Es ist bereits eine gute Tradition, dass der Verein für Gartenbau und Landespflege Ziemetshausen im späten Winter zum Obstbaumschnittkurs auf die vereinseigene Streuobstwiese lädt. Willkommen sind nicht nur Mitglieder, sondern alle, die sich für die fachgerechte Pflege ihrer Obstbäume Zeit nehmen und die richtigen Handgriffe erlernen wollen. Und so haben sich mehr als 30 Personen am ebenso sonnigen wie eisigen Samstag auf der kleinen Wiese getroffen, um sich vom Vereinsvorsitzenden Josef Schalk in die Kunst des Obstbaumschnitts einführen zu lassen.
Was eine Giraffe an Obstbäumen in Ziemetshausen zu suchen hat
Der stellte vorab schon einmal klar, welche Werkzeuge ein guter Gärtner benötigt. Neben der üblichen Gartenschere braucht es auch eine Zugsäge, dazu eine Astschere, wenn möglich eine Teleskopschere, die gemeinhin auch als Giraffe bezeichnet wird. Mit ihrem langen Stiel erreicht die Schere auch Äste im Kronenbereich. Selbstverständlich muss das Werkzeug gepflegt sein, also sauber und gut geschliffen. Denn jeder Schnitt muss scharf sein und darf die Oberfläche des Astes nicht zerfetzen. In solch Aufgerissenes dringen nämlich leicht Schädlinge ein, auch Pilzbefall droht. In aller Regel reicht perfekt geschärftes Schneidewerkzeug noch nicht aus, um dem Baum einen optimalen Schnitt zu verpassen. Eine Leiter ist unabdingbar. „Nehmt auf alle Fälle eine Bockleiter“, rät der Kursleiter, „denn die ist mit Abstand die sicherste Leiter. Da kann man bis ganz hinaufsteigen, ja sogar das Bein über den oberster Holm schwingen und hat noch immer einen sicheren Stand.“
Die Leiter des Vereins wurde inzwischen an einen zehn Jahre alten Apfelbaum gestellt. Der habe, erklärt Josef Schalk, eine besonders wüchsige Unterlage und entsprechend viel Geäst, das nun unter die Schere kommen muss.
Kein Einfallstor für Pilze am Obstbaum schaffen
So instruiert, darf ein Kursteilnehmer mit einer Astschere auf die Leiter steigen und sich um das erste Segment des Baumes kümmern. Zunächst werden die Wasserschosser entfernt. Das sind die langen, gerade nach oben wachsenden Zweige, die keine Frucht tragen. Wichtig ist es, ermahnt Josef Schalk, dass jeder Schnitt plan zum Ast geführt wird. „Wenn ein Stuzel stehen bleibt, ist das ein Einfallstor für Pilze.“ Für ungeübte Schneider ist das eine Herausforderung. Denn es ist gar nicht so einfach, im richtigen Winkel an den hoch oben sitzenden Ast zu kommen. Am Ende, nachdem der Chef mit mutig-gekonntem Schnitt die gesamte Krone eingekürzt hat, zeigt sich, wo so mancher kleine „Stuzel“ vom Scheitern der eifrigen Bemühungen Zeugnis gibt. Doch da hilft nur eines: üben, üben, üben. Und wer einen Baum hat und ihn pflegt, hat jedes Jahr zwischen Winterende und Frühlingsbeginn dazu Gelegenheit.
Die Stolpergehfahr beim Obstbaumschnitt minimieren
Auf der Streuobstwiese haben sich nach erstem zögerlichen Zuschauen gleich mehrere Gruppen gebildet, die den wüchsigen Apfelbaum dressieren. Der jüngste Teilnehmer ist mit acht Jahren Florian, der den Großen zeigt, wie man es perfekt macht: alle Zweige und Äste, die abgeschnitten auf den Boden fallen, oder von den Schneidern aus der Krone gezogen und auf den Boden geworfen werden, sammelt er sofort ein und bringt sie in den Wagen zum Abtransport. Das, weiß Josef Schalk, gehört auch zur richtigen Baumschnittarbeit. Denn nur so hat der Baumpfleger einen soliden Boden ohne Stolpergefahr unter sich.
Ziemetshausen: Aus jedem Blickwinkel präsentiert sich der Obstbaum anders
Nach den Wasserschossern müssen die Äste entfernt werden, die an anderen reiben oder quer wachsen. Auch Äste, die nach unten wachsen, werden geschnitten. Da ist viel Geduld gefragt und ständiges Kontrollieren, denn ein Baum präsentiert sich aus jedem Blickwinkel anders. Für die Pfleger bedeutet das: Immer wieder innehalten, von der Leiter steigen, schauen. Besonders in der darauffolgenden Phase, wenn die Krone gelichtet werden soll, ist ein genauer Blick wichtig. „Wir müssen natürlich aufpassen, dass wir kein Loch in die Krone schneiden oder auf einer Seite mehr herausnehmen als auf der anderen und damit ein Ungleichgewicht erzeugen. Schließlich kann ein abgesägter Ast nicht mehr ersetzt werden. Im Zweifelsfall“, rät Josef Schalk, „wartet ihr erst mal ab und schneidet den Ast halt im nächsten Jahr.“ Wichtig ist vor allem, dass die Krone Licht bekommt. Dafür müssen die zahlreichen kleinen Ästchen abgeschnitten werden, die der Baum im Vorjahr ausgebildet hat.
Auch die langen oberen Zweige werden eingekürzt. Das geschieht nach einem festgelegten Prinzip: Entweder wird über einer außen wachsenden Knospe geschnitten oder der Zweig wird „abgeleitet.“ Dann schneidet man ihn so ab, dass die Wuchsrichtung in einen seitlichen Ast umgeleitet wird. Damit kann man eine Krone allmählich in die Breite erziehen anstatt in die Höhe. An diesem Samstag entschiedet sich Josef Schalk sogar zu einem radikalen Höhenschnitt. Er nimmt am Ende der Schneidarbeiten am Apfelbaum mit seiner Akku-Teleskopsäge den Mittelast komplett ab, ein glatter Schnitt, eine ungefährliche Wunde, etwa drei Grad Neigung. „Das reicht aus, um Regen und Tau abfließen zu lassen. Und auf keinen Fall die Wunden mit Harz oder anderen Mitteln verschließen. Der Baum heilt sich selbst. Werden Fremdmittel aufgetragen, besteht eine sehr große Gefahr, dass Pilze und Schädlinge unter die Abdeckung gelangen und dem Baum von innen zerstören.“
Langwierige Feinarbeit beim Obstbaumschnitt wird belohnt
Diese Feinarbeit ist langwierig, zahlt sich aber bei regelmäßiger Pflege in mehrfacher Hinsicht aus. „Wenn der Baum weniger Zweige und Äste hat, die er versorgen muss, dann kann er die bestehenden besser versorgen. Und natürlich kann ein Baum, in dessen Krone Licht fällt, viel mehr Obst produzieren. Und ein besonders schöner Anblick ist er allemal.“