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Landkreis Günzburg: So endete der Zweite Weltkrieg in Mittelschwaben vor 75 Jahren

Landkreis Günzburg

So endete der Zweite Weltkrieg in Mittelschwaben vor 75 Jahren

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    Das Kriegsende in Krumbach: Am 27. April 1945 marschierten US-Truppen in die Kammelstadt ein und eroberten sie praktisch im Handstreich. Unser Bild zeigt gepanzerte Fahrzeuge der US-Armee in der Karl-Mantel-Straße.
    Das Kriegsende in Krumbach: Am 27. April 1945 marschierten US-Truppen in die Kammelstadt ein und eroberten sie praktisch im Handstreich. Unser Bild zeigt gepanzerte Fahrzeuge der US-Armee in der Karl-Mantel-Straße. Foto: Sammlung Hilber

    Nachrichten aus der Region, an einem Apriltag des Jahres 2020. Eine 37-jährige Frau berichtet, wie sie sich gegen die Corona-Erkrankung schützt. Sie leidet seit Langem an Mukoviszidose, einer schweren, chronischen Lungenkrankheit. Nun, in diesen Corona-Zeiten, ´gehört sie zur sogenannten „Hochrisikogruppe“. Am selben Tag wird eine Anzeige zum Tod von Franz Buchberger veröffentlicht. Der Heimatvertriebene, 1925 im Sudetenland geboren, hat sich im Kreis Günzburg nach dem Ende des Krieges maßgeblich um die Menschen gekümmert, die aus den verlorenen Gebieten im Osten zu Tausenden auch in unsere Region kamen.

    Nun steht im Text der Todesanzeige: „Die Beerdigung findet aus aktuellem Anlass im engsten Familienkreis statt.“ Der „aktuelle Anlass“: Das ist die sogenannte Corona-Krise, die selbst das Trauern so schwer macht. Sich umarmen, sich berühren: Das ist Trost in der Trauer. Doch nun stehen die Menschen bei Beerdigungen auf den Friedhöfen weit voneinander entfernt. Und so wird die Beerdigung von Menschen wie Franz Buchberger, deren Leben vor allem in jungen Jahren durch die Gewalt des Krieges geprägt war, wieder zu einer Art Ausnahmezustand.

    Viele Zeitzeugen leben nicht mehr

    Es sind auch solche Umstände dieser bizarren Gegenwart, die uns anders auf die Ereignisse vor 75 Jahren, das Ende des Zweiten Weltkriegs, die sogenannte Stunde Null, blicken lassen. Buchberger und viele andere haben als „Zeitzeugen“ intensiv über die Geschehnisse vor 75 Jahren berichtet.

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    Viele von ihnen leben nicht mehr, doch gerade jetzt, in diesen bewegten Zeiten, stehen ihre Erzählungen wieder auf eine sehr markante Weise im Raum. „Heute bekommen ihre Erzählungen eine neue Dringlichkeit, am liebsten würden wir sie noch mal fragen, die Alten, wie sie das damals alles ausgehalten und ob sie auch Angst gehabt haben wie viele von uns heute“, schreibt Hilmar Klute in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung.

    Gebiet des heutigen Landkreises wird in nur wenigen Tagen erobert

    Das „Damals“, das ist gerade jetzt der Blick auf die Ereignisse des Kriegsendes vor 75 Jahren. Blicken wir also noch einmal hinein in diese Zeit. Im April des Jahres 1945 erobern US-Truppen und sie begleitende französische Verbände das Gebiet des heutigen Landkreises Günzburg in nur wenigen Tagen. Mitunter ist bei Historikern zu lesen, dass der Einmarsch geradezu unspektakulär verlief. Doch wer auf die Ereignisse im Detail blickt, dem begegnet Angst, Ungewissheit, Beklemmung, Armut, Verlust in all seinen Dimensionen, mitunter auch Scham über die Verbrechen der Nazis, die auch im Kreis

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    Aber da ist auch Erleichterung, die in den Apriltagen des Jahres 1945 vor allem bei den alliierten Soldaten spürbar ist. Sie haben schwere Kämpfe an der Westfront hinter sich, nun scheinen sich die deutschen Streitkräfte mitunter regelrecht aufzulösen.

