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Krumbach: Der Freistaat Bayern ist auch eine „Krumbacher Geschichte“

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Der Freistaat Bayern ist auch eine „Krumbacher Geschichte“

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    Regierungsausweis von Gustav Landauer (1870 bis 1919), der 1918/19 kurzzeitig bayerischer Beauftragter für Volksaufklärung war.
    Regierungsausweis von Gustav Landauer (1870 bis 1919), der 1918/19 kurzzeitig bayerischer Beauftragter für Volksaufklärung war. Foto: Sammlung Lindenmayr

    Unter Schreien „Der Landauer! Der

    Seine grausame Ermordung hat sein Weggefährte in den Tagen der Münchner Räterepublik, Ernst Toller, in einem Bericht, entstanden nach Augenzeugendarstellungen, festgehalten. Landauer ist während der turbulenten Ereignisse in München 1918/19, die zum Ende der Wittelsbacher-Dynastie und zur Ausrufung des Freistaats Bayern führen, einer der engsten Freunde des Revolutionärs und Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Und das ist auch eine „Krumbacher Geschichte“.

    Der Dichter Ernst Toller erinnert sich vermutlich gut an eine denkwürdige Krumbacher Episode im Jahr 1917, als er den Bericht über Landauers Tod verfasst. „Heimlich fahre ich eines Sonntags zu Gustav Laudauer nach

    Er begeistert sich für die Idee der Revolution

    Im vierten Kriegsjahr spürt Landauer die Möglichkeit einer Zeitenwende, er begeistert sich für die Idee der Revolution: „Jetzt weiß ich, der Zusammenbruch wird kommen, morgen oder in einem Jahr. Ich habe das Recht und den Atem, mich für diese Zeit zu bewahren, wenn die Stunde es fordert, werde ich da sein und arbeiten“ (nachzulesen in dem 2017 erschienenen Buch von Volker Weidermann: Träumer. Als