Zu Tausenden begegnen uns die Gesichter der Politiker in diesen Zeiten auf Flyern, im Internet und auf Plakaten - es ist Wahlkampf. Aber was steckt dahinter? Welche Botschaft soll das freundliche Gesicht, das dort auf Pappe gedruckt am Laternenmast hängt, vermitteln? Sonja Grau ist Personal Shopperin in Ulm und kennt sich mit dem Thema Persönlichkeit bestens aus. Sie nimmt die Wahlwerbung der Bundestagskandidaten im Wahlkreis 255 Neu-Ulm/Günzburg, die Mitglied in einer Partei sind, für unsere Redaktion unter die Lupe – und dabei kein Blatt vor den Mund.
Eines gleich vorweg: Eine solche Bewertung ist natürlich hochgradig subjektiv. Ein paar grundlegende Details sind jedoch durchaus in Stein gemeißelt. Da ist etwa der Einfluss der Kleidung auf die äußere Wahrnehmung der Persönlichkeit. Der ist Grau zufolge nämlich ganz enorm: "Unglaublich viel, um nicht zu sagen alles", sagt sie. "Der erste Eindruck zählt" - das galt schon früher, gelte noch heute und werde, so Grau, auch noch in Zukunft Gültigkeit haben. Die Kleidung sei dafür da, dass sie gekonnt die Persönlichkeit unterstreicht und ihr den bestmöglichsten Ausdruck verleiht. "Der Mensch mit seiner eigenen Persönlichkeit und seiner Statur kann durch die entsprechende Kleidung stilvoll und bleibend in Szene gesetzt werden", fasst es die Modeberaterin zusammen.
Sonja Grau: "Die Wahlwerbung wirkt so durcheinander wie die Politik"
Und das gelte eben auch für die Politiker. Diesen empfiehlt Grau in jedem Fall, auf die "ureigenste Persönlichkeit" zu setzen. "Die Wahlwerbung gibt dem Kandidaten die Möglichkeit, sich über sein Foto so darzustellen, wie er in Wirklichkeit ist - diese Möglichkeit sollte er sich auch voll umfänglich zu eigen machen", erklärt sie. Gerade Politiker sollten sich selbst treu bleiben, denn ein falscher Eindruck trete ganz schnell zum Vorschein. Und im Kern geht es Grau zufolge schließlich darum, dass der Betrachter die Persönlichkeit auf dem Wahlkampffoto sieht und sagt: "Toll - diese Person scheint genauso zu handeln, wie sie aussieht und wie sie spricht. Der oder dem gebe ich meine Stimme. Dann ist die Wahlwerbung gelungen."
Und wie sieht die Realität im Wahlkreis 255 Neu-Ulm/Günzburg aus? "Die Wahlwerbung insgesamt - ohne irgendeine bestimmte hervorheben zu wollen - wirkt auf mich so durcheinander, wie es die Politik im Moment auch ist", sagt Grau. Aussagekraft und Stil in Einklang zu bringen, ist in ihren Augen nahezu niemandem gelungen. Dementsprechend nehme keine einzige Wahlwerbung den Betrachter auch wirklich mit, wie sie es nennt. Für viele Menschen werde die Stimmvergabe in dieser Bundestagswahl auch deshalb eine Art "Herumeiern" werden, vermutet die Modeberaterin. Betont aber: "Es ist immens wichtig, seine Stimmen abzugeben und sein Wahlrecht auch in Anspruch zu nehmen."
Bundestagskandidaten im Wahlkreis Neu-Ulm/Günzburg in der Einzelkritik
Alexander Engelhard, CSU
Sonja Grau: "Die Farbe des Wahlkampfplakates und damit die Basis für das Wahlkampffoto ist freundlich ansprechend. Es kommt rüber, dass Herr Engelhard für den Slogan "offen.ehrlich.zuverlässig" wohl auch steht. Allerdings sitzt die Krawatte nicht korrekt. Für Fotos, welche für diesen Zweck geschaffen werden, ist es ein No-Go, wenn die Kleidung oder ein Accessoires nicht richtig sitzt - auch wenn hier auf hohem Niveau gejammert wird."
