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Literatur: Erinnerung, in Pelz gehüllt: Uwe Timms "Alle meine Geister"

Literatur

Erinnerung, in Pelz gehüllt: Uwe Timms "Alle meine Geister"

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    Der Schriftsteller Uwe Timm legt mit "Alle meine Geister" ein Buch der sehr persönlichen Erinnerung vor.
    Der Schriftsteller Uwe Timm legt mit "Alle meine Geister" ein Buch der sehr persönlichen Erinnerung vor. Foto: Markus Scholz

    Aus welchem Stoff ist diese Geschichte geschneidert? Aus der Haut der Tiere. Hamburg, 1955, ein Vater klopft mit seinem braven Sohn bei „Levermann“ an. Ein Mode- und Pelzgeschäft dicht am Rathaus, beste Lage, beste Stoffe. „Besser ein guter Volksschüler als ein schlechter Gymnasiast“, denkt sich der Vater und verpflichtet den Sohn zur Lehre in dem edlen Haus, denn in dem 14-Jährigen sieht er die Zukunft seines eigenen Pelzgeschäfts. So harmlos rollt die Geschichte an, über einen, der feine Pelze schneidern lernte und nebenbei das Leben, die Literatur und seine Sprache fand. Der Junge von damals ist heute Schriftsteller, bekannt für seine deftige „Entdeckung der Currywurst“ (1993), auch für sein Kinderbuch „Rennschwein Rudi Rüssel“ (1989). Jetzt beschwört dieser Uwe Timm in seinem neuen Buch „Alle meine Geister“. Die Geister der Erinnerung an seine eigene Jugend. 

    Uwe Timmer erinnert sich an seine Jugend als Kürschner

    Geschmeidig, wie Timm seine Leser in die Erinnerung einlullt, in einen eleganten Pelz der Erzählung. Dass er sich hier und dort im Haar der noblen Luxusfellware verheddert, in der Beschreibung von „Nerz, Nutria und Biber“, Kürschnerfachlatein – geschenkt. Er legt mit seiner Lebensabschnittsbiografie einen Bildungsroman vor, der mit Liebe, aber ohne Schönfärberei die Nachkriegsjahre berührt. 

    Ein Hauch von „Buddenbrooks“ weht durch das Buch, frei nach Thomas Mann, aber wahren Begebenheiten, beschreibt Timm den Niedergang eines hanseatischen Familienunternehmens: „Pelze Timm“. Sein Vater sieht bald seine Felle davonschwimmen, in Alkohol, Schulden und dem Geist der Zeit. Aktivisten klatschen Farbbeutel gegen die Pelze unbedarfter Passantinnen. Aber noch ist 1955, die Kürschnerwelt heil. 

    Uwe Timm streift in "Alle meine Geister" die Figuren seines Lebens

    Timm lässt den Duft von Sägespänen aufsteigen, der in manchen Pelzen hängt, erinnert sich an das Surren der Maschinen, an die Menschen, die sie bedienen. Der Geselle Breitkamp, der vom Krieg erzählt, vom Torpedo, der das Schiff mit ihm an Bord versenkte. Oder Drechsler, der heimlich seinen Plattenspieler in die Werkstatt schleust und den Lehrling mit Miles Davis und Dizzy Gillespie bekannt macht. Und da ist der Mentor mit SPD-Parteibuch, der in Erinnerung an die Nazi-Jahre schier verzweifelt, in seiner Kleingartenparzelle. Und die Kaffeestunde bei den Damen, die ihm von der eiskalten Flucht im Krieg erzählen. Deutsche Geschichte, roh, unverarbeitet. 

    Timm berührt die meisten Figuren nur sanft und kurz. Darin steckt die Weisheit, dass viele Freunde Lebensabschnittsgefährten bleiben, Willkommen und Abschied. Und dass Erinnerung Stückwerk ist, ein Pelz aus zig Teilen. Da wären, natürlich, die Frauen. Die Roadtrip-Romanze mit einer Schwedin. Die Reeperbahn. Der Kollege, der in einer halbschattigen Kneipe plötzlich Bach am Klavier spielt wie ein junger Gott, während der nächste mit Prostituierten am Tresen plauscht. Manchmal liest sich das wie Samthandschuh, wenn Timm um den heißen, literarischen Brei schreibt, aber eben angenehm im Stil. Nie grob, niemals Zote. „Die Mode erinnert zugleich an die Vertreibung aus dem Paradies, in dem die Unschuld der Nacktheit herrschte.“ 

    Die Bücher seines Lebens zitiert Uwe Timm in dieser Biografie

    Es ist eine brave Erzählung, keine explosive, sie flaniert zwischen Gedanken. Philosophische Stofffetzen über Leben, Tod, Mensch und Tier. Ins Herz sticht die Anekdote von der Forscherin und des Gorillas, den sie im Zoo beobachtet. Wie er im Abschiedsschmerz schreit, als sie ihn ein letztes Mal besucht. Natürlich darf man sich dann auch aufreiben, an den herrlichen Schilderungen des Pelzes. Aber auch da springt ein Wegbegleiter ein, der dem Jungen erklärt: „Es sei eine Verpflichtung unseres Handwerks, durch Genauigkeit und Sorgsamkeit dem Leid und Tod der Tiere Achtung zu zollen – als wären wir verschwistert.“ 

    Klingt museal? Halbe Seiten zitiert Timm aus dicken Wälzern. Gedichte von Benn und Bachmann. Hemingway, Dostojewski, Kafka: Jedes Buch eine Erinnerung, aber auch ein Scharnier, das Weltliteratur mit seinen Wegabschnittsbegleitern verbindet. Ein Memoire mit Gelassenheit und Eleganz wie ein wärmender Pelz. Kunstpelz.

    Uwe Timm: Alle meine Geister. Kiepenheuer&Witsch, 288 Seiten, 25 Euro

    Uwe Timms neues Buch taucht in die Erinnerung ein: "Alle meine Geister".
    Uwe Timms neues Buch taucht in die Erinnerung ein: "Alle meine Geister". Foto: Kiepenheuer & Witsch
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