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Krumbach: Landauer, Krumbach und eine Botschaft der Menschlichkeit

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Landauer, Krumbach und eine Botschaft der Menschlichkeit

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    Gustav Landauer und seine Familie: Hinten links Landauers Frau Hedwig Lachmann, rechts daneben Charlotte (Landauers Tochter aus erster Ehe). Vorne links Tochter Brigitte, rechts Tochter Gudula.
    Gustav Landauer und seine Familie: Hinten links Landauers Frau Hedwig Lachmann, rechts daneben Charlotte (Landauers Tochter aus erster Ehe). Vorne links Tochter Brigitte, rechts Tochter Gudula. Foto: Leo Baeck Institut, Archiv im Jüdischen Museum Berlin, Constantin Brunner Collection: VI, 7, 4, 2.

    „Ich will Mittwoch, 12 Uhr 14 in Hürben ankommen, ganz gemütlich auf Umwegen nach Krumbad gehen und mich dort in den Garten setzen; vielleicht an die Wasserquelle oder eine andere Stelle, die Du mir bezeichnest. Du kommst dann ... dort vorbei, ohne mich zu beachten; eine Weile nachher stehe ich auf, folge Dir unauffällig und Du führst mich so dahin, wo wir uns ungestört sprechen können.“

    Die Familie Landauer-Lachmann 1913 zu Besuch bei Landauers Freund Fritz Mauthner am Bodensee: Unser Bild zeigt von links Fritz Mauthner, Charlotte (Landauers Tochter aus erster Ehe), Hedwig Lachmann, Tochter Brigitte, Gustav Landauer und der Schriftsteller Emanuel von Bodman.
    Die Familie Landauer-Lachmann 1913 zu Besuch bei Landauers Freund Fritz Mauthner am Bodensee: Unser Bild zeigt von links Fritz Mauthner, Charlotte (Landauers Tochter aus erster Ehe), Hedwig Lachmann, Tochter Brigitte, Gustav Landauer und der Schriftsteller Emanuel von Bodman.

    Es sind Zeilen einer Liebe, die zu diesem Zeitpunkt noch heimlich sein muss. Gustav Landauer schreibt sie im Jahr 1901 an Hedwig Lachmann aus Krumbach-Hürben, die er im Krumbad treffen – und die er wenig später heiraten wird. Gustav Landauer: London und Berlin sind wesentliche Stationen im Leben des Schriftstellers, Übersetzers und Philosophen. In Krumbach war er nur kurz, und doch ist es Krumbach, das mit sehr schönen und gleichermaßen tragischen Wendungen seines Lebens verbunden ist.

    Treffen mit Hedwig Lachmann im Krumbad

    Als Landauer im Jahr 1901 den Brief an seine spätere Frau Hedwig Lachmann schreibt und sie im Krumbad trifft, kann er von all den Wendungen, die kommen sollten, nichts ahnen. Weltkrieg (den man später den „Ersten“ nennt), Zusammenbruch des Wilhelminischen Kaiserreichs, Sturz der bayerischen Monarchie, Revolution und Räterepublik in München, in der er eine maßgebliche Rolle spielt. Sein Tod, im Mai 1919, brutal ermordet von Freikorps-Soldaten. In Krumbach ist sein Name bald nahezu vergessen. Und doch ist sein Leben ganz maßgeblich auch eine „Krumbacher Geschichte“.

    „Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit“: Titelbild der 2020 erschienenen Biografie über Gustav Landauer, verfasst von der Münchner Autorin Rita Steininger. 
    „Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit“: Titelbild der 2020 erschienenen Biografie über Gustav Landauer, verfasst von der Münchner Autorin Rita Steininger. 

    Falls sich in den Jahrzehnten nach seinem Tod überhaupt noch jemand an den Namen Gustav Landauer erinnern konnte, dann fiel nicht selten das Stichwort „Bürgerschreck“. Mit dem Journalisten Kurt Eisner, der im November 1918 beim Sturz der Wittelsbacher-Monarchie in München eine entscheidende Rolle spielt und Ministerpräsident wird, verbindet ihn eine Art „Seelenverwandtschaft“. Auch rein äußerlich gibt es bemerkenswerte Parallelen. Beide sind schlank, sie tragen lange Bärte, manche mögen bei ihnen gar etwas „Guruhaftes“ sehen, schreibt Volker Weidermann in seinem 2017 erschienenen Buch über die Revolution in München („Träumer. Als Dichter die Macht übernahmen“). Eisners und Landauers Humanismus, ihre Absage an Gewalt und Terror: Das wollen viele Menschen 1918/19 nicht sehen. Die Ermordung von Eisner und Landauer wirft 1919 einen dunklen Schatten auf das, was kommen sollte, voraus – im Jahr 1933.

