Dass Frauen heutzutage ganz selbstverständlich Hosen tragen (dürfen), das findet Margarete Ammon „wunderbar“. Das war in der Backfischzeit der Thannhauser Ehrenbürgerin noch ganz anders, da trugen Mädchen und Frauen Kleider, Röcke, Schürzen. Doch dass sie die Hosen anhat – auch im übertragenen Sinne –, das hat sie als Frau oft in ihrem Leben beweisen müssen in einer Gesellschaft, in der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern erst langsam aufkam und heute immer noch nicht in Gänze erreicht ist. Am heutigen 7. März wird Margarete Ammon, die Enkelin von Kommerzienrat Edmund Zimmermann, der in Thannhausen mit seiner Frau Barbara die Fleischwerke gründete, 100 Jahre alt. Wir besuchten sie in ihrer Münchner Villa und sie erzählte aus ihrem erfahrungsreichen Leben – von ihrer Kindheit und Schulzeit, von ihren beiden Ehemännern, von ihren beruflichen Tätigkeiten und dem „zimmermännischen Unternehmerblut“, das auch durch ihre Adern fließt, worauf sie stolz ist.
100 Jahre alt werden, das hat sie sich nie vorstellen können, „ich glaub’ es ja heut’ noch nicht, dass ich es bin, und wusste ja nicht einmal, ob ich die Jahrtausendwende erreichen würde“, sagt sie lachend. All ihre Altersgenossen sind bereits gestorben.
Entschuldigung für die Geburt eines Mädchens
Margarete Ammon wurde als zweites Kind der Eheleute Barbara und Fritz Kieninger in München geboren. „Meine Mutter entschuldigte sich bei meinem Vater weinend, dass sie wieder keinen Sohn zur Welt gebracht hatte“, sagt Ammon. Ihr Vater hat ihr das später erzählt, was sie tief gekränkt und ihr Verhältnis zu ihrer Mutter in der Erinnerung belastet hat. Mädchen zählten wenig damals, eine Tatsache, die sie sehr mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Barbara zusammenschweißte. Der zwei Jahre jüngere Bruder Fritz war der Prinz, der als Firmennachfolger herangezogen und gehätschelt wurde. Die beiden Schwestern hatten als Kinder immer Erzieherinnen, die alle paar Jahre wechselten, und an Mutterliebe und Zärtlichkeiten durch die Mutter kann sich Margarete Ammon nicht erinnern.
Die Schulzeit von Margarete Ammon in Thannhausen und München
In Thannhausen besuchte sie die Volksschule, von der ihr Lehrer Kneitinger noch sehr präsent ist, „weil wir haben alle für ihn geschwärmt und das kleine und große Einmaleins drum gut gelernt vorwärts und rückwärts“, sagt sie. „Im Rechtschreibheft strengten wir uns seinetwegen an, nicht einen Fehler zu machen, das war unser Ehrgeiz.“
Später kam sie ins Luisengymnasium nach München. Sie hatte sehr Heimweh nach Thannhausen. Mit Strenge und Angst machender Autorität wurde an der Schule in München erzogen, erinnert sie sich. Die Schülerinnen hätten immer wieder gesagt bekommen, was man alles nicht könne oder nicht dürfe. „Zum Glück habe ich später Betriebswirtschaft an der TU München studieren dürfen“, so Ammon. Doch vorher machte sie studienseits einen Ausflug in die Architektur. Etwa eineinhalb Jahre hat sie das Fach studiert. Ihr Opa Edmund Zimmermann hat dazu nur gesagt: „Mei Mädle, was machsch denn du Dumm’s?“ Das akribisch genaue Zeichnen war dann doch nicht das, was sie wirklich wollte, und so sattelte sie um auf Betriebswirtschaft.
Zwei junge Frauen aus Thannhausen als Unternehmerinnen
Vom Architekturstudium her habe sie sich aber wahrscheinlich die Liebe zu Häusern bewahrt, sagt sie. Häuser sollten in ihrem Leben noch eine entscheidende Rolle spielen, bildeten sie doch eine Geschäftsgrundlage der späteren Firma Kithan, die sie zusammen mit ihrer Schwester Barbara 1947 gründete, als sie Thannhausen gen München verließen, weil man sie nicht recht mitmischen lassen wollte als Frauen in den Fleischwerken Zimmermann.
Die Schwestern und ihr Bruder Fritz, den sie aus dem Großvatererbe beteiligten, renovierten mit ihrer Firma die drei Häuser des Großvaters nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, die dieser in München besessen hatte. Aus dieser Zeit heraus liebt Margarete Ammon Baulärm, so erzählt sie. Denn der kündete damals vom Aufbau, von besseren Zeiten nach dem Krieg. „Meine Schwester und ich als Frauen waren wahrlich Unikate in der Männerwelt des Bauens“, so Margarete Ammon. Mit Zähigkeit und Charme in Gesprächen mit Bankdirektoren bekamen sie schließlich Finanzierungen zum Wiederaufbau der bei den Luftangriffen 1944 zerstörten Häuser.
Ein miterlebter Luftangriff in München
Einen dieser Angriffe schildert Ammon. „Diese Sekundenbruchteile brennen sich ins Gedächtnis ein“, sagt sie. So habe sie durch ihre Bekanntschaft mit Georg Brenninger von der Akademie der Bildenden Künste in München die Möglichkeit gehabt, in den Akademiekeller als sicheren Ort vor Kriegshandlungen zu kommen. „Damals, da hat man sich nicht wie heute von geplanten Urlauben erzählt, sondern wo es die sichersten Orte zum Verstecken, zum Überleben in der Stadt gab“, erklärt sie. Der Akademiekeller sei wie eine Wirbelsäule gebaut gewesen – ein langer Gang und von dort aus Seitenarme und -räume. „Da hat plötzlich eine Luftmine eingeschlagen, der Keller war voller Menschen, die vor Angst geschrien haben. Das Gewölbe hat sich bewegt von dem Einschlag, das konnte ich sehen. Das Haus ist stehen geblieben, denn das Gebäude hat den Einschlag abfedern können“, staunt Ammon noch heute darüber.
Sie hat den Weltkrieg als junge Frau miterlebt, war auch zum Trümmerdienst an der TU eingeteilt und zum Kriegsdienst in München verpflichtet, ist später bis nach Bukarest als verpflichtete Sekretärin gekommen. Was denkt sie angesichts des heute wieder in Europa tobenden neuen Kriegs in der Ukraine? Ihre Stimme nimmt einen scharfen Ton an und mit großer Inbrunst sagt sie: „Ich kann das unerträgliche Imponiergehabe und Gestreite solcher Männer nicht mehr hören!“ (Sie meint Männer wie Putin, Anmerkung der Redaktion). Dieser Krieg sei ein Verbrechen und überflüssig wie ein Kropf. Und abgesehen davon habe man ja auch noch eine Pandemie und wie die sich dadurch weiter verbreite, davon höre man rein gar nichts, und daran dächte wohl keiner.
Der Zauber des Kennenlernens eines Künstlers
Während des Kriegs lernte Margarete Ammon ihren späteren ersten Mann kennen, den Bildhauer und Architekten Georg Brenninger. Im Stadtbild von Thannhausen gibt es viele Brenninger-Kunstwerke in Bronze, die Ammon der Stadt gestiftet hat und die man auf einem Kunstweg erwandern kann. Ans erste Kennenlernen erinnert sie sich so: „Der einzige Ort, an den man im kaputten München noch gehen konnte, war das Café Carlton. Brenninger, der einen Unfall im Krieg hatte und der ab da wehruntauglich war, war ebenfalls dort. Er war ein bildhübscher Mensch und davon sah man im Krieg nicht mehr sehr viele. Er hatte eine grellblaue Jacke an. Wir saßen dort an verschiedenen Tischen und haben miteinander ,pupilliert’“, wie sie sagt – Blicke ausgetauscht. „Als ich ging, hat er mir in meine Jacke geholfen und gefragt, ob er mich noch ein Stück begleiten dürfe. Draußen hat es leicht geschneit und ganz still und dunkel war es, denn es gab ja keine Straßenlaternen.“ Ein ganz besonderer Moment für Margarete Ammon, der schließlich 1947 in die Ehe führte. Mit Brenninger erlebte sie viel in der Künstlerszene, beschreibt die Stimmung im Schwabinger Künstlerkreis, in dem sie zwar drin war, sich ihm aber nicht ganz zugehörig fühlte, weil sie zuversichtlich, auf Aufbruch und Aufbau von etwas Neuem bedacht war. Immer wurde auch viel gefeiert und gelacht, obwohl die Künstler recht arm anfangs waren, denn wer sollte denn Kunst kaufen, wo doch andere materielle Güter in der Nachkriegszeit zunächst wichtiger waren. Mit Brenninger zusammen baute sie 1954 ein Haus nach dessen Plänen, in dem ihn später viele namhafte Leute, wie etwa Henry Moore, besuchten. 15 Jahre blieb sie mit Brenninger zusammen. Weil es aber nicht sein größtes Talent gewesen sei, ein guter Ehemann zu sein, ließ sie sich 1962 scheiden. Freundschaftlich verbunden blieben sie dennoch und Ammon interessierte sich weiter für Brenningers künstlerisches Werk.
Zweite Ehe und Geschäftsführung in Thannhausen
Eine weitere Heirat folgte 1968. Da war Margarete Ammon schon fünf Jahre Geschäftsführerin der Fleischwerke Zimmermann in Thannhausen. Die Führung hatte sie 1963 nach dem Tod ihres Vaters übernommen. Sie pendelte zwischen München am Wochenende und Thannhausen unter der Woche hin und her. Wenn sie heute nach dem Begriff Heimat gefragt wird, dann kommt ein sofortiges klares „Das ist Thannhausen“ von ihr. Den gleich alten Dr. Heinz Ammon, Brauereivorstand bei Löwenbräu und später bei Dinkelacker in Stuttgart, hatte sie über ihre Schwester Barbara kennengelernt. Durch seine Beziehungen lernte man Wienerwaldchef Fritz Jahn kennen und Zimmermann wurde für dessen berühmte Gastronomiekette Haus- und Hoflieferant. Jahn war Trauzeuge bei der Hochzeit, die mit Feiern in München und in Thannhausen begangen wurde.
Schwester Barbara gab Margarete die nötigen Vollmachten für Thannhausen und führte selber die Firma Kithan (übrigens eine Namensschöpfung aus dem Namen Kieninger und der Stadt Thannhausen) in München weiter. Den Bruder Fritz zahlten die beiden Frauen aus. Unter Margaretes Führung wurden Kanäle, Brunnen und Maschinenpark modernisiert und auch moderne Etiketten fürs Sortiment entwarf sie selbst. In Thannhausen war man zuerst entsetzt, dass eine Frau, noch dazu geschieden, die Firma führen und umkrempeln wollte. Erst langsam akzeptierte man sie. „Erst konnte ich nicht schlafen aus Sorge, später nicht aus Freude über den Erfolg. Mit sprudelnder Fantasie fand ich oft ungewöhnliche Lösungen. Die Zurückhaltung der Mitarbeiter schwand. Sie erkannten, dass ich sie als hervorragende Handwerker mit großem Gefühl für das Material schätze. Es blühte ein Team auf, mit dem ich mich sehr gut verstand“, so Ammon. Dieses Schätzen der Menschen, ihnen die Aufgaben zutrauen, die sie bewältigen konnten, habe sie wohl dem Vorbild ihrer Großmutter Barbara und vielleicht dem der Maria Theresia zu verdanken. Sie seien als quasi „gütige Herrscherinnen“ Vorbild für sie gewesen, hätten sie geprägt. Nach dem Tod ihrer Schwester Barbara 1972 wurde Ammon zur Alleininhaberin der Fleischwerke und der Firma Kithan. Ehemann Heinz gab seinen Vorstandsposten bei der Brauerei Dinkelacker in Stuttgart auf und kam nach Thannhausen, um als Geschäftsführer an ihrer Seite das Team zu verstärken. Ammon brachte mit seiner Münchner Mentalität Fröhlichkeit und eine gewisse Leichtigkeit nach Thannhausen. Es gab viele gesellschaftliche Events bei Zimmermann. Man war bekannt mit der Familie Oetker, Josef Schörghuber und Franz-Josef Strauß war ein Studienkollege von Heinz Ammon, mit dem man oft zusammentraf. Margarete Ammons Lieblingsprodukt der Fleischwerke war übrigens Kalbsleberwurst. Frisch gemacht „war das aufs Brot ein herrliches Samstagsvergnügen“, sagt Margarete Ammon.
