Das Gefühl, in eine geradezu versunkene Zeit einzutauchen: Es stellt sich unvermittelt ein, als Ludwig Spengler über seine Geburt erzählt. 1931, Hausgeburt im kleinen Dorf Deubach. Spengler blickt mit einem hintersinnigen Lächeln ins Publikum. „Die Hebamme kam mit dem Fahrrad, auf einer ungeteerten Straße.“ Als Spengler zur Welt kam, war Deutschland die Weimarer Republik. Lichtjahre scheinen uns von dieser Zeit zu trennen. Das wird spürbar beim Blick in die neue Deubacher Chronik, die der 92-jährige Spengler im Festsaal des Unteren Schlosses in Ichenhausen der Öffentlichkeit vorstellte. Auch sein eigenes Leben hat die Dimension einer regelrechten Chronik.
Seine Worte setzt er bewusst, er spricht langsam, nachdenklich, geradezu höflich, immer wieder mit tiefsinnigem Humor, auch mit Selbstironie, die so vielen Menschen fremd geworden ist. Allein seine Größe beeindruckt. Wenn er den Raum betritt, hören ihm die Menschen gerne zu. Und er weiß, dass er einiges zu erzählen hat.
Er schildert im voll besetzten Festsaal die Deubacher Geschichte, die bis ins Jahr 1325 zurückreicht. Wer hätte gedacht, dass am Anfang dieser Geschichte eine Urkunde steht, die Papst Johannes XXII. unterzeichnete - und das im südfranzösischen Avignon? Hier deutet sich auch die enge Verbindung Deubachs zum benachbarten Kloster Wettenhausen an.
Spenglers Ausführungen sind eine „Reise durch die Jahrhunderte“. Die Bedeutung Deubachs als Wallfahrtsort, die Gründung der „Bruderschaft vom Lieb- und Gnadenreichsten Hertzen Mariae“ 1744 - all das vermittelt einen Eindruck, welch einem Reichtum wir in der Geschichte eines Ortes, der heute rund 380 Einwohner zählt, begegnen können. Dann findet er in seiner Erzählung über die Ortsgeschichte allmählich sozusagen hinein in sein eigenes Leben. Spengler denkt daran zurück, dass er „Angst vor dem Lehrer“ und den berüchtigten „Hosenspannern“ hatte. Zeit seines Lebens der Kirche intensiv verbunden, berichtet Spengler auch von diversen Bubenstreichen in der Kirche und bittet nachträglich humorvoll die „anwesende Geistlichkeit“ um „Generalabsolution“. Bis heute ist ihm eine gewisse Irritation anzumerken, als er schildert, wie ältere Jahrgänge in der Hitlerjugend regelrecht gedrillt wurden: „Der Befehlston passte nicht zu meiner dörflichen Gemütslage.“
Spengler wächst auf einer kleinen Landwirtschaft auf. Er wird Lehrer und unterrichtet in der Realschule Burgau unter anderem Biologie und Stenografie. Doch immer mehr wird er auch zum Chronisten seiner Heimat. Seine Frau Edeltraud ist ihm dabei eine wertvolle Hilfe. 1975 verfasst er mit ihrer Unterstützung eine Deubacher Ortschronik zum 650-jährigen Bestehen des Dorfes. Die jetzt von ihm zusammengestellte Chronik „hängt“ die Jahre 1975 bis heute gewissermaßen an. In dem 180 Seiten umfassenden Buch (Auflage 200 Exemplare) bleibt die gesamte Geschichte des Ortes präsent. Doch der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf Themen wie beispielsweise Gebietsreform (1975/78 wurde Deubach ein Ortsteil von Ichenhausen), der Entwicklung neuer Baugebiete, dem Umbruch der Landwirtschaft, Höhepunkten im Vereinsleben, aber auch der Veränderung von „Kirche und Glauben“.
1975 war die Kirche in Deubach noch voll
„Damals war die Kirche noch voll“, sagt seine Frau Edeltraud. Damals - das ist das Jahr 1975. In diesem Jahr entsteht ein Film über Deubach, gedreht von Spenglers Frau Edeltraud. Die 85-Jährige (sie war lange Zeit Lehrerin in der Förderschule Hochwang) hat Ludwig Spengler Jahrzehnte bei seiner Arbeit unterstützt. Die Filmkamera bekommen die Spenglers zu ihrer Hochzeit geschenkt. Umgehend geht Edeltraud Spengler auf „Filmtour“. Zu sehen ist das Dorfleben der 1970er-Jahre „zwischen VW-Käfern und Hausschlachtungen“.
Eindrucksvoll sichtbar wird an diesem Abend im Unteren Schloss, dass die „chronistische Arbeit“ ein „Spenglersches Familienwerk“ ist. Tochter Johanna Haug (Leiterin des Ichenhauser Schulmuseums) war unter anderem bei der „mühsamen Digitalisierung“, wie dies Ludwig Spengler umschreibt, eine große Hilfe. Edeltraud Spengler hat zur neuen Chronik viele Fotos beigetragen. Die Titelzeichnung stammt von Johann Spengler. Johanna Haug, ihre Tochter Teresa und Johanna Haugs Bruder Anton Spengler übernehmen im Schloss auch die musikalische Umrahmung. Zudem singt der Kirchenchor Deubach.
Die Deubacher Chronik ist auch eine besondere Familienleistung
Ludwig Spengler dankt intensiv allen, die das Erscheinen der neuen Chronik ermöglicht haben. Ichenhausens Bürgermeister Robert Strobel spricht von einem Werk „um das Deubach ganz bestimmt von anderen Ortschaften im ganzen Landkreis beneidet wird.“ Strobel dankt allen Beteiligten und mit Nachdruck dem Stadtrat Ichenhausen für den Beschluss, die Herausgabe der Chronik zu finanzieren und die Einnahmen aus ihrem Verkauf für Ersatzbeschaffungen am Spielplatz Deubach zu verwenden. Als die Chronik anschließend im Schulmuseum käuflich erworben werden kann, ist der Andrang groß. Strobel würdigt, dass das Autorenduo darauf bestanden habe, zu den rund 5000 Euro Herstellungskosten 1000 Euro selbst beizusteuern. Der Eintrag von Edeltraud und Ludwig Spengler ins Goldene Buch der Stadt Ichenhausen wird zu einem weiteren Höhepunkt des Abends.
Zum Finale gibt es viel Applaus für die „chronistische Leistung“ von Ludwig und Edeltraud Spengler. Ludwig Spengler erinnert das Publikum an die zahlreichen Glückwünsche zum 90. Geburtstag des Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Diese habe er damals mit den Worten kommentiert: „Ich wusste gar nicht, dass ich so ein toller Bursche bin.“ Und dann ist es wieder da, Ludwig Spenglers hintersinniges Lächeln.
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