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Krumbach: Sie wurde sexuell belästigt: Nadine Mayr erzählt ihre Geschichte

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Sie wurde sexuell belästigt: Nadine Mayr erzählt ihre Geschichte

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    Nadine Mayr wurde auf einer Party sexuell belästigt. Der Vorfall beschäftigt sie noch heute. Sie sucht trotzdem bewusst die Öffentlichkeit. Um auf das Thema aufmerksam zu machen.
    Nadine Mayr wurde auf einer Party sexuell belästigt. Der Vorfall beschäftigt sie noch heute. Sie sucht trotzdem bewusst die Öffentlichkeit. Um auf das Thema aufmerksam zu machen. Foto: Alexander Sing

    Seit der Nacht vom 25. auf den 26. Mai 2019 kann Nadine Mayr nicht mehr ruhig schlafen. Immer wieder wacht sie nachts auf, schläft nicht mehr als drei Stunden am Stück. Erst wenn es draußen hell wird, kommt sie zur Ruhe.

    Im Gespräch merkt man schnell: Die Krumbacherin hat viel über das nachgedacht, was ihr passiert ist. Und man merkt auch, dass es sie mitnimmt. Beim Erzählen knetet die 30-Jährige ihre Hände, kratzt sich immer wieder, sodass die Haut schon gerötet ist. Was passierte in jener Nacht? „Ich habe ihn vorher nicht gekannt. Er war der Freund eines Bekannten, hat sich dann auf der Party zu uns gestellt. Das war o. k., ich habe kein Problem, mit Fremden zu feiern. Aber irgendwann wurde er zudringlich.“ Er, das ist ein damals 20-Jähriger, der wegen seiner Tat am vergangenen Montag vor dem Amtsgericht Günzburg zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde.

    Nadine Mayr nahm er erst ins Visier, als sie einer anderen Frau half. „Sie hat mich um Hilfe gebeten, weil er sie so bedrängt hat. Ich kannte sie nicht.“ Sie zog ihn mehrmals von der anderen Frau weg, stellte sich schließlich zwischen ihn und sie. Dann wurde Nadine Mayr selbst zum Opfer. Der junge Mann umarmte sie von hinten, versuchte sie zu küssen. „Mein ganzer Hals hat mir am nächsten Tag wehgetan“, erzählt sie. Anders als in der Anklage beschrieben, habe er sie aber nicht an intimen Stellen angefasst. Das sagte sie auch vor Gericht so, wo sie als Nebenklägerin auftrat. „Auch wenn Zeugen das anders gesehen haben wollen. Er soll für nichts bestraft werden, was er nicht gemacht hat.“

    Nadine Mayr fühlte sich hilflos und alleingelassen

    Die 30-Jährige musste sich heftig gegen den Übergriff wehren, selbst eine Ohrfeige hielt den zehn Jahre jüngeren Mann nicht ab. „Ich bin schon öfter angebaggert oder auch umarmt worden. Aber so penetrant, das habe ich vorher noch nie erlebt. Er hat mich sogar noch gefragt, warum ich denn jetzt so böse sei.“ Sie musste den Mann mehrfach stark von sich Wegstoßen, ehe er von ihr abließ – und sich auf die Suche nach anderen Opfern machte. Das fand er laut Nadine Mayr später auch in Person eines stark alkoholisierten Mädchens, das er an intimen Stellen begrapschte. Eine Anzeige gab es von diesem Mädchen bisher nicht.

    Nadine Mayr sagt von sich selbst: „Ich bin eigentlich eine starke Frau.“ Körperlich konnte sie sich gegen den schmächtigen jungen Mann ja durchaus wehren. Und auch sonst sei sie ein durchsetzungsstarker Mensch, sagt die 30-jährige Mutter eines Sohnes. In dem Moment habe sie sich aber hilflos gefühlt. „Ich habe mehrere Leute angesprochen und um Hilfe gebeten. Sie standen um uns rum und haben zugeschaut. Keiner hat geholfen, auch vermeintliche Freunde nicht.“

    Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

    Wenn unerwünschtes "sexuell bestimmtes Verhalten" die Würde eines Menschen verletzt, liegt dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zufolge eine sexuelle Belästigung vor.

    Gemeint sind unerwünschte sexuelle Handlungen, sexuelle Anspielungen oder das Zeigen pornografischer Bilder

    "Insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird", heißt es in Paragraf 3.

    1994 hatte der Bundestag das Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz erstmals mit dem Beschäftigtenschutzgesetz aufgegriffen und Arbeitgeber verpflichtet, die Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz schützen.

    Es wurde 2006 vom AGG abgelöst. (dpa)

    Zwei Tage nach der Party geht Nadine Mayr auf Drängen eines Freundes zur Polizei. Auf der Wache in Krumbach sei man sehr sensibel mit ihr umgegangen. Sie bereut ihren Schritt nicht. „Ich dachte mir: ,Der gehört gestoppt.’ Eine Woche später habe ich ihn schon wieder auf einer Party gesehen.“ Mit ihrem Schritt wolle sie auch anderen Frauen helfen, die das bisher noch nicht erleben mussten.

    Angeklagter wird nach Jugendstrafrecht verurteilt

    Vom Amtsgericht wurde der heute 21-Jährige, gegen den zu einem früheren Zeitpunkt bereits wegen illegaler Verbreitung von Pornografie und vorsätzlicher Körperverletzung ermittelt worden war, noch nach Jugendstrafrecht verurteilt. Für Nadine Mayr ist das nicht nachvollziehbar. „Mit 21 ist man doch kein Jugendlicher mehr. Zumal er ja vorher schon auffällig geworden ist.“ Das Gericht hatte sich auf die Einschätzung der Jugendgerichtshilfe verlassen, die den Mann als noch recht unselbstständig und „jugendtypisch“ einstufte.

    Dennoch akzeptierte Mayr als Nebenklägerin das Urteil: zwei Freizeitarreste und ein soziales Training muss der Verurteilte absolvieren. Außerdem soll er 500 Euro Schmerzensgeld zahlen. „Ich hätte mir eine Therapie gewünscht, weil ich ihn wirklich für gefährlich halte. Aber im Arrest kann er vielleicht noch ein wenig über sich nachdenken. Und die 500 Euro tun ihm sicher weh.“

    Nadine Mayr empfiehlt Selbstverteidigungskurse

    Wenn Nadine Mayr jetzt auf Partys geht, dann nur in Begleitung eines guten Freundes. „Leider kann ich anderen Frauen nur empfehlen, immer mit einem Mann wegzugehen.“ Auch Selbstverteidigungskurse hält die Krumbacherin für sinnvoll, am besten verpflichtend an Schulen. Denn auf die Hilfe anderer könne man sich nicht verlassen. Das musste sie selbst erfahren. Dabei könne man immer helfen: „Es gibt viele Wege, etwas zu tun. Man muss gar nicht direkt eingreifen. Holt Security oder die Polizei. Stellt euch mit mehreren Leuten um das Opfer. Sagt etwas.“ Sich so alleingelassen zu fühlen wie sie selbst, das wünscht Nadine Mayr niemandem.

    Noch ist offen, ob der junge Mann das Urteil akzeptiert. Sollte er in Berufung gehen, könnte die Sache am Landgericht erneut verhandelt werden. Nadine Mayr ist bereit dafür. „Ich hoffe aber, dass er seine Strafe akzeptiert. Und ich damit abschließen kann.“

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar des Autors: Sexuelle Belästigung: Wir müssen mehr hinschauen

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