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Krumbach: Wie der Krumbacher Stadtsaal zum Symbol für Krieg und Frieden wurde

Die Zeichnung (links) zeigt Eduard Lack mit seiner Geige 1946 im Krumbacher Stadtsaal (rechts).
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Wie der Krumbacher Stadtsaal zum Symbol für Krieg und Frieden wurde

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    „Alles aussteigen! Die einen in den Stadtsaal, die anderen in die Knoll-Konservenfabrik! Wir in unserem Güterwagen in den

    Das Kriegsende in Krumbach: Am 27. April 1945 marschierten US-Truppen ein, im Bild gepanzerte Fahrzeuge in der Karl-Mantel-Straße.
    Das Kriegsende in Krumbach: Am 27. April 1945 marschierten US-Truppen ein, im Bild gepanzerte Fahrzeuge in der Karl-Mantel-Straße. Foto: HIldegard Hilber

    Dieser wurde ab dem Nachkriegsjahr 1946 als Verteilungslager für die in Güterzügen ankommenden Heimatvertriebenen genutzt. Vor wenigen Tagen feierte die Stadt dessen Bau im Jahr 1923 in einem Festakt, also vor genau 100 Jahren. Wie in der Gegenwart mit den Flüchtenden aus der Ukraine oder der ständig steigenden Zahl von Asylbewerbern aus Afrika oder Asien galt es damals, in erster Linie Unterkünfte für Menschen zu finden. 1946 kamen sie in einem Güterzug mit einem Bündel Kleidung und wurden irgendwo in einer ihnen völlig unbekannten Gegend „ausgeladen“. Wo sie eine erste Bleibe fanden, war dem Zugpersonal gleichgültig. Mit leeren Waggons fuhr es einem neuen Ziel entgegen. Es war Sache des Landkreises wie und wo die Vertriebenen wenige Tage später in Krumbach blieben oder den Bürgermeistern der einzelnen Kreisgemeinden überlassen wurden, die sie dann auf leere Wohnungen, Zimmer und oftmals Ställe und Scheunen zu verteilen hatten. Keine leichte Aufgabe, weder für die Neuankömmlinge noch für die einheimischen Hausbesitzer.

    Welche "Lichtblicke" es im Krumbacher Stadtsaal gab

    Die Familien Lack und Krannich blieben nur drei Nächte im Krumbacher Stadtsaal. Und doch zeigen die Tagebuch-Aufzeichnungen von Eduard Lack, dass es auch „Lichtblicke“ gab, wie der ehemalige Schulleiter und spätere Ehrenbürger von Münsterhausen die Nachwelt wissen lässt. Er schreibt weiter über die Situation im Stadtsaal am 24. Juni 1946: „Es ist Abend. Der Saal voller Leute auf zerschlissenem Strohlager. Vater, Mama, Geschwister und ebenso die Familie Krannich hocken vor einem Fenster an der Südseite der Halle. Ein Graunen, Scherzen, Klagen, Weinen und Kinderjammern. Was tut mein Vater? Er holt seine mit viel Glück gerettete Geige aus dem Kasten, stimmt sie, spannt den Bogen. Er besteigt die erhöhte Bühne, wo ebenfalls alles voller Leute liegt. Vater setzt an und spielt einen Marsch herunter: Wien bleibt

    Heimatvertriebene im Krumbacher Stadtsaal. Durch die Ankunft zahlreicher Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner in Krumbach stark an.
    Heimatvertriebene im Krumbacher Stadtsaal. Durch die Ankunft zahlreicher Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner in Krumbach stark an. Foto: Hauptstaatsarchiv München

    Über den nächsten Tag, 25. Juni, schreibt Eduard Lack: „Sommer. Lange Tage, kurze Nächte. Die Leute rekeln sich von ihrem Lager, umständlich das Waschen und was sonst noch anfällt. Am Vormittag ist schon das Arbeitsamt da und verzeichnet in Listen, was die Leute alles an Arbeiten können: Ackern, melken, tischlern, Maschinen schreiben, nähen, schlachten. Ellenlange Listen. Von jedem wird sein Können abgehakt. Noch weiß niemand, wohin er kommt und wann er den Stadtsaal verlässt. Alles ist voller Ungewissheit und Ratlosigkeit. Am Nachmittag wollte ich in die Stadt. Von den Treppen der Stadthalle aus betrachteten wir die neue Umgebung. Der Kirchturm winkte herüber. Der Gang in die Stadt war verboten. Niemand hatte einen Ausweis und wer von einer Ami-Streife erwischt wurde, war übel dran. Trotzdem marschierte ich los, ging in die Kirche, schön im Barock und erwies Gott meinen Dank.“