Eine Einzelstellung als Frau in einer Unternehmensführung
Als Leiterin der Fleischwerke habe sie damals, noch bevor die Frauenbewegung so recht in Gang kam, „eine absolute Einzelstellung als Frau gehabt. Ich habe in der Zeit nicht eine einzige Frau getroffen, die irgendeine Entscheidung hat selber treffen dürfen.“ Sie führt ihr Durchsetzungsvermögen auf das Unternehmerblut der Zimmermanns zurück und zweifelte mit ihrer Schwester Barbara von Kindheit an nie daran, dass Frauen nicht alles genauso könnten wie die Männer. Den Frauen der heutigen Zeit zollt sie Respekt, wie jung die heute noch im Alter seien, wie sportlich und attraktiv. Doch hätten sie immer noch aus dem ganz eigenen Inneren heraus zu wenig Selbstbewusstsein. Da müsse sich noch was tun, bis Gleichberechtigung in Gänze erreicht sein könnte. „Na ja, das immer im Kampf mit den Männern zu sein, das wird schon mal aufhören, aber das wird noch dauern“, prognostiziert sie. Allerdings sagt sie auch, dass die besten Führungsteams diejenigen seien, in denen Frauen und Männer gemeinsam arbeiten, weil sie sich durch ihre Unterschiedlichkeit meist gut ergänzen könnten.
Die „Pille“ als großartige Erfindung
Ungerecht verteilt findet sie allerdings die Möglichkeiten, die die Natur Frauen und Männern in der zweiten Lebenshälfte zuspricht. Männer könnten einen zweiten oder dritten Frühling erleben und noch Kinder zeugen und eine neue Familie haben im höheren Alter, während Frauen das verwehrt bleibe. So einen dritten Frühling habe auch Heinz Ammon erlebt mit 60 Jahren und sie musste sich von ihm persönlich und in der Geschäftsführung trennen. „Das tat weh“, sagt sie, doch heute sei sie froh, dass sie alleine lebe. Das Unternehmen in Thannhausen habe sie 1989 aus Altersgründen an ein Familienunternehmen, die Brüder Ehrmann, verkauft. Vorher hat sie aufgrund ihrer Arbeit noch Auszeichnungen erhalten, wie die Ehrenbürgerwürde der Stadt Thannhausen 1986, 1987 den Bayerischen Löwen für Verdienste um Bayern und 1988 das Bundesverdienstkreuz am Bande. 2002 folgte noch der Titel der Ehrensenatorin der TU München.
Eigene Kinder seien für sie nie ein Thema gewesen. Die Erfindung der Pille und die Entwicklung der Medizin seien wohl das Beste gewesen, was sie im Lauf der Zeit an Entwicklungen erlebt habe. Sie habe ihr Vermögen Anfang 2020 in die Margarete-Ammon-Stiftung gegeben, die Kreativität und Erfindungswesen auf naturwissenschaftlichen, technischen, ökologischen und kulturellen Gebieten fördert. Ihr wacher Verstand lässt sie an ihrem Schreibtisch immer noch Arbeiten für die Stiftung verrichten. „Ich habe gerne Probleme“, sagt sie scherzhaft, denn dafür müsse überlegt werden, nach Lösungsmöglichkeiten gesucht werden. „Ich kann sehr gut denken und mache das sehr gerne, das ist ein großes Glück und so kann ich noch am Leben teilnehmen im Alter.“ Von den Entscheidungen her hat die mutige, unerschrockene und freigeistige Margarete Ammon also auch mit 100 Jahren noch „die Hosen an“ in ihrem Leben. Den Geburtstag wird sie klein und recht still, wie sie sagt, begehen. Ob sie dabei Hosen anhaben wird, hat sie nicht verraten. Beim Geburtstagsinterview jedenfalls trug sie eine blaue Hose zu einem flotten, pinkfarbenen Jäckchen.