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Ursberg: Theo Waigel und ein „Lebensweg mit großer Konsequenz“

Ursberg

Theo Waigel und ein „Lebensweg mit großer Konsequenz“

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    Er hat Wendepunkte der deutschen und der europäischen Geschichte mitgeprägt: In Ursberg wurde anlässlich seines 80. Geburtstags die Lebensleistung von Theo Waigel gewürdigt. Unser Bild zeigt ihn mit seiner Frau Irene. Umrahmt wurde die Veranstaltung vom Blechbläserquintett des Musikvereins Krumbach.
    Er hat Wendepunkte der deutschen und der europäischen Geschichte mitgeprägt: In Ursberg wurde anlässlich seines 80. Geburtstags die Lebensleistung von Theo Waigel gewürdigt. Unser Bild zeigt ihn mit seiner Frau Irene. Umrahmt wurde die Veranstaltung vom Blechbläserquintett des Musikvereins Krumbach. Foto: Georg Drexel

    Mit dem Rad des Bruders fährt Theo Waigel Tag für Tag von seinem Heimatdorf Oberrohr zur Volksschule ins benachbarte Ursberg. Sein Bruder lebt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, er ist gefallen an der Westfront in Frankreich, mit 18 Jahren, wenige Monate vor dem Ende des Krieges. Als Professor Hans Maier dies in seiner Ansprache in Erinnerung ruft, wird einmal mehr spürbar, wie sehr das frühe Leben von Theo Waigel durch die Abgründe von Krieg und Nachkriegszeit geprägt ist. Jetzt, viele Jahrzehnte später, feiert Theo Waigel im Ursberger Haus Betanien seinen 80. Geburtstag. Die Radelstrecke seiner Kindheit liegt nur wenige Meter vom Haus Betanien entfernt. Als Hans Maier darüber spricht, bekommt der viel zitierte Begriff Heimat ein geradezu plastisches Gesicht.

    Zwischen den Radfahrten zur Volksschule in den 40er Jahren und der Geburtstagsfeier im Haus Betanien liegt eine Lebensleistung, die für die deutsche wie für die europäische Geschichte gleichermaßen prägend ist. Beim festlichen Empfang des CSU-Bundeswahlkreises Neu-Ulm in Ursberg bringen dies alle Redner gleichermaßen zum Ausdruck. Der CSU-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Alfred Sauter würdigt Waigel als Staatsmann, Respektsperson, Freund, aber auch als einen sehr ernst zu nehmenden Kritiker. Seine Leistungen für Europa, Deutschland und die Heimat gleichermaßen seien herausragend. Sauter erinnert unter anderem an die Ansiedlung des Legoland-Freizeitparks.

    Die Busfahrten von Oberrohr nach Krumbach

    Die Festrede hält Hans Maier. Auf dem Einladungsschreiben ist er als „ehemaliger Landtagsabgeordneter und Staatsminister a. D.“ angekündigt. Doch als Maier ans Rednerpult geht und sein Manuskript aus seiner Mappe hervorholt, da ist Maier ganz der Professor und Philosoph, der er bei aller tagespolitischer Tätigkeit wohl immer geblieben ist. Sein Vortrag erinnert in mancherlei Hinsicht an eine klassische Vorlesung, seine humorvollen Akzente setzt Maier leise, er lässt ihnen auf eine wohltuende Weise Zeit. Beispielsweise, wenn er über Theo Waigels Busfahrten von Oberrohr zur Krumbacher Oberschule in den 50er Jahren erzählt. Der Pfarrer habe Waigel vor den „sittlichen Gefahren“ bei solchen Busfahrten gewarnt. Doch der Bub aus Oberrohr geht seinen Weg und macht schließlich 1959 sein Abitur und es folgt ein weiterer Lebensweg „mit großer Konsequenz“, wie dies Maier umschreibt.