Anke Hillmann-Richter, FDP
Grau: "Generell ist Schwarz-Weiß eine tolle Sache und macht sich ganz gut auf Fotos - allerdings weniger auf Wahlkampffotos. Hier nimmt Schwarz-Weiß der dargestellten Person in der Regel den Wahrnehmungsfaktor enorm. Bei Frau Hillmann-Richter ist es auch so. Das Analysieren ihrer Persönlichkeit bleibt für den Betrachter auf der Strecke und erscheint ihm eher energielos. Lediglich ihr annähernd starrer Blick dringt zum Betrachter durch. Obwohl das Oberteil oder Kleid nur hälftig zu sehen und in Schwarz dargestellt ist kommt es auf dem Foto nicht gut rüber - es verzerrt. Auch der Faltenwurf lässt keine Stilsicherheit erkennen. Das Foto soll für meine Begriffe auf altherkömmliche Werte setzen - dies gelingt aber in meinen Augen nicht so positiv wie womöglich angedacht."
Bastian Röhm, Tierschutzpartei
Grau: "Herr Röhm ist nett anzusehen, Fotos mag er aber wohl nicht so - zumindest kommt es beim Betrachter so rüber. Das Jeanshemd passt zu ihm und seiner Persönlichkeit. Das Sakko ist nicht seins. Es scheint so zu sein, dass man ihm sagte, dass ein Sakko Seriosität ausstrahlt. Diese gewollt dargestellte Seriosität kommt hier aber als Verkleidung rüber. Die Accessoires sind sein Ohrschmuck. Im Privaten okay - da kann jeder generell das tun, was er will. Für die Politik passt dieser eher nicht, er ist auch nicht wirklich stilvoll. Sein Accessoires Bart passt aber - er steht ihm gut zu Gesicht."
Daniel Mayer, Freie Wähler
Grau: "Die Freien Wähler sollten ihre Richtung im Hinblick auf Wahlkampfplakate bitte endlich grundlegend überdenken. Diese sind einfach nicht stilvoll und für den Betrachter in keiner Art und Weise ansprechend. Sie sind blass, langweilig und ausdruckslos. Leider kann man da als Kandidat dann auch nicht mehr viel reißen und ist bei der stillosen Ausstrahlung voll mit dabei. Das Outfit von Herrn Mayer ist so weit okay - ihm würde aber durchaus auch ein lässigeres Outfit gut zu Gesicht stehen. Das Accessoire Bart passt zu ihm."
Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen
Grau: "Das Wahlplakat ist definitiv zu dunkel gehalten - Grün in Ehren, aber so viel Grün? Die Persönlichkeit tritt damit in den Hintergrund, die Schrift "Veränderung geht nur gemeinsam" steht im Vordergrund - aber: steht für wen? Der Betrachter kann die abgebildete Person nicht korrekt beurteilen, weil sie in Grün-Schwarz dargestellt ist und dazu muss man nicht einmal eine rot-grüne Sehschwäche haben, um nichts erkennen zu können. Mit ihrem Stil ist Frau Deligöz auf der eher konservativen Seite. Der klassische Bürostil in Managerin-Manie ist weder authentisch noch steht er für die Grünen."
Florian Lipp, Volt
Grau: "Obwohl bei diesem Wahlplakat die Person nicht wirklich im Vordergrund steht, weil Schrift und Aufmachung des Plakates der dargestellten Person erschweren zu erstrahlen, gelingt es Herrn Lipp dennoch, irgendwie auf sein charmantes Lächeln aufmerksam zu machen. Die Kleidung und das Accessoire Bart passen zu seinem Ausdruck. Obgleich das Foto schwarz-weiß ist, was ich, wie bereits erwähnt, für Wahlplakatfotos nicht gutheiße. Ein No-Go auf diesem Wahlplakat ist allerdings das Hände-Übereinanderschlagen. Diese dargestellte Geste ist nicht authentisch und wirkt aufgesetzt. Es erzeugt auch keine Volksnähe, sondern eher das Gegenteil. Das Wahlplakat insgesamt ist zu dunkel gehalten. Würde Herr Lipp nicht so lächeln, dann würde das Plakat sicherlich durchgängig übersehen werden."
Gerd Mannes, AfD
Grau: "Aber hallo - Herr Mannes sollte sich wahrlich für ein Gesicht im Wahlkampf entscheiden. Beim Betrachten muss ich mir die Frage stellen, ob das Bild mittels Filter eine zu starke Behandlung erfahren hat (wenn ich mir die unterschiedlichen Fotos von Herrn Mannes anschaue). Authentizität geht anders. Sein Trachtenjackett soll wohl Gemütlichkeit und Altbewährtes vermitteln - tut es aber nicht. Denn, schaut man auf den Rest, dann driftet Wollen und Sein einfach auseinander. Dazu kommt, dass das Hemd überhaupt nicht sitzt - ein absolutes No-Go für Wahlkampffotos. Das Accessoire rahmenlose Brille soll Seriosität ausstrahlen - fällt weg. Fazit: Auch bayerischen Stil muss man zielorientiert und stilvoll authentisch umsetzen."
