Startseite
Icon Pfeil nach unten
Krumbach
Icon Pfeil nach unten

Thannhausen: Jüdische Kultur in Thannhausen: Eine Spur führt nach Oxford

Thannhausen

Jüdische Kultur in Thannhausen: Eine Spur führt nach Oxford

    • |
    Pfarrer Karl B. Thoma konnte in Oxford eine Kopie des Thannhauser Machsors anfertigen lassen. Der Heimatverein hat daraus zwei Bücher binden lassen. 
    Pfarrer Karl B. Thoma konnte in Oxford eine Kopie des Thannhauser Machsors anfertigen lassen. Der Heimatverein hat daraus zwei Bücher binden lassen.  Foto: Gertrud Adlassnig

    Denkt man an die Geschichte der Juden in Schwaben, so kommen einem sogleich Ortsnamen wie Ichenhausen, Krumbach-Hürben und Buttenwiesen in den Sinn. Dass auch in Thannhausen gut 200 Jahre eine große und aktive jüdische Gemeinde existiert hat, ist weitgehend unbekannt. Eine Spur führt auch nach Oxford.

    Die Erinnerungszeichen in der Stadt tragen nichts dazu bei, diese jüdische Vergangenheit ins Bewusstsein zu heben. Es gibt ein kleines, unbeachtetes Sträßchen, die Judengasse im Stadtzentrum, die die Bahnhofsstraße mit der Frühmessstraße verbindet. Und da ist noch eine überaus dezente, gerade einmal DIN A5 große Plexiglastafel an der Stadionkapelle, deren erste vier Sätze der Geschichte der Thannhauser Juden gelten.

    Die markante Stadionkapelle in Thannhausen.
    Die markante Stadionkapelle in Thannhausen. Foto: Gertrud Adlassnig

    Während andere Kommunen ihre Vergangenheit mit allen Sonnen-, aber auch Schattenseiten offiziell aufarbeiten lassen, musste sich in Thannhausen der historische Verein diese Arbeit zur Aufgabe und Verpflichtung machen. Schon die Gründungsmitglieder Manfred Göttner, Johann Rettenmeier und Josef Schuster hatten sich von Beginn an auch die Aufarbeitung der so unrühmlich geendeten jüdischen Geschichte vorgenommen.

    Thannhausen war ein Teil Vorderösterreichs

    Doch die Quellenlage ist schwierig, alte Berichte kolportieren Geschehnisse vom Hörensagen. Da Thannhausen als Teil Vorderösterreichs den Gesetzen der Habsburgermonarchie unterlag, der Ort aber immer wieder durch Verpfändung und Lehen seinen direkten Herren wechselte, bis 1705 Johann Philipp Graf von Stadion Thannhausen erhielt, sind Dokumente weit verstreut.

    Seit 316 Jahren ist die Familie, inzwischen in der Linie Schönborn, nachdem die Stadions 1908 in männlicher Linie ausgestorben waren, in Thannhausen ansässig, zunächst als Herrschaft über den Ort, seit 1918 als wohl angesehene Bürger. Doch mit dem Namen Stadion verbindet sich nicht nur Macht und Wohlstand, sondern auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Die Vertreibung der jüdischen Bewohner Thannhausens, deren Motivation noch immer im Dunkeln liegt.

    Kaiserliche Erlaubnis für die Vertreibung

    Als zu Beginn seiner Thannhauser Herrschaft der zunächst, wenn vielleicht nicht judenfreundliche, so doch neutrale Graf von Stadion zu der im Ort ansässigen jüdischen Gemeinde fünf weiteren Juden die Ansiedlung erlaubte, konnte wohl keiner der großen Gemeinschaft ahnen, dass der kaiserliche Schutzbrief von 1618 hundert Jahre später nur noch Makulatur sein wird. 1717 ließ sich Johann Philipp vom Kaiser die Erlaubnis erteilen, die jüdischen Bewohner zu vertreiben.

    Die Judengasse erinnert an Thannhausens jüdische Kultur.
    Die Judengasse erinnert an Thannhausens jüdische Kultur. Foto: Gertrud Adlassnig

    Bis zu diesem Zeitpunkt pflegten, wie es den Anschein hat, die Quellenlage ist jedoch mager, die Juden und Christen in Thannhausen ein gedeihliches Miteinander. Dokumentierte Hausverkäufe zeigen, dass beide Seiten Grund- und Hausbesitz untereinander verkauften und kauften. Ein Getto gab es in Thannhausen nicht, viele Juden lebten im Ortszentrum. Wann sie sich genau in Thannhausen niedergelassen hatten, ist strittig.

    Einige Quellen lassen auf 1496 schließen, nachdem die Baseler Juden vertrieben worden waren, andere Aussagen vermuten eine spätere Ansiedlung. Ein erstes Dokument, ein Kaufvertrag, ist auf 1541 datiert. Die Neuankömmlinge fanden in Thannhausen gute Lebens- und Arbeitsbedingungen. Thannhausen lag damals an einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt und verfügte über ein großes Einzugsgebiet als Wirtschaftszentrum. Die jüdische Gemeinde prosperierte schnell, auch wenn sie weit mehr mit Abgaben belastet wurde als der christliche Teil des Ortes.

    Die Lehensherrschaft wechselte in Thannhausen immer wieder

    Ihnen kam zugute, dass der Ort immer wieder an Lehensherren ging, die vor allem die finanzielle Ausbeutung ihrer Herrschaft im Visier hatten, während ihnen das vermeintliche Seelenheil ihrer Bewohner schlichtweg egal war. Die jüdische Gemeinde wuchs, zählte Ende des 16. Jahrhunderts über 30 Familien, was einem bedeutenden Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. Sie erstritten sich 1566 sogar das Recht, einen eigenen Friedhof zu haben, ein Privileg , das nur jüdischen Gemeinden von besonderer Größe und Einfluss zuteilwurde.