    NS-Kreisleiter gibt Durchhalteparolen aus

    Auf einem am 22. April 1945 aufgenommenen Foto lächelt US-Sergeant Ed Bernstein in die Kamera. Lässige Haltung, daneben ein Schild mit der Aufschrift „Sie überschreiten jetzt die schöne blaue Donau ...“. Bernstein ist Soldat der 12. US-Panzerdivision. In Dillingen überwältigen Soldaten dieser Division die völlig überraschte deutsche Brückenwache im Handstreich. Die

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    Von der NS-Elite kommen Durchhalteparolen. Der Günzburger Kreisleiter Georg Deisenhofer hält eine dieser Reden, die im Frühjahr 1945 so oft zu hören sind. Er spricht bei der offiziellen Trauerfeier für die Opfer eines Bombenangriffs auf Günzburg einige Tage zuvor. „Wir geloben ihnen (den Toten) in dieser Stunde, unsere ganze Kraft einzusetzen und nicht zu wanken, bis der Sieg unser ist.“

    Krumbacher berichtet vom Einmarsch der Amerikaner

    Es kommt anders. Bereits am 28. April stehen die US-Truppen in Augsburg. Der Krumbacher Georg Hofmeister, damals zwölf Jahre alt, erlebt den Einmarsch der Amerikaner. Er erinnert sich an das von Westen hörbare Artilleriefeuer, die Gespräche in Krumbachs Straßen. „Die Amis sind schon in Weißenhorn, morgen sind sie wohl in …“ Immer wieder zieht sich die Familie in ihren Keller in der Krumbacher Karl-Mantel-Straße zurück. Viele Menschen haben Angst, denn da sind auch die Standgerichte, die SS-Männer.

    Und der Befehl Himmlers, der fordert, dass aus einem Haus, aus dem eine weiße Fahne erscheint, ohne zu zögern alle männlichen Personen im Alter über 14 Jahren zu erschießen seien.

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    Günzburg ist teils zerstört

    In Günzburg rücken am 25. April US-Soldaten über die zerstörte, aber noch passierbare Brücke an der Heidenheimer Straße Richtung Günzburg vor. „Gegen 19 Uhr besetzten sie die Stadt, um 21.30 Uhr ,eroberten’ sie das Rathaus“, schreibt Historiker Zdenek Zofka. Eine wesentliche Rolle bei der Übergabe der Stadt spielt Stadtbaumeister Seethaler. Er kann vor dem Einmarsch der US-Truppen die Zerstörung von Wasserwerk und Elektrizitätswerk abwenden. Bei den Gesprächen mit den US-Truppen sind die Englischkenntnisse von Kaufmann Ottmar Frick, der vor dem Ersten Weltkrieg einige Jahre in London war, offensichtlich sehr hilfreich.

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    NS-Kreisleiter Georg Deisenhofer hatte sich zu diesem Zeitpunkt abgesetzt, auf Schloss Harthausen waren einige Zimmer beschlagnahmt, es wird von ausschweifenden Feierlichkeiten berichtet, Deisenhofer wird schließlich, so schreibt Zdenek Zofka, in Zivil in seinem Heimatort Waldkirch von den Amerikanern verhaftet.

    Krumbach wird als Lazarettort anerkannt

    Einige Kilometer weiter südlich nähern sich die US-Truppen am 26. April 1945 der Krumbacher Stadtgrenze. Kann die Stadt vor Zerstörungen bewahrt werden? Bürgermeister Konrad Kling und der Oberstabsarzt im damaligen Reservelazarett Krumbad, Dr. Adalbert Wohllaib, erreichen, dass das Krumbad – und damit auch Krumbach – international als Lazarettort anerkannt wird. Damit scheint es möglich, dass Krumbach von Kampfhandlungen verschont bleiben könnte.

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    Voraussetzung ist allerdings, dass sich keine deutschen Truppen in der Stadt aufhalten. Doch das lässt sich kaum vermeiden in dieser außer Rand und Band geratenen Zeit. So schlagen am 26. April amerikanische Granaten in der Stadt ein. Auf dem Rathaus und auch dem Kirchturm werden weiße Fahnen gehisst und in den Morgenstunden des 27. April fassen sich Kling und Standortkommandant Wohllaib ein Herz. Sie nähern sich den Amerikanern im Bereich der Kreuzung der Ulmer- mit der Bahnhofstraße und übergeben offiziell die Stadt.