    Rita Steininger, Autorin der Biografie „Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit.“
    Rita Steininger, Autorin der Biografie „Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit.“ Foto: Sammlung Steininger

    Landauer ist 1870 in Karlsruhe geboren. 150 Jahre später rückt das Leben Landauers wieder verstärkt in den Focus der wissenschaftlichen Betrachtung. Sebastian Kunze, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Erfurt, hat in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ eine prägnante 74-seitige Kurzbiografie über Gustav Landauer, der mit der aus Hürben stammenden Lyrikerin und Übersetzerin Hedwig Lachmann (1865 bis 1918) verheiratet war, verfasst. Krumbach wurde für Landauer kurz vor seinem Tod 1919 zum Fixpunkt seines Lebens. Kunze betont aber auch, dass Landauer in Krumbach letzten Endes „weder privat noch politisch Fuß fassen“ konnte.

    In der Reihe „Jüdische Miniaturen“ hat Sebastian Kunze von der Universität Erfurt ein Buch über Gustav Landauer verfasst. 
    In der Reihe „Jüdische Miniaturen“ hat Sebastian Kunze von der Universität Erfurt ein Buch über Gustav Landauer verfasst. 

    Was Gustav Landauer mit Krumbach verbindet

    Landauer und Krumbach: Diese intensive, aber auch tragische Beziehung spielt in dem jetzt erschienenen Buch der Münchner Autorin Rita Steininger eine wichtige Rolle. Im Dezember 2019 ist sie in Krumbach zu Gast, im Vorfeld der Fahrt hatte es erste Kontakte zum Krumbacher Heimatverein gegeben, der sich seit Jahrzehnten intensiv der jüdischen Geschichte in Krumbach und insbesondere in Hürben (seit 1902 ein Ortsteil von Krumbach) widmet.

    Rita Steininger trifft mit Herbert Auer, seinem Sohn Bernd und Beate Hamp-Wohllaib zusammen. Rita Steininger kann in Auers Archiv Briefe einsehen, die Gustav Landauers Töchter Charlotte (aus Landauers erster Ehe mit Margarethe Leuschner), Gudula und Brigitte aus Krumbach (dort wohnte die Familie Landauer-Lachmann seit 1917) an ihren Vater nach München schreiben. Die Autorin besucht den jüdischen Friedhof, steht am Grab von Landauers Frau Hedwig Lachmann. „Der Aufenthalt war sehr berührend“, sagt sie rückblickend.

    Grab der im Februar 1918 verstorbenen Hedwig Lachmann (Frau von Gustav Landauer) auf dem jüdischen Friedhof Hürben.
    Grab der im Februar 1918 verstorbenen Hedwig Lachmann (Frau von Gustav Landauer) auf dem jüdischen Friedhof Hürben. Foto: Maximilian Czysz

    Mehr als 100 Jahre zuvor steht Gustav Landauer auf diesem Friedhof am Grab seiner Frau. Man kann allenfalls ahnen, welche Gefühle, welche Gedanken in diesem Moment seine Begleiter sind. Vielleicht die Zeit in England 1901/1902. Hedwig Lachmann und Gustav Landauer übersetzen den legendären Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde. Diese Geschichte von der Menschheitsversuchung der „ewigen Jugend“, die nur tragisch enden kann. Die Scheidung Landauers von seiner ersten Frau Margarethe bahnte sich damals an, der England-Aufenthalt von Hedwig Lachmann und Gustav Landauer, er ist vielleicht auch eine Art Flucht. „1902 kehrt das Paar zurück und lässt sich in Hermsdorf bei Berlin nieder. Am 17. August kommt die gemeinsame Tochter Gudula zur Welt“, ist in Brigitte Steiningers Buch nachzulesen. Am 21. März 1903 wird Landauer von seiner Frau Margarethe geschieden, am 18. Mai heiraten Hedwig Lachmann und Gustav Landauer. Am 10. April 1906 wird die jüngste Tochter Brigitte geboren.

    Landauer arbeitet in einer Berliner Buchhandlung

    Laudauer arbeitet vorübergehend in der Berliner Buchhandlung Axel Juncker. Landauer und seine Frau Hedwig Lachmann stehen dem autoritären Kaiserreich zutiefst kritisch gegenüber. Und sie lehnen Krieg ab. Landauer formuliert dies 1911 in seinem Aufsatz „Die Abschaffung des Krieges durch die Selbstbestimmung des Volkes.“ Das wird die beiden drei Jahre später, als der Erste Weltkrieg ausbricht und die Kriegsbegeisterung kaum Grenzen kennt, in eine schwierige Lage bringen.

