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Rehkitz vor dem sicheren Tod bewahrt
Oberrohr "Das kleine hilflose Ding hat mich mit großen Augen angeschaut und dann war es um mich geschehen," erzählt eine Frau aus dem südlichen Landkreis. Die 63-Jährige ist dafür verantwortlich, dass für ein Rehkitz eine traurige Geschichte ein glückliches Ende genommen hat.
Was war geschehen? Vor kurzem wurde auf der B 300 in der Nähe von Oberrohr eine Rehgeiß angefahren und starb. Die Polizei verständigte daraufhin Franz Hartl. Der 73-Jährige ist Jagdlehrer in der Zusmarshauser Jagdschule seines Sohnes Dr. Franz Josef Hartl. In Oberrohr hat die Schule ihr Lehrrevier.
"Die Rehgeiß lag mitten auf der Straße", so Hartl. Beim Entfernen von der Fahrbahn entdeckte man laut Hartl das "pralle Gesäuge" des Tieres. Damit ist klar: Die Geiß muss Junge geführt haben. In einer langen Suchaktion durchkämmten Franz Hartl und seine Jagdschüler das Gebiet rund um die Unfallstelle. Das hohe Gras der Wiesen machte ihnen die Suche nicht gerade einfach. Doch schließlich hatten sie Glück: In einem kleinen Wäldchen fanden sie ein einsames Rehkitz, zu diesem Zeitpunkt zirka eine Woche alt.
Hartl glaubt, dass das Kleine von der Mutter dort abgelegt wurde, während diese auf Futtersuche war. "Erst wenn Kitze drei, vier Wochen alt sind, gehen sie mit der Mutter mit. Dieses Kitz ist immer noch so, dass es bei jedem Laut erschrickt und sich duckt."
Zu Kräutern und Gräsern...
Die Mutter wollte nach seiner Vermutung zu den Kräutern und Gräsern auf der anderen Seite der Straße und wurde beim Überqueren der Fahrbahn angefahren. "Es ist furchtbar dort. Die Autos fahren immer so schnell vorbei," sagt der Jagdlehrer.
Nachdem die Suche nach weiteren Kitzen erfolglos blieb, stellte sich natürlich die Frage: Wohin mit dem hilflosen Bambi?
Ein befreundeter Jäger verwies Hartl an ein älteres Ehepaar, das sehr tierlieb ist und schon eine drei Jahre alte Rehgeiß hat. In einer mit Gras ausgelegten Mörtelwanne "stellte" er daraufhin den Rentnern das Kitz "vor".
Diese konnten sich gleich für das Tier begeistern und nahmen es spontan bei sich auf.
Das Rehwaise hört inzwischen auf den Namen "Sissi" und erhielt in einer Hütte eine neue Bleibe. Nun lebt es Tür an Tür mit Hase "Tommy".
"Am ersten Tag hat es schon sehr gefiept und geweint," berichtet die neue "Pflegemutter". Dieser Tag sei für sie "sehr bange" gewesen, da "Sissi" keine Milch genommen habe. Schließlich konnte man sich aber mit einem kleinen Trick behelfen: Die Ersatzeltern tröpfelten Milch auf das Fell des Tieres, bis es zu lecken anfing. Nach zwei Tagen habe es dann, so die Pflegemutter, mit dem Trinken geklappt.
Ihre Liebe zu den Rehen habe die 63-Jährige "von klein auf". Ihre Oma sowie ihre Schwiegermutter hätten schon Rehkitze gehabt. "Sissi" ist deshalb schon das zweite verwaiste Kitz, das die Frau mit ihrem ein Jahr älteren Ehemann aufgenommen hat.
Alle Hände voll zu tun
Nun haben die beiden Rentner jeden Tag alle Hände voll zu tun: Mindestens drei Mal täglich zu bestimmten Zeiten die Flasche geben, den Stall ausmisten und die "Erziehung" übernehmen. "Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viel Arbeit das ist", meint auch Franz Hartl. "Wenn wir beide berufstätig wären, könnten wir das gar nicht machen", sagt die Pflegemama.
"Sissi" sei "ganz quirlig" und lege ein richtiges Temperament an den Tag.
Es gibt kein Zurück mehr
In die freie Wildbahn wird das kleine Bambi jedoch nie mehr zurückkehren können, da seine Bindung zu den Menschen bereits zu fest ist und es durch den Tod der Mutter wichtige Verhaltensweisen zum Überleben in der Wildnis nicht lernen wird. "Wenn man das Tier aussetzt, würde es immer wieder zurückkommen", so Hartl.
"Sissi" scheint es aber nach Ansicht ihrer Ersatzmutter sehr gut bei ihr zu gefallen: "Immer, nachdem ich ihr die Flasche gegeben habe, schleckt sie mich ab und knabbert an mir herum als ob sie sagen wollte: Danke, dass ihr mich aufgenommen habt!"
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