    Die Vertriebenen werden auf die Ortschaften des Landkreises verteilt

    Mittwoch, 26. Juni: „Wieder eine Kommission oben im kleinen Saal. Ihr Vorhaben: Verteilung der Insassen auf die Ortschaften des Landkreises. Die Kreiskarte an einer Tafel gibt erstmals einen Überblick, wie es da rings um Krumbach aussieht. Es folgt ein Verteilen hin und her, ein Feilschen, Protestieren und Sichhineinfügen. Wohin sollen die Brattersdorfer? Die beiden Familien halten eisern zusammen, kommen nach Münsterhausen. Auf der Karte eine größere Gemeinde an der Mindel. Wie schon zuvor in Augsburg, so auch im Krumbach werden die Brattersdorfer dieses Transportes auseinander gerissen. Zwei andere Familien kommen nach Breitenthal. Wieder Abschied und Auf Wiedersehen.“ 

    Das Tagebuch seines Vaters hat sein Sohn Eduard Lack (Bild, viele Jahre Lehrer, Chronist und Kirchenmusiker) aufbewahrt.
    Das Tagebuch seines Vaters hat sein Sohn Eduard Lack (Bild, viele Jahre Lehrer, Chronist und Kirchenmusiker) aufbewahrt. Foto: Sammlung Lack

    Und weiter ist zu lesen: „Am Nachmittag fahren mehrere kleine Lkw vor. Unser Gepäck wird aus der Turnhalle herausgeschleppt und aufgeladen. Der Kasten ist bald voll, nur hinter der Ladeklappe bleibt ein kleines Plätzchen für die Leute, die sich zusammenpferchen. Ich klettere hinauf auf die Säcke und Bündel, halte mich irgendwo fest und los geht es durch die Stadt nach Osten. Es scheint in bergiges Land zu gehen. Passieren die Lindenallee beim Krumbad, es folgt ein Dorf namens Edenhausen und dann wieder Bergwald. Es tut sich auf ein schöner Blick ins Mindeltal. Thannhausen und nördlich davon Münsterhausen. Dort soll unsere neue Heimat sein. Steil geht es bergab. Festhalten! Ursberg mit seinen Anstalten ist für uns noch kein Begriff. Tischeben hinüber nach

    Der Saal war 1945 von den US-Truppen beschlagnahmt worden

    Im Krumbacher Stadtsaal geht das „Lagerleben“ weiter. Er war schon im Oktober 1945 von den amerikanischen Besatzungstruppen beschlagnahmt worden. Nach den Recherchen von Walter Gleich (nachzulesen in seinen „Krumbach in Stichworten“) traf bereits wenige Tage später ein Transportzug mit 400 Kalmücken ein, von denen über 100 im Ausländerlager der Konservenfabrik Dr. Knoll in der Bahnhofstraße untergebracht werden und der restliche Teil im Niederraunauer Schloss. Bereits am 3. November 1945 folgte ein weiterer Zug mit 500 deutschen aus Österreich ausgewiesenen Vertriebenen. 

    Der Krumbacher Stadtsaal wurde im August des Jahres 1923 feierlich eröffnet.
    Der Krumbacher Stadtsaal wurde im August des Jahres 1923 feierlich eröffnet. Foto: Stadtarchiv Krumbach

    300 von ihnen finden bis zu ihrer Verteilung auf die umliegenden Gemeinden eine erste Bleibe im Stadtsaal. Bis zum November 1946 sollten es insgesamt 24 Sammeltransporte mit insgesamt 9774 Vertriebenen sein, die in Krumbach blieben oder auf dessen Einzugsbereich verteilt werden. Weitere Auffanglager waren dafür neben dem Stadtsaal bei der Firma Knoll und das frühere Arbeitsdienstlager in der Burgauer Straße, wo heute die Pfarrkirche Maria Hilf steht. Bereits im Sommer 1946 hatte das Landratsamt Krumbach den Stadtsaal beschlagnahmt und richtete ihn als Notunterkunft für die Heimatvertriebenen aus dem Sudetenland und dem Osten Deutschlands ein. Das sollte er bis zum November 1950 bleiben. 

    Ein Zeichen für den Überlebenswillen der Menschen

    Der Stadtsaal wurde für Jahre zu einem zentralen Punkt, der auf seine Weise gleichermaßen für das Ende des Weltkriegs und den Neuanfang mit Wiederaufbau steht. Die aus dem Sudetenland gerettete Geige von Eduard Lack, auf der er den Walzer „An der schönen blauen Donau“ spielte, wird im Stadtsaal nach Monaten der Resignation, Vertreibung und der Leere zum Zeichen für den Überlebenswillen vieler Menschen, die vor dem Nichts stehen. Und auch die Geschichte der Geige ist nicht zu Ende. Vater und Sohn Eduard Lack sind leidenschaftliche Musiker und spielen viele Jahre auf Konzerten und festlichen Gottesdiensten in Münsterhausen und Thannhausen. Nach dem Tod der beiden liegt die Violine in einer Glasvitrine, wird zu Feiertagen und Familienfeiern bespielt und ist auf diese Art noch immer bedeutsames Symbol für eine wechselhafte Familiengeschichte.

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