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Krumbach/Ulm: So bewertet ein Experte das Reichsbürger-Netzwerk in Krumbach und Umgebung

Krumbach/Ulm

So bewertet ein Experte das Reichsbürger-Netzwerk in Krumbach und Umgebung

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    Schreiben dieser Art werden häufig bei Hausdurchsuchungen in Reichsbürgerkreisen gefunden. Ob auch im aktuellen Fall eines Netzwerks rund um einen Krumbacher Bundeswehrmitarbeiter entsprechendes Material gefunden wurde, ist nicht bekannt. Das verwundert aber nicht, sagt Sebastian Lipp im Interview.
    Schreiben dieser Art werden häufig bei Hausdurchsuchungen in Reichsbürgerkreisen gefunden. Ob auch im aktuellen Fall eines Netzwerks rund um einen Krumbacher Bundeswehrmitarbeiter entsprechendes Material gefunden wurde, ist nicht bekannt. Das verwundert aber nicht, sagt Sebastian Lipp im Interview. Foto: Arne Dedert/dpa (Symbolbild)

    Herr Lipp, vor einem Monat wurde bekannt, dass ein alteingesessener Krumbacher Kopf einer Gruppe von Reichsbürgern innerhalb der Bundeswehr sein soll. Der 63-Jährige erschoss sich daraufhin vor dem Krumbacher Krankenhaus, die Stadt stand unter Schock. Ist die Region unbemerkt ein Hotspot der Rechten geworden?

    Sebastian Lipp: Ich würde nicht von einem Hotspot sprechen. Aber es gibt schon eine Reihe von Bezügen der extremen Rechten in die Region. Es gibt weitere Reichsbürger und Menschen aus der völkischen Szene, nationalistische Burschenschafter, die teilweise schon seit Jahrzehnten in ganz Bayern aktiv sind. Oder auch den ein oder anderen Neonazi aus dem Umfeld von Voice of Anger, die die größte Gruppierung ihrer Art in Süddeutschland ist und das Allgäu in den vergangenen Jahren zu einem Hotspot der Rechtsrock-Szene gemacht hat.

    Ist die Szene in Mittelschwaben nur Teil eines größeren Netzwerks, das sich über ganz Süddeutschland erstreckt?

    Sebastian Lipp: Die extreme Rechte ist eher wie ein mosaikartiges Netzwerk. Man kennt sich über andere, so bilden sich kleine Subnetzwerke aus, die über Personen wiederum miteinander verbunden sind. Insofern haben wir statt einem großen Netzwerk eher eine große Vielzahl kleinerer Netzwerke innerhalb der extremen Rechten – mit teils großen Überschneidungen untereinander. Das macht es natürlich für Sicherheitsbehörden schwieriger, da einzugreifen, vor allem wenn die Vernetzungen oft nur sehr lose sind.

    Sebastian Lipp im Interview: "Strukturen bei der Bundeswehr ziehen Rechtsradikale an"

    Im vorliegenden Fall haben Ermittler Erfolg gehabt und ein Netzwerk von acht mutmaßlichen Reichsbürgern aufgedeckt, die zivile Mitarbeiter bei der Bundeswehr in Ulm waren. Hat es Sie überrascht, dass ausgerechnet innerhalb einer Organisation, die eigentlich den Staat schützen soll, eine solche Radikalisierung hin zu einer Ablehnung des Staates geschehen ist?

    Sebastian Lipp: Nicht im Geringsten. Es werden seit Jahren Netzwerke von Reichsbürgern, Neonazis, Preppern und sonstigen Rechtsradikalen in Bundeswehr, Polizei und anderen Sicherheitsbehörden aufgedeckt. Gleichzeitig erleben wir, dass Behörden und Regierungen da eher mauern, das gerne herunterspielen. Das ändert sich aktuell ein wenig. Das Parlamentarische Kontrollgremium im Bundestag hat die Existenz solcher Netzwerke zumindest in der Bundeswehr amtlich bestätigt.

    Die Verdächtigen nutzten Büros auf dem Hensoldt-Gelände.
    Die Verdächtigen nutzten Büros auf dem Hensoldt-Gelände. Foto: Alexander Kaya

    Aber warum scheinen gerade diese Gruppen anfällig für derlei Gedankengut zu sein?

    Sebastian Lipp: Die sehr autoritären Strukturen in Bundeswehr und Polizei und deren Kernkompetenz von Gewalt- und Machtausübung ziehen Rechtsradikale an. Sie haben die Hoffnung, wenn es zu einer Revolution komme, könne man aus diesen Strukturen heraus einen Putsch anzetteln. Und selbst wenn das nicht gelänge, hätte man zumindest Bewaffnung und entsprechendes Know-how. Solche Umsturzpläne hat es in manchen Gruppen nachweislich gegeben.