    Bevölkerung wird entwaffnet

    Umgehend ergeht von den Besatzern der Befehl, dass die Bevölkerung alle Waffen (auch Hieb- und Stichwaffen) im Bereich der Druckerei Ziegler abgeben muss. Ähnlich verläuft die Besetzung in vielen Orten der Region.

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    Immer wieder riskieren Menschen in diesen Tagen ihr Leben (die NS-Standgerichte sind eine permanente Gefahr), um Schlimmeres zu verhindern. In Burgau macht Unteroffizier Georg Burger eine Brückensprengladung unschädlich. Seit dem Jahr 2007 wird dies durch eine Gedenkplatte an einer der Mindelbrücken gewürdigt. In Scheppach tagt ein Standgericht unter Vorsitz eines hohen Offiziers. Mehreren Bürgern (darunter offenbar auch den Bürgermeistern von Jettingen und

    Rund 300 Tote bei Kämpfen nahe Leipheim

    Die Berliner Journalistin Ursula von Kardoff, die vor der Roten Armee nach Süddeutschland geflohen war, erlebt und schildert die Ereignisse vor Ort, die, wie Andreas M. Rau in seiner Darstellung schreibt, in Details widersprüchlich bleiben. Als die Mitglieder des Standgerichts erfahren, dass US-Truppen schon in der Nähe sind, setzen sie sich offenbar überstürzt ab. Mit Blick auf die erbitterten Endkämpfe im Osten oder auch die schweren Bombenangriffe in der Endphase des Krieges wird das Kriegsende in der heimischen Region oft als glimpflich bezeichnet.

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    Zu heftigeren Kämpfen mit insgesamt wohl rund 300 Toten kommt es im Bereich von Leipheim (hier war der Fliegerhorst ein zentrales Ziel der US-Truppen) und Offingen. Doch flächendeckende schwere Kampfhandlungen bleiben der Region 1945 erspart.

    Jüdische Gemeinden in Ichenhausen und Hürben sind ausgelöscht

    Aber da sind diese vielen anderen Narben. Die jüdischen Gemeinden in Ichenhausen und Hürben? Ausgelöscht. Der aus Günzburg stammende berüchtigte KZ-Arzt Josef Mengele? Auf der Flucht. Im Strafgefangenenlager Neuoffingen, im Zwangsarbeiterlager Schnuttenbach, im KZ-Außenlager Burgau (wo in der Endphase des Krieges rund 1000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht werden) und im sogenannten Waldwerk Kuno, wo Zwangsarbeiter für Hitlers „Wunderwaffe“, den Düsenjäger Me 262 schuften, kommt das hässliche Gesicht der Nazizeit ans Tageslicht.

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    Menschen mit Behinderung? Rund 800 wurden umgebracht, etwa zu gleichen Teilen aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Günzburg und aus den Anstalten der St.-Josefs-Kongregation Ursberg. Tausende von den Nazis verschleppte Zwangsarbeiter befinden sich nach Kriegsende noch in der Region.

    Bruder von Theo Waigel fällt in den letzten Kriegstagen

    Tausende von Heimatvertriebenen sollten erst kommen. Auf dem Gelände des Fliegerhorsts Leipheim wird im Dezember 1945 ein jüdisches DP (Displaced Persons)-Camp mit bis zu 3000 Bewohnern eingerichtet. Sie haben den Holocaust überlebt. Viele wandern in den neu gegründeten Staat Israel aus, das Camp wird im Jahr 1949 aufgelöst.

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    Tausende blutjunge Soldaten sind vor allem in der letzten Kriegsphase gefallen, wie etwa der 18-jährige Bruder des späteren Bundesfinanzministers Theo Waigel.

    Viele der Menschen, die all das damals überstanden haben, sind mittlerweile nicht mehr am Leben. Geblieben ist aber so manche Tagebuchaufzeichnung und auch so manches Foto mit diesen so charakteristischen, gezackten, weißen Rändern. Mit Blick auf die derzeit so bewegten Zeiten schauen nicht wenige solche Fotos wieder sehr genau an.

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