„Dirndl“. Immer wieder fällt der Blick auf dieses eine, groß geschriebene Wort auf der grauen Schachtel. Als Eva Gantner den Deckel hebt, scheint sie gleichsam wieder einzutauchen in eine Zeit, die ihr Leben verändert hat. Dann hält sie es mit einem Lächeln in den Händen, dieses prachtvolle Dirndl in Schwarz und Gold, das sie im Jahr 1972 während der Olympischen Spiele in München trug. Offizielle Münchner Stadthostess war sie damals. Das „Landkind“ lernte „Menschen aus aller Welt kennen“. Darunter auch die spätere schwedische Königin Silvia. Die Stadthostessen waren das „freundliche und herzliche Gesicht der Stadt“, wie es Münchens Oberbürgermeister Georg Kronawitter formulierte. Doch die Heiterkeit der Spiele mündete ein in den Abgrund des Olympia-Attentats. Eva Gantner erinnert sich an eine „bedrückende Beklemmung“.
Diese Beklemmung ist nicht einmal ansatzweise vorstellbar, als sich München auf „seine“ Olympischen Spiele vorbereitet. Sie sollten ganz anders sein als die Nazi-Spiele in Berlin 1936, heiter, weltoffen, voller Lebensfreude. Eine Aufbruchstimmung erfasst Anfang der 1970er-Jahre das ganze Land, auch Eva Gantners Leben steht dafür. 1970 beginnt sie in München ihr Studium (Englisch und Geografie für das Lehramt an Realschulen). Eva Gantner denkt zurück an ihre Kindheit. „Behütet“ sei sie (geboren am 23. März 1951 in Memmingen) in Ottobeuren aufgewachsen.
Sie ist das älteste von drei Kindern. Ihr Vater ist Bürgermeister in Grönenbach, ihre Mutter hatte eine Ausbildung als Medizinisch-Technische Assistentin, war aber dann für die Familie mit den drei Kindern zuhause. „Streng Dich an“, habe ihre Mutter immer wieder zu ihr gesagt. Und genau das tut Eva Gantner, als sie in der Weltstadt München angekommen ist. Sie möchte schnell ihr Studium zu Ende bringen. Und sie arbeitet sich mit der ihr eigenen Energie regelrecht hinein in ihre neue Lebenswelt. Sie schafft es, Fremdenführerin für die Stadt zu werden. So verdient sie sich Geld fürs Studium dazu. Als die Olympischen Spiele ins Blickfeld rücken, bewirbt sie sich erfolgreich auf eine der Stellen als Stadthostess. Als München die Welt erwartet, steht auch für Eva Gantner die Welt gewissermaßen ganz weit offen.
Es sei wie ein wunderschönes Abenteuer damals gewesen, geprägt von lebenslustig-lockeren Menschen, etwas Flower-Power und Hippie-Bewegung. Sie erzählt von ihrer Jugend auf dem Land, beispielsweise auch über den „Tanztee um 17 Uhr“. Kurze Zeit später wird sie die indische Fremdenverkehrsdirektorin durch die Stadt fahren, Silvia Sommerlath treffen und dabei den schwedischen König Carl Gustaf sehen.
In München gibt es in dieser Zeit zwei Gruppen von Hostessen. Die Olympiahostessen (zu ihnen gehört auch Silvia Sommerlath) kümmern sich ausschließlich um die Sportstätten und begleiten dort prominente Gäste aus aller Welt. Die Stadthostessen sind im Auftrag der Stadt München mit Gästen im gesamten Stadtgebiet unterwegs. Als es zu einem Treffen der beiden Gruppen kommt, kann Eva Gantner Silvia Sommerlath kurz die Hand schütteln, König Carl Gustaf sei „im Hintergrund“ gewesen.