    1917 zieht das Paar mit seinen Kindern (dabei auch Landauers Tochter Charlotte aus erster Ehe) nach Krumbach-Hürben. Hedwigs Mutter Mina war gestorben. So konnte das Paar mit den Töchtern die frei gewordene Wohnung im jüdischen Schulhaus in der Hürbener Synagogengasse beziehen. 1918 schließt Landauer die Herausgabe des Werkes „Die Französische Revolution in Briefen“ ab. In seinem Vorwort, geschrieben in „Krumbach in Schwaben, Juni 1918“, finden wir einem nachdenklich stimmenden Satz: „Die intime Kenntnis des Geistes und der Tragik der Revolution möge uns in den ernsten Zeiten, die vor uns stehen, eine Hilfe sein.“ Als Landauer diese Zeilen schreibt, hat er kein Jahr mehr zu leben. Seine Frau Hedwig war nur kurz zuvor an den Folgen einer Lungenentzündung in Verbindung mit einer Grippe gestorben. Landauer und die drei Kinder bleiben zurück.

    Wird die "Revolution" für die Menschen "gut" sein?

    Er verfällt in eine tiefe Depression, um sich dann in München einer Revolution zuzuwenden, von der er glaubt, dass sie Menschen und Staaten tatsächlich in einem wahren Wortsinn menschlicher machen könnte. In Krumbach wohnen weiterhin seine drei Töchter Charlotte, Gudula und Brigitte. Den Briefwechsel zwischen Landauer und seinen Töchtern hat Rita Steininger über ihr aktuelles Buch hinausgehend im Literaturportal Bayern zugänglich gemacht. Charlotte schickt ihrem Vater 1919 Ausschnitte aus dem Krumbacher Boten, die sehr deutlich machen, dass die ländliche Bevölkerung der Räterepublik in München (Landauer ist dort vorübergehend „Volksbeauftragter für Volksaufklärung“ und damit de facto Kultusminister) ablehnend gegenübersteht: „In diesen Tagen soll eine Bauernbundversammlung sein. Allgemein wird gesagt, daß der Kreis Schwaben sich ablehnend verhält.“

    Das Ende der Räterepublik in einem wahren Blutrausch

    Am 14. April schreibt sie: „Ich brauche doch nicht erst zu versichern, daß wir mit ganzer Seele zu dir stehen.“ Die Münchner Räterepublik wird von Reichswehrtruppen und Freikorps-Soldaten im Mai 1919 in einem wahren Blutrausch niedergeschlagen, Landauer im Zuchthaus Stadelheim ermordet. Das Urteil vieler seiner Zeitgenossen über Landauer, der zeit seines Lebens jede Gewalt abgelehnt hat, fällt mitunter geradezu vernichtend aus. Nun würdigt Rita Steininger in ihrer einfühlsamen Biografie Landauers Eintreten für die „Freiheit des Individuums und für ein humanes Miteinander.“

    Sebastian Kunze, Autor des in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ erschienenen Werkes „Gustav Landauer. Zwischen Anarchismus und Tradition“.
    Sebastian Kunze, Autor des in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ erschienenen Werkes „Gustav Landauer. Zwischen Anarchismus und Tradition“. Foto: Sammlung Kunze

    Und Landauer-Biograf Sebastian Kunze schreibt, dass Menschen in all den Krisen seit 2007 wieder „verstärkt nach Modellen für ein besseres Zusammenleben“ suchen würden. „Diese Suchenden stießen auch auf Gustav Landauer.“ Das ist, nach all dem, was vor über 100 Jahren war, eine bemerkenswerte Botschaft.

    Rita Steininger, Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit. Buchreihe „Vergessenes Bayern“. Volk-Verlag, München, 2020, 208 Seiten.

    Ein ausführliches Interview mit der Münchner Autorin Rita Steininger finden Sie hier:

    Krumbach, Gustav Landauer und die Revolution

    Sebastian Kunze, Gustav Landauer. Zwischen Anarchismus und Tradition. Verlag Hentrich & Hentrich, Centrum Judaicum, Berlin, Leipzig, 2020, 74 Seiten.

    Großes Interview mit Autor Sebastian Kunze, Erfurt:

    „Landauer konnte in Krumbach weder privat noch politisch Fuß fassen“

    Weitere Informationen zu Gustav Landauer und zur Revolution von 1918/19, die auch eine "Krumbacher Geschichte" ist:

    Gustav Landauer

    Der Freistaat Bayern ist auch eine „Krumbacher Geschichte“

    Kriegsende und Revolution 1918/19

    Vor 100 Jahren riefen die Dichter in Bayern den Freistaat aus

    „Ich weiss im Moment nicht, was werden soll“

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