    Nach ihrer Vertreibung aus Augsburg siedelte sich wohl um 1570 sogar eine (verbotene) jüdische Druckerei an. In Thannhausen wurden 1594 zwei rituell wichtige Bücher in hebräischer Sprache gedruckt: Sulat und Machsor. Ein Machsor ist ein Gebetbuch, unter anderem mit Gebeten, die an Feiertagen vorgelesen werden. Von der Obrigkeit entdeckt, wurde streng gegen die Betreiber vorgegangen, die Bücher konfisziert. Lange galten sie als verschollen. Etwa zeitgleich bildete sich in Thannhausen eine Judenschule, die unter dem aus Binswangen zugezogenen Landesrabbiner Gottschalk ben Gedalia Rotheburg zu einer gefragten Schule für die jüdische Lehre wurde, die 1611 28 Schüler unterrichtete.

    Landesrabbiner, Schule und Druckerei machten Thannhausen in dieser Epoche zu einem der geistigen Zentren des Judentums in Schwaben. Das schlug sich auch im Bau einer neuen, angeblich großen Synagoge 1627 nieder, ein Jahr vor dem Ausbruch der Pest in Thannhausen und in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, was eine massive Dezimierung der Gesamtbevölkerung zur Folge hatte.

    Von der Synagoge, die sofort nach der Vertreibung der Juden abgerissen wurde, gibt es heute nur noch eine Spolie: der Opferstock, der nach ihrem Abbruch und dem Bau der Stadionkapelle an gleicher Stelle in die neue christliche Kirche verbracht worden war. Dieses seltene Stück erhaltener jüdischer Geschichte befindet sich derzeit in der Jubiläumsausstellung im Jüdischen Museum in München. In seiner Besonderheit hat ihn der jüdische Wissenschaftler Mordechai Bernstein auf einer Recherchetour durch Deutschland entdeckt.

    Ein weiteres Zeugnis der jüdischen Gemeinde in Thannhausen ist, zumindest in Kopie, an seinen Entstehungsort zurückgekehrt. Für den Heimatverein Thannhausen war es ein Glücksfall, dass eines der verschollenen Werke aus der jüdischen Druckerei in einer Oxforder Bibliothek entdeckt wurde.

    Der Einsatz von Pfarrer Karl B. Thoma in Oxford

    Pfarrer Karl B. Thoma, ein Unterstützer und Begleiter des Vereins, machte sich auf und konnte in der englischen Universitätsstadt eine Kopie des Thannhauser Machsors anfertigen lassen. Der Heimatverein hat daraus mit tatkräftiger Unterstützung durch das Staatsarchiv Augsburg in Ursberg zwei Bücher binden lassen.

    Eines wird im Staatsarchiv hinterlegt, eines bleibt im Besitz des Vereins. Die offizielle „Einweihung“ soll in diesem Herbst nach dem Ende der Pandemie feierlich begangen werden, freut sich Manfred Göttner, der plant, das Ereignis auch mit Fachvorträgen zu untermauern. Organisiert und finanziert wurde die Aktion ausschließlich durch den Verein, versichert Manfred Göttner, dem die ideologische und politische Unabhängigkeit wichtig ist.

    Hinweistafel an der Thannhauser Stadionkapelle.
    Hinweistafel an der Thannhauser Stadionkapelle. Foto: Gertrud Adlassnig

    Mit seinem Fokus auf die Sachbezogenheit hofft er auch, an weiteres Quellenmaterial zu kommen, das er unter anderem im Privatarchiv der Grafen Schönborn in Oberstadion zu finden hofft. „Die Quellen und Dokumente sind weithin verstreut. Manches liegt in Wien, anderes in bayerischen und schwäbischen Archiven und in Privatsammlungen.“ Es ist eine jahrelange Detektivarbeit, mit der der historische Verein endlich Licht in das Dunkel der jüdischen Geschichte Thannhausens bringen will. Was an Schriften vorliegt, ist oft allgemein, nicht durch Dokumente belegt, sind Rückschlüsse aus anderen, besser dokumentierten jüdischen Gemeinden.

    Vielleicht, so hofft Manfred Göttner, gelingt es auch noch, das Ende der jüdischen Epoche in Thannhausen aufzuklären. Wie in vielen anderen Bereichen, gibt es auch hier nicht viel mehr als die chronologischen Fakten und Mutmaßungen. Fast genau 99 Jahre nach dem Inkrafttreten des Schutzbriefes von Kaiser Mattias, am 27. August 1618, wurden die 20 jüdischen Familien aus Thannhausen am 24. August 1717 mit kaiserlicher Billigung von der Ortsherrschaft vertrieben.

    Was Johann Philipp von Stadion dazu bewegte, ist nicht bekannt. Die Juden wollten nicht aufgeben, lagerten zunächst außerhalb der Herrschaftsgrenze im Mindeltal, erhoben Einspruch, umsonst. Im Frühling 1718 wurde das Lager aufgelöst, die heimatlos gewordenen Juden mussten einen neuen Wohnort suchen. Ihre Grundstücke, ihre Häuser, die sie zurücklassen mussten, wurden verkauft. Vier konnten das selbst durchführen, acht Häuser wurden von der Ortsherrschaft an Christen verkauft. Zu welchem Preis und wie viel die einstigen Besitzer davon bekamen, das soll in Band vier der Annalen stehen - Band vier ist unauffindbar.

    Lesen Sie auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden