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Sportskanonen: Fernfahrer aus Leidenschaft

Sportskanonen

Fernfahrer aus Leidenschaft

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    Wenn sie mal nicht ins Stadion fahren können, verfolgen die Kultras-Mitglieder die Spiele von Dynamo Dresden vom Sofa aus. Unser Foto zeigt (von links) Monique Vogt, Peer Borkert, Holger Krey, Torsten Jocksch, Rene Kopschull, Jens Kauzner und Maria Jocksch.
    Wenn sie mal nicht ins Stadion fahren können, verfolgen die Kultras-Mitglieder die Spiele von Dynamo Dresden vom Sofa aus. Unser Foto zeigt (von links) Monique Vogt, Peer Borkert, Holger Krey, Torsten Jocksch, Rene Kopschull, Jens Kauzner und Maria Jocksch. Foto: Foto: Bernhard Weizenegger

    Burtenbach Während der Hausherr bereits die Treppe Richtung Dachgeschoss entert, zupft seine Frau den Erstbesucher am Hemdärmel. Sie dreht die Augen noch einmal kurz zurück ins Wohnzimmer und flüstert ihm zu, als wolle sie ihn vorbereiten auf eine Sucht ihres Lebenspartners: „Da drin hat er angefangen – hier ein paar Aufkleber, dort was zum Hinstellen, bis ich gesagt habe, so geht’s nicht.“ Diese Bemerkung war die Geburtsstunde des Allerheiligsten, das sich Torsten Jocksch im Lauf der Jahre im Dachgeschoss des gemütlichen Einfamilienhauses in Burtenbach eingerichtet hat.

    An diesem Ort überfällt Dynamo Dresden den Betrachter wie ein Löwe im Sprung; der Mund steht still offen und das Auge trachtet gierig danach, möglichst viel auf einmal aufzunehmen. Wimpel und Schals zieren die Wände, ein Sammelsurium an Fanartikeln in Gelb und Schwarz die Regale und innerhalb weniger Augenblicke wird klar, was Maria Jocksch wenige Augenblicke zuvor mit ihrer Bemerkung gemeint hat. Ihr Gatte fühlt sich zu einer Erläuterung aufgefordert und sagt (mit beinahe entschuldigendem Unterton): „Dynamo , das ist eine Liebe, die über Jahre gewachsen ist.“

    Selbstverständlich hat er jedes noch so unscheinbare Utensil in diesem Raum ins Herz geschlossen. Deshalb dauert es eine Zeit, bis Torsten Jocksch auf die Frage nach seinem liebsten Stück eine Antwort findet. Es ist, wie könnte es anderes sein, eine Trophäe, die es nicht zu kaufen gibt. Er weist auf eine schmucklose Tafel mit einer ebenso kurzen wie klaren Richtungsangabe zum stillen Örtchen. „Das ist aus dem alten Rudolf Harbig-Stadion. Als sie’s vor vier Jahren abgerissen haben, habe ich das Schild über Freunde bekommen.“

    Für Dynamo schon ein Häuschen ausgegeben

    Offenkundig ist in diesem Raum, dass die Leidenschaft eines Fans kräftig ins Geld gehen kann. „Für Dynamo hab ich bestimmt schon, na ja, so ein Häuschen ausgegeben“, bekundet Torsten Jocksch und schiebt achselzuckend hinterher: „Zum Heimspiel sind’s 538 Kilometer einfache Strecke, ein Bierchen willst du ja auch noch trinken und ruckzuck sind die Platten raus“.

    Wofür freilich andere Menschen (vor allem Nicht-Fußballfans) nur fassungsloses Kopfschütteln übrig haben, ist für Torsten Jocksch völlig normal. Wie Fan-Generationen vor und nach ihm kam er über seinen Vater zum Fußball. Für ihn lag Dynamo Dresden buchstäblich vor der Haustür. Ans erste Auswärtsspiel erinnert sich der inzwischen 45-Jährige noch ganz genau. „Das war 1978. Dynamo hat in Rostock gespielt. Weil’s meine Mutter eigentlich verboten hatte, hat mich der Vater mitten in der Nacht geweckt, mir 100 Mark in die Hand gedrückt und gesagt: Komm Junge, der Zug fährt bald.“

    Jedes Heimspiel war mit einem Mal ewig weit weg

    Die Zeiten haben sich geändert, doch die Treue zum Verein ist geblieben. Klar wurde es schwieriger, nachdem Torsten Jocksch um die Jahrtausendwende in den Landkreis Günzburg gezogen war. Jedes Heimspiel war mit einem Mal ewig weit weg und sportlich ging’s mit Dresden (zumindest gefühlt) mehr runter als rauf. Da tat es gut, dass er schnell Gleichgesinnte traf. Zum Teil kamen sie aus der alten Heimat wie der 34-jährige Peer Borkert, der Torsten nach eigenem Bekunden „seit 33 1/2 Jahren“ kennt. Oder wie Rene Kopschull, der aus Annaberg-Buchholz im Erzgebirge kommt und den „der Vater irgendwann ins Stadion mitgenommen“ hat. Andere Dynamo-Sympathisanten gesellten sich dazu, bald schon wurden gemeinsame Stadion-Besuche organisiert und 2006 schließlich der offizielle Fanclub Kultras gegründet. Der hat inzwischen zwölf Vollmitglieder und bis zu zehn zusätzliche Mitfahrer, wenn es um etwas geht.

    Heute ist so ein Tag. Mit der Partie in Cottbus steigt Dynamo als Aufsteiger in die 2. Bundesliga ein. Auf diese Reise müssen die Kultras verzichten, doch umso euphorischer werden sie gemeinsam vor dem Fernseher sitzen und ihre Erinnerungen an den Sprung nach oben hervorkramen. Im Mai qualifizierte sich Dresden in zwei Relegationsspielen gegen Osnabrück für die 2. Liga und damals waren sieben Kultras eine Woche lang unterwegs. Exakte Schilderungen über ihre körperliche Verfassung während der Rückfahrt aus Niedersachsen verweigern die Dynamo-Fans. Möglicherweise tun sich in diesem konkreten Fall Erinnerungslücken auf und es genügt ja auch, wenn Maria Jocksch mit gespielter Entrüstung formuliert: „So ist das immer. Die Jungs trinken – und die Frauen dürfen fahren.“

    Den Heimspiel-Auftakt gegen Rostock in einer Woche werden die Kultras in Dresden erleben. Dann gibt’s wieder Atmosphäre pur auf Europas größter Stehplatz-Tribüne für Ein-Rang-Stadien. Fanclub-Mitglied Holger Krey platzt schon jetzt vor Vorfreude: „Da passen 9308 Leute drauf, das ist einfach nur geil“, sagt er.

    Dass die Dynamo-Fans zu den lautesten und feierfreudigsten im Lande zählen, wissen inzwischen auch jede Menge Stadiontouristen aus dem Landkreis Günzburg. Kultras-Mitglied Rene Kopschull erzählt: „In Heidenheim oder in Aalen waren viele Bekannte dabei und alle waren begeistert.“

    Torsten Jocksch ergänzt mit glänzenden Augen: „Bei jedem Auswärtsspiel sieht man, Dynamo ist etwas Wahres und allein schon deshalb ein sympathischer Verein, der überall beliebt ist.“

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