anderen sei das Amt angelegt „als Brücke zwischen Politik und Kultur, auch für intellektuelle Debatten“. Zwischen diesen beiden Rollen müsse eine Balance hergestellt werden. Nida-Rümelin: „Es kann nicht sein, dass man da gewissermaßen oberster Diskursminister ist, der permanent in Feuilletondebatten verwickelt ist.“ Aber genauso gefährlich sei, wenn man das Amt nur noch durch Mittelvergabe und mit Verwaltungsarbeit betreibe.

    Claudia Roth bekommt es auch mit dem Deutschen Kulturrat zu tun

    Was nun Claudia Roth im Amt angehe, sagt der Philosoph, habe er das Gefühl, dass nach anfänglicher Aufmerksamkeit für das Amt „inzwischen die Normalisierung zu weit getrieben wurde – man hörte nichts mehr oder nur noch wenig. Und das ist jetzt die Chance von Claudia Roth: dass sie das wieder korrigiert.“ Sie sei „diskussionsfreudig, meinungsfreudig, schießt dabei vielleicht auch mal über das Ziel hinaus mit ihrer emotionalen Art, aber das tut dem Amt vielleicht gut.“ Den Umgang mit der Behörde müsse sie wohl noch lernen, „aber das wird schon gelingen“.

    Damit in die Kultur, zu denen, mit deren Ansprüchen es Claudia Roth zu tun bekommen wird. Da ist Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Dachorganisation der deutschen Kulturverbände. Wie schätzt er die Personalie ein? Zimmermann gegenüber unserer Redaktion: „Claudia Roth ist eine sehr erfahrene Parlamentarierin. Nach meiner Beobachtung hat es dem Amt gutgetan, wenn die Staatsminister Abgeordnete waren. Das hat ihnen Rückhalt in den Fraktionen gegeben und bei der Durchsetzung von Vorhaben – auch mit Blick auf die Finanzen – geholfen.“ Darüber hinaus sei Claudia Roth kulturbegeistert und interessiert. „Ich habe sie stets als eine meinungsstarke und exakt vorbereitete Abgeordnete erlebt. Das finde ich sehr positiv.“ Viel Lob also.

    Und was Erwartungen angeht, sie könne sich vor allem um die freie Szene kümmern? Zimmermann: „Das Amt der Staatsministerin für Kultur und Medien hat die Begrenzung, dass bei der Förderung nur Vorhaben unterstützt werden dürfen, die eine bundesweite Relevanz haben. Daraus leitet sich ab, dass Leuchttürme wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Stiftung Weimarer Klassik und andere gefördert werden. Daran wird auch eine grüne Kulturstaatsministerin nichts ändern.“ Wenn zusätzliche Impulse für die Freie Szene gesetzt würden, könne dies nur positiv sein. Besonders wichtig erscheine ihm dabei, sich um die soziale Lage der freien Kulturschaffenden zu kümmern.

    Vertreterinnen und Vertreter der Freien Kulturszene wünschen sich mehr Sichtbarkeit

    Aber fragen wir eine der Sprecherinnen für jene, Anne Schuester vom freien Sensemble-Theater in Augsburg und vom Verband Freie Darstellende Künste Bayern. Sie sagt: „Wir als Verband, aber auch als Sensemble sehen diese Besetzung sehr positiv. Claudia Roth kennt die Belange der Freien Szene und hat immer aktiv den Kontakt nach Bayern, Schwaben und Augsburg gesucht. Sie ist engagiert und offen, das ist nicht selbstverständlich in der Politik.“ Sie erhoffe sich „mehr Sichtbarkeit für die Freie Szene, deren Arbeitsbedingungen und Relevanz: „Dass wir vor ein paar Monaten zum Beispiel eine gemeinsame Diskussion zu Honorar-Untergrenzen hatten, finde ich einen sehr ermutigenden Ansatz. Wir erhoffen uns eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.“ Und als Erstes angehen solle Frau Roth im Amt nach Auffassung von Anne Schuester die Fördermodelle. Und: „Wir erhoffen uns von ihr ein starkes Signal, welche Rolle die Freie Szene beim Kulturwandel in Hinblick auf die drängendsten Probleme unserer Zeit wie zum Beispiel den Klimawandel, aber auch die Corona-Krise haben kann und muss.“

    Und was wünscht sich Olaf Zimmermann von Claudia Roth? „Dass sie die gesamte Breite des Kulturbereiches in den Blick nimmt, also: die Künstlerinnen und Künstler, die Kultureinrichtungen, die Kulturunternehmen und die Kulturvereine. Und vor allem hoffe ich, dass sie beachtet, wie stark die verschiedenen Bereiche miteinander verflochten und aufeinander angewiesen sind.“

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