Karl-Heinz Brunner, SPD
Grau: "Das Wahlkampffoto ist so weit gut, und es fällt auf. Die Partei bleibt ihrer Linie fototechnisch treu. Herr Brunner hat auf dem Foto einen Wiedererkennungswert, obgleich er sich für meine Begriffe in seinem Anzug nicht wirklich daheim zu fühlen scheint. Aber viele Politiker meinen ja oftmals, dass der Anzug zu Berlin und damit zur Politik gehört. Sucht man sich aber für sich selbst - seine Persönlichkeit und Statur - eine stilvolle Kombination, dann würden sich viele Politiker, wie auch sicherlich Herr Brunner, mehr zu Hause fühlen, was schlussendlich dann auch auf dem Foto so rüber kommen würde. Natürlich bedarf es aber für einen solchen stilvollen Weg auch Mut zur Lücke. Der Fotograf von Herrn Brunner könnte ihn beim nächsten Mal vielleicht ein bisschen anders platzieren, damit auch sein Hemdkragen besser platziert wird. Die Accessoires Brille und Bart sind authentisch und passen zu Herrn Brunner."
Krimhilde M. Dornach, ÖDP
Grau: "'Geschniegelt und gepimpt - das bin aber eigentlich nicht ich' könnte der Slogan hier heißen. Schade, denn so sollte Wahlwerbung wahrlich nicht sein. Eher: 'Wir wollen doch dich sehen, wie du wirklich bist und wie wir dich auch wieder erkennen würden!' Frau Dornach kommt jedenfalls nicht authentisch rüber. Sie hat sich schick gemacht, wobei ich ihr unterstelle, dass sie sich im richtigen Leben nicht wirklich so, wie abgebildet, kleiden würde - nur eben hier und heute, zum Wahlkampffototermin. Das Accessoires Brille ist okay - ebenso ihr Lächeln. Das Wahlkampffoto insgesamt ist von den Farben her auffallend - weniger Worte hätten es aber auch getan. Den Slogan 'Machen Sie das Unmögliche möglich!' passt zur abgebildeten Person leider nicht."
Philipp Meier, Piratenpartei
Grau: "Diese Darstellung finde ich für den Wahlkampf nicht geeignet. Vorstellen kann sich hier der Betrachter für meine Begriffe gar nichts - außer vielleicht eine schlechte 'Zigaretten-rauchen-gefährdet-Ihre-Gesundheit-Werbung'."
Xaver Merk, Die Linke
Grau: "Was mir beim Betrachten dieses Fotos sofort auffällt ist, dass ein Slogan fehlt. Gibt es keinen oder wurde er nur vergessen aufzudrucken? Dieses Wahlkampffoto könnte genauso gut beim Hausarzt im Wartezimmer hängen und auf das Thema 'Bluthochdruck' aufmerksam machen wollen oder irgendwo aushängen und aussagen: 'Wo bitte ist der nächste Stammtisch und wo mein Bier?'. Eine stilvoll, aussagekräftige politische Darstellung ist dies nicht. Hier kann auch das eingesetzte Accessoires Brille nichts herausreißen."
Roman Albrecht, Die Basis
Grau: "Mit den Farben des Wahlplakates und der eher klaren Aufmachung kann man nicht viel falsch machen - man hatte aber sichtlich nicht den Mut, ein ansprechendes, wirkungsvolles Statement zu setzen. Das Plakat ist eher langweilig. Herr Albrecht hinterlässt keinen bleibenden Eindruck. Betrachtet man sein Wahlkampffoto, dann sieht man ihn zwar als nicht unsympathischen Kerl an - schnell ist er aber wieder in Vergessenheit geraten. Er ist einer von vielen. Weder durch eine gut geschnittene Frisur, einer gepflegten Bartvariation noch durch seine Kleidung kann er wirklich punkten. Für den Zweck "Stimmenfang" sehe ich das Wahlplakat als "null-acht-fünfzehn" an."