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70 Jahre Suhrkamp: Wie das war, als wir Suhrkamp das erste Mal begegneten

70 Jahre Suhrkamp

Wie das war, als wir Suhrkamp das erste Mal begegneten

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    An Suhrkamp-Büchern kommt man seit 70 Jahren nicht vorbei.
    An Suhrkamp-Büchern kommt man seit 70 Jahren nicht vorbei. Foto: dpa

    Eine neue Welt

    Ja, Hermann Hesse, der Autor also, der viel zum Großwerden Suhrkamps beigetragen hat und mit dem der Verlag heute noch viel Geld verdient. Mein erstes Suhrkamp-Buch also war blau, mit einem bunten Gesicht im Profil drauf. Die ganze Klasse hatte so eines, denn unser Deutschlehrer Herr Kappel wollte uns Pubertieren mit „Der Steppenwolf“ für große Literatur begeistern. Wenn die Lektüre ein Muss und dazu mit Hausaufgaben und Analysen verbunden ist, dann ist das mit der Begeisterung so eine Sache. Liebe entsteht da nicht. Aber fasziniert waren wir schon von dieser neuen Lesewelt. Weil dieses Buch so schräg und anders war als alles, was wir zuvor privat oder in der Schule gelesen hatten. Weil es darin Sexszenen gab, weil Harry Haller innerlich so zerrissen ist – ein Gefühl, das mancher Teenager kennt. Es gab uns eine Idee davon, was für irre Geschichten da draußen noch in Büchern auf uns warten. Jahre später habe ich das Buch noch einmal gelesen, ohne Herrn Kappel, einfach so. Liebe ist es nie geworden, aber „Der Steppenwolf“ gefiel mir beim zweiten Mal deutlich besser. Lea Thies

    Ein neues Universum

    Ich war 17, als ich mich 1975 an die Lektüre von Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ wagte. In diesem philosophischen Großwerk (drei Bände, 1600 Seiten!) begegnete mir ein völlig neues geistiges Universum. Philosophie war hier mehr als blasse Gedankenarbeit. Vielmehr gerät bei Ernst Bloch die gesamte Kulturgeschichte und populäre Gegenwartskultur in den Blick. Die Klassiker wie Thomas Morus’ Roman „Utopia“ tut Bloch als „Staatsmärchen“ ab. Sozialutopien greifen ihm nicht weit genug aus, weil sie doch nur Gekanntes fortsetzen, anstatt etwas ganz anderes, ganz Neues hervorzubringen. Bloch breitet vielmehr den Kosmos menschlicher Hervorbringungen aus: Baukunst und Technik, antike Mythologie und Religionen, Oper und Theater, Malerei und Dichtung, sogar Reklame, Jahrmarkt und Zirkus, nicht zuletzt Acht-Stunden-Tag und Freizeit. Ungewohnte Begriffe forderten mich heraus: Antizipation, Ontologie … Aber Bloch verstand es auch, sich sehr verständlich auszudrücken. Sein liebster Begriff ist der „Tagtraum“ – und dann diese wunderbare Definition „Denken heißt Überschreiten“. Alois Knoller

    Das nächste Lese-Level

    Es gibt Bücher, gegen die spürt man von der ersten Seite an einen Widerwillen. Selten liest man dann weiter. Außer man muss. Homo faber also. Was – hier spricht nun eine 14-Jährige – für ein grauenhaftes Buch, was für ein gefühlstumber Held, klar Ingenieur, und was für eine widerliche Geschichte: Inzest mit der Tochter. Der Deutschlehrer wurde des Streits irgendwann müde, die Note war okay. Am Ende aber ein bisschen erwachsener gewesen ... Weil es ja genau solche Bücher in jedem Leseleben braucht. Bücher wie Schmirgelpapier. Durch die man sich kämpfen muss, die einen überfordern, bei denen man seinen Standpunkt finden muss und die eine Tür öffnen ins nächste Level der Bücherwelt, in der dann – auch Suhrkamp – Marguerite Duras, Thomas Bernhard, Mario Vargas Llosa warten. Und nicht mehr Winnetou und Old Shatterhand. Apropos Max Frisch, der sich zusammen mit 33 anderen Autoren 1950 für Peter Suhrkamp und seinen neuen Verlag entschied und zusammen mit ihnen die Suhrkamp-Kultur prägte: Drei, vier Jahre später, Stiller, da hatte er mich.Stefanie Wirsching

