Wenn am Donnerstag zur Eröffnung der 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin der rote Teppich für Filmstars und Amtsträger ausgerollt wird, werden keine AfD-Politiker unter den Gästen sein. Die Festivalleitung hatte sie ursprünglich – einem Protokoll folgend – eingeladen, dann aber wegen aufwallender Empörung die Einladungen wieder zurückgezogen.
Bis einschließlich 2023 bekamen alle Politikerinnen und Politiker, die in der Kulturpolitik des Bundestags oder eines der Landesparlamente arbeiten, eine Einladung zur Eröffnungsgala im Berlinale Palast. Den Umgang mit den fünf ausgeladenen Abgeordneten nannte die AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker – selbst betroffen – ein "kulturpolitisches Fanal". Der Festivalleitung warf sie in einer Stellungnahme vor, Menschen auszugrenzen und zu stigmatisieren.
Die Berlinale-Leitung gab dem öffentlichen Druck nach
Über 200 Menschen aus der Filmbranche hatten zuvor einen offenen Brief unterzeichnet, wie die amerikanische Medien-Webseite Deadline zuerst berichtete. Im Brief heißt es, die Einladungen seien "ein weiteres Beispiel für das feindselige und heuchlerische Umfeld, dem Kunst und Kultur in Berlin und Deutschland ausgesetzt sind". Er endete mit der Bitte an die Festivalleitung, "diese beleidigenden und unsensiblen Einladungen zu überdenken und zurückzunehmen, um die Sicherheit und das Wohlergehen aller Festivalbesucher zu gewährleisten."
In einer offiziellen Stellungnahme schreiben Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und der künstlerische Leiter Carlo Chatrian, dass sich das Festival für demokratische Grundwerte engagiere und eine offene Plattform für internationale Filmschaffende sei. Weite Teile der AfD, so steht es dort weiter, möchten demokratische Grundrechte abschaffen.
AfD-Fraktion fordert "Entideologisierung" der Filmförderung
Uwe Janson, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Regie und Mitglied des Deutschen Medienrats, unterstützt die Ausladung der AfD-Abgeordneten. Die Partei habe in mehreren Situationen bewiesen, eine Bedrohung für die Filmbranche zu sein, sagt Janson im Gespräch. Bei einer Debatte um die Novellierung des Filmförderungsgesetzes etwa forderte die AfD-Bundestagsfraktion im vergangenen Herbst die "Entideologisierung" der Filmförderung. Die Filmförderanstalt vergibt ihre Fördermittel mit Fokusthemen wie Nachhaltigkeit oder Gender. Das stelle laut Antrag der AfD-Fraktion eine "Einengung der künstlerischen Freiheit durch ideologische Gängelung" dar. Konkret gehe es laut Janson beispielsweise um das Bestreben, nach englischem Vorbild marginalisierte Gruppen realitätsgetreu im Film darzustellen.
Der Umgang der AfD mit dem deutschen kulturellen Erbe zeige sich zum Beispiel im brandenburgischen Rheinsberg, sagt Janson. Dort gibt es ein Museum über den Schriftsteller Kurt Tucholsky, laut Bundesregierung ein "kultureller Gedächtnisort" mit besonderer nationaler Bedeutung. Rechte Politiker haben jüngst versucht, das Museum zu schließen, sagt Janson. Nun wurde zum ersten März die Präsidentenstelle gestrichen. Das Museum wird ab März vom Tourismusverband Rheinsberg verwaltet, dem der AfD-Politiker Daniel Pommerenke vorsteht. Die Kreativbranche benötige keine "Kräfte, die mundtot machen wollen", sagt Janson.
Julia von Heinz: Der deutsche Film lebt von europäischer Zusammenarbeit
Der neue Film von Regisseurin Julia von Heinz, "Treasure", feiert auf der Berlinale Premiere. In "Treasure" reist die Musikjournalistin Ruth (Lena Dunham) gemeinsam mit ihrem Vater Edek (Stephen Fry), ein Überlebender des Holocaust, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs durch sein Heimatland Polen. Der Film ist eine deutsch-französisch-polnische Koproduktion. Europäische Förderung, in diesem Falle durch das Filmförderprogramm Media, sei für Projekte wie dieses "substanziell wichtig", sagt die Regisseurin. Neben "Treasure" laufen 13 weitere internationale Produktionen mit einer Media-Förderung im Programm der Berlinale.
Die AfD hat die kulturellen Rahmenprogramme der EU schon mehrfach kritisiert, zuletzt im Parteiprogramm zur anstehenden Europawahl. Zu teuer seien sie – im Jahresdurchschnitt fließen 200 Millionen Euro aus dem europäischen Fördertopf von Media in Filmprojekte und journalistische Kooperationen. Außerdem führten sie zu einer "ideologischen Gängelung, die auf die 'Vereinigten Staaten von Europa' hinarbeitet und die nationalen Leitkulturen aushöhlt."
Julia von Heinz glaubt nicht, dass europäischer Einfluss am Filmset oder in der Filmproduktion die kulturelle Identität Deutschlands schmälert. Für ihren neuen Film "Treasure" arbeitete sie mit dem französischen Sounddesigner Pascal Villard zusammen, der ein Gerät entwickelt habe, bei dem mithilfe einer kleinen Animation der Klang von einer Seite des Raumes zur anderen wandere. Auf dem deutschen Markt ist diese Technik nach Angaben der Regisseurin noch neu. Austausch wie dieser bringe die Branche in Deutschland voran, sagt Julia von Heinz, "und das von Ländern, die noch vor 80 Jahren im Krieg miteinander waren."