Zu Mark Spitz wollte „jede von uns hin“
Immer wieder „schnuppern“ auch die Stadthostessen hinein in die Welt des Sports, Eva Gantner führt britische Filmteams der Sender BBC und ITV unter anderem zu den Schwimmwettkämpfen, zu Mark Spitz und seinen sieben Olympiasiegen. Spitz gilt damals als „der schönste Mann der Welt“ und „da wollte wirklich jede von uns hin.“
Ihren Gästen aus Politik, Wirtschaft oder auch Kultur erklären die Hostessen Stadtgeschichte und Sehenswürdigkeiten. Abends begleitet Eva Gantner Gäste wiederholt in Promidestinationen wie Hofbräuhaus und Platzl. „Aber mein Fall war das nicht“, sagt sie.
Sie sieht Dinge, die sie damals in Staunen versetzen, rückblickend als „Verschwendung und Luxus“ bezeichnet, wie etwa Aschenbecher aus Rosenthal-Porzellan und eine vier Meter hohe Nachbildung des Londoner Big Ben aus Schokolade in einem Münchner Nobelhotel.
Sie ist mit Bürgermeistern aus Österreich unterwegs und schließlich gibt es mit der indischen Fremdenverkehrsdirektorin Kanta Thakur eine besondere Fahrt durch München. Die Dame hat sich eine persönliche Führung gewünscht. Eva Gantner fährt sie mit einem Audi 60 durch die Stadt. Das Fahrzeug, zur Verfügung gestellt von der Stadt München, hat seine Tücken.
Als Eva Ganter ihren indischen Gast auf die Theatinerkirche aufmerksam machen will, fährt sie auf einen alten VW Käfer auf. Außer einem überschaubaren Blechschaden passiert glücklicherweise nichts. Der junge Fahrer mit großer dunkler Sonnenbrille hatte es sehr eilig, wollte den Schaden nicht geregelt haben und verschwand. Als Eva Gantner im Radio über die Geiselnahme im olympischen Dorf durch die palästinensische Terrororganisation „Schwarzer September“ erfährt, erinnert sie sich an diesen merkwürdigen Unfall mit mulmigen Gefühlen. In Gedanken daran spricht sie immer wieder von „Schockstarre“. Elf israelische Olympiateilnehmer werden ermordet. Nach einer Unterbrechung gehen die Spiele weiter, doch die Spiele, das ist nach den Morden eine andere, in Trauer versunkene Welt.
Viele von Eva Gantners damaligen rund 50 Kolleginnen bleiben nach Olympia 1972 im Messegeschäft. Für Eva Gantner gibt es die Möglichkeit, bei der Weltausstellung in Montreal/Kanada zu arbeiten. Aber die Zeit in München sollte für sie bewusst etwas Einmaliges bleiben. Nach dem Abschluss des Studiums kehrt das „Landkind“ Eva Gantner aufs Land zurück.
Rund 30 Jahre unterrichtet sie in der Realschule Thannhausen, von 2001 bis 2004 ist sie Konrektorin. Im Alter von 47 Jahren studiert sie in Eichstätt berufsbegleitend Schulpsychologie. Zwölf Jahre (von 2004 bis 2016) steht sie an der Spitze der Hans-Maier-Realschule in Ichenhausen. Ihr Mann Josef ist vielen als langjähriger stellvertretender Schulleiter der Krumbacher FOS/BOS bekannt, die beiden haben eine Tochter (46 Jahre alt) und einen Sohn (42). Seit ihrer Pensionierung ist Eva Gantner weiterhin für das Katholische Schulwerk aktiv. Mit ihrem Mann lebt Eva Gantner seit Langem in Krumbach.
Die Kultur ist eine Lebensleidenschaft von Eva Gantner
Kultur, das ist bis heute so etwas wie eine Lebensleidenschaft für Eva Gantner. Dazu gehört auch, Menschen die Schönheit der Literatur nahe zu bringen. Zusammen mit Dr. Heinrich Lindenmayr und Herbert Kramer liest sie aus bekannten Werken, beispielweise beim Krumbacher Literaturherbst. In München besucht sie zusammen mit ihrem Mann immer wieder die Oper, aber sie sagt auch, dass sie in der Stadt „nicht mehr so oft“ sei. Doch ein „Münchner Kindl“ wird Eva Gantner wohl irgendwie immer bleiben. Schwarz und Gold, die Farben ihres Dirndls, das sind die traditionellen Farben des „Münchner Kindl“.
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