    Reichsbürger aus Krumbach: Sebastian Lipp glaubt nicht an ein Doppelleben

    Der für die Ermittlungen zuständige Militärische Abschirmdienst (MAD) steht im aktuellen Fall in der Kritik, unter anderem, weil der Hauptverdächtige aus Krumbach quasi vor deren Nase Suizid begangen hat. Hat der Geheimdienst hier versagt?

    Sebastian Lipp: Um das zu beurteilen, wissen wir zu wenig. Tatsächlich stand der Mann wohl unmittelbar vor seiner Selbsttötung unter Observation und wurde auch noch dabei beobachtet, wie er Beweismittel entsorgt hat. Dann aber wollen sie ihn aus den Augen verloren haben. Gerüchte besagen, dass die Observation abgebrochen wurde, weil sie Angst vor Kontrollen am Krankenhaus hatten. Aber was genau passiert ist, das wissen wir nicht.

    Schauen wir uns den Hauptverdächtigen an. Viele kannten den Verstorbenen, er galt als gesellig und war ehrenamtlich aktiv. Von seiner Gesinnung will in Krumbach niemand etwas gewusst haben. Ist es realistisch, dass jemand ein so perfektes Doppelleben führen kann?

    Sebastian Lipp: Ich würde hier nicht unbedingt von einem Doppelleben sprechen. Wir sehen das in unseren Recherchen oft, dass Neonazis und andere Rechte erstaunlich offen mit ihrer Gesinnung umgehen, während gleichzeitig das Umfeld kaum darauf reagiert. Das liegt daran, dass die Rechten sich oft vorsichtig rantasten, bei wem sie wie weit gehen können. Es hat für sie schließlich Vorteile, zur bürgerlichen Gesellschaft zu gehören, nicht ausgestoßen zu sein. Das Hauptproblem ist, dass solche Leute häufig nicht ernst genommen werden, und in ihrem Umfeld eher weggeschaut wird.

    Reichsbürger sind für ihre Waffenaffinität bekannt

    Der Mann war auch Mitglied im Schützenbund, besaß einige legale Waffen. Die Waffenaffinität scheint gerade bei Reichsbürgern ein häufiges Merkmal zu sein.

    Sebastian Lipp: Dass sie sich massiv Waffen zulegen, auch legal, das sehen wir immer wieder. Seit einigen Jahren wird hier auch verstärkt versucht, bekannte Reichsbürger zu entwaffnen. Aber gerade bei solchen Personen, die in der Bundeswehr sind, im Schützenverein sind, und lokal bis dato nicht auffällig geworden sind, verwundert es nicht, dass hier nichts passiert.

    Der Krumbacher zeigte immer wieder seine Sympathien für die Ideen der Querdenker-Szene, auch wenn er nicht aktiv an Demonstrationen teilnahm. Gibt es diese Überschneidung häufiger?

    Sebastian Lipp: Die Querdenker-Szene ist ziemlich offen für alles bis ganz nach rechtsaußen. Über die Erzählung, das sei nur ein harmloser Haufen, der sich bürgerrechtsbewegt gibt, werden unbedarfte Leute erst mal eingesammelt. Über Verschwörungsideologien bieten ihnen Rechtsradikale dann ihre Feindbilder als vermeintliche Erklärungen an. Die Radikalisierung kann dann sehr schnell passieren. Selbst klar nationalsozialistische Äußerungen stoßen dann teilweise nicht mehr auf Kritik in diesen Gruppen. Die Rekrutierung bei den Reichsbürgern funktioniert nach ganz ähnlichen Mustern.

    Sebastian Lipp: "Werden keine weiteren Netzwerke innerhalb der Bundeswehr fallen sehen"

    MAD und Verteidigungsministerium geizen sehr mit Informationen zum Stand der Ermittlungen im aktuellen Fall. Erwarten Sie eine vollständige Aufklärung des Falls?

    Sebastian Lipp: Ich denke schon, dass man dieses Netzwerk in Ulm ausleuchtet, um es dann als erledigt präsentieren zu können. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass es nicht darüber hinausgehen wird und wir weitere Netzwerke innerhalb der Behörden fallen sehen werden. Man muss bedenken, dass das ja kein isoliertes Netzwerk von Reichsbürgern war, sondern ein Netzwerk von Reichsbürgern UND Bundeswehrangehörigen. Und da haben die natürlich auch intern einen gewissen Einfluss. Es ist immer ein strukturelles Problem, wenn eine Behörde versucht, bei sich selbst aufzuräumen.

    Sebastian Lipp ist Journalist und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus.
    Sebastian Lipp ist Journalist und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus. Foto: Anja Worschech

    Zur Person Sebastian Lipp ist Journalist und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit der rechtsradikalen Szene in Südschwaben. Der 32-jährige Kemptener betreibt den Blog „Allgäu rechtsaußen“, wo er die Umtriebe der Rechten in der Region dokumentiert. Außerdem arbeitet er als freier Journalist für überregionale Medien.

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