    Weitere Informationen zum Lebensweg von Theo Waigel gibt es in unseren Interviews, die anlässlich seines 80. Geburtstags entstanden sind:

    Theo Waigel: „Ja, will denn jemand wie in den 50er-Jahren leben?“


    Theo Waigel blickt zurück: "Das hätte ich mir als Bub nie träumen lassen"

    Waigels politischer Aufstieg ist rasch. Doch abseits der Politik sucht Waigel, wie Maier erklärt, immer wieder den Kontakt zu Theologen und Philosophen wie den in Ursberg geborenen Joseph Bernhart. Anton Jaumann aus dem Ries wird Waigels politischer Mentor, 1976 wird Waigel direkt in den Bundestag gewählt, 1982 wird er Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, 1989 Bundesfinanzminister (bis 1998). Waigel sei es, so Maier, gelungen, sowohl das Vertrauen von Helmut Kohl als auch von Franz Josef Strauß zu gewinnen. Als Leiter der Grundsatzkommission habe Waigel die Union programmatisch geöffnet. Er selbst sei Zeit seines Lebens dem Glauben fest verbunden gewesen, jedoch „ohne Frömmelei und Bigotterie“, wie dies Maier formuliert. 2002 sei Waigel aus eigenem Entschluss aus dem Bundestag ausgeschieden. Bis heute positioniert sich Waigel bekanntlich bisweilen in wichtigen politischen Fragen nicht immer auf der Linie des CSU. Maier erinnert an eine Einladung an Angela Merkel zu einem europapolitischen Symposium nach Ottobeuren. 2018 war das – als sich CSU und CDU in der Flüchtlingsfrage bekanntlich nicht mehr allzu viel zu sagen hatten.

    Anruf von Bundeskanzlerin Merkel

    Ja, die Bundeskanzlerin. In seinem Vortrag erzählt Waigel von einem Anruf mit einer unterdrückten Nummer einen Tag nach seinem Geburtstag (22. April). Dann ein weiterer Anruf mit unterdrückter Nummer, dann noch ein dritter. Waigel hebt schließlich doch ab: „Es war die Bundeskanzlerin.“ Zu Waigels Festakt sind auch viele jahrzehntelange Weggefährten gekommen, denen Waigel herzlich dankt. Er erinnert an die zahlreichen Spitzenpolitiker – von Karl Carstens bis Helmut Kohl – die in Ursberg zu Gast waren. Zeit seines Lebens sei er zu Helmut Kohl gestanden. „Ich habe ihm auch gesagt, was er falsch gemacht hat. Aber ich bin nie von ihm weggerückt.“ Waigels Rückblick: Das ist die Sicht auf ein geradezu fulminantes politisches Leben zwischen der Heimat und der Weltbühne. Und es war wohl nicht zuletzt sein Humor, der Waigel so manche heikle Situation meistern ließ.

    Auf der Spiegel-Bestsellerliste

    Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und Theo Waigel: Das war bekanntlich eine nicht immer spannungsfreie Beziehung. Doch zuletzt stand Theo Waigels Buch mit seinen Lebenserinnerungen auf der Spiegel-Bestsellerliste immerhin auf Platz 12. Das sei auch so etwas wie „eine späte Versöhnung“, sagt er augenzwinkernd. In Waigels Buch sind auch Passagen aus Briefen abgedruckt, die sein Bruder August kurz vor seinem Tod an der Westfront nach Hause schrieb. „Er hatte Sehnsucht, heimzukommen“, sagt Waigel. Dann spricht er über seine Heimat „zwischen Oberrohr und Seeg“ – bei allen weltpolitischen Stationen wohl der bleibende Kompass seines Lebens.

    Weitere Informationen zu Theo Waigels neuem Buch:

    Erinnerungen: Als Theo Waigel über Moskau der Sprit ausging

    Zu Ursberg, dem Dominikus-Ringeisen-Werk und der St. Josefskongregation gab es immer eine besondere Verbindung. Mehr Infos dazu finden Sie in unserem Artikel:


    „Treuer Freund von Menschen mit Behinderung“

    Der stellvertretende CSU-Bundeswahlkreisvorsitzende Thorsten Freudenberger (Landrat im Kreis Neu-Ulm) nennt Waigels Erinnerungsbuch („Ehrlichkeit ist eine Währung“) „sehr reflektierend, aber auch sehr persönlich“. Und es sei nicht nur der Blick in die Vergangenheit. Vielmehr habe sich Theo Waigel eine „positive Offenheit für Gegenwart und Zukunft bewahrt“.

    Zum Festakt in Ursberg gibt es bei uns auch eine große Bildergalerie:

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