    Musik wird Sprache

    Frankfurt, Geburtsort des beschlagenen Philosophen Theodor W. Adorno ebenso wie Geburtsort der von ihm mitgelenkten Frankfurter (Denk-)Schule; Frankfurt, der (ehemalige) Sitz des Verlagshauses Suhrkamp ebenso wie der Sitz jener Hochschule, an der ein noch grüner Student die Symphonik Gustav Mahlers verstehen lernen wollte: So führte kein Weg an Adornos „musikalischer Physiognomik“ des Komponisten Gustav Mahler vorbei. Die Lektüre geriet so steinig wie kurvig-abwechslungsreich, vor allem aber bot der Weg aus der Vogelwarte scharfgezeichneten Überblick. Nicht alle Erkenntnisse in Adornos artifiziellen, eigensinnigen, dichten Satzkonstrukten erschlossen sich auf Anhieb, viel Verschlungenes musste zwei-, dreimal gelesen werden. Gedankliches Substrat aber, so es einleuchtete, ist bis heute mit Bleistift unterstrichen. Derart wandelte sich spätromantischer Orchesterklang in messerscharfe Sprache. Weiterhin ist dankbar zu sein für Aussagen wie: „Darum plädiert Mahlers Symphonik ... gegen den Weltlauf. Sie ahmt ihn nach, um ihn zu verklagen.“ Rüdiger Heinze

    Bei Stücken vornedran

    Ein Fund Anfang der 80er Jahre in der Kiste preisreduzierter Bücher vor der Uni-Buchhandlung: Samuel Beckett. Bis dahin nie gelesen, und doch, den Namen hatte man schon gehört, auch diesen Titel, Warten auf Godot, der einem nun gleich dreisprachig vom giftgrünen Cover entgegenschaute. Gekauft, gelesen. Nicht gleich warm geworden mit diesem Theatertext, der da auf den rechten Seiten auf Deutsch, links in Englisch und Französisch gesetzt war. Protagonisten mit komischen Namen, bei denen sich nichts vom Fleck rührt, und ein gewisser Godot, auf den sie warten, der das ganze Stück hindurch nicht auftaucht. Erst mithilfe des Nachworts dämmerte dann, dass es sich hier um die literarische Darstellung der Absurdität menschlicher Existenz handelt, mehr noch, um einen zentralen Text des 20. Jahrhunderts. Typisch, dass der von Suhrkamp verlegt wurde: bei Theaterstücken immer vornedran, in Sachen Theorie am Ohr der Zeit, mit einem untrüglichen Händchen für die wichtigen Autoren des Auslands. Beckett, diesen großen Pessimisten, haben wir Deutschen Suhrkamp zu verdanken. Stefan Dosch

    Bücher zum Scheitern

    Lang lebe das jugendliche Lesen, dieses erste Fischen im Ozean des Geschriebenen. Und weil das ja alles noch bei Nacht und ohne Orientierung stattfand, diente Suhrkamp als erster Kompass für die Navigation. Was nicht hieß, auch mal ordentlich Schiffbruch zu erleiden. Zum Beispiel an diesem legendären 1000-Seiter, gar nicht so wuchtig in der Hand, lila Einband, Dünndruck und im Schuber: James Joyce – Ulysses – Übertragung von Hans Wollschläger stand drauf. Aber was an diesem 16. Juni 1904 im Leben des Leopold Bloom so bedeutend sein soll, das war beim ersten Anlauf nach 100 Seiten nicht klar, gar nichts war dem 17-Jährigen damals klar. Und auch als sich der 19-jährige Dublin noch einmal näherte, dieses Mal mit mehr Wind in den Segeln, reichte der Schwung nur bis zu Seite 300 und irgendwas. Dann herrschte Flaute. Aber genau dafür liebte man diesen Verlag, der neben seinen Bestseller-Autoren auch diejenigen pflegte, die das Sperrige, Avantgardistische, Überfordernde schrieben. Und Ulysses? Ach, der wäre tatsächlich noch einmal einen neuen Anlauf wert … Richard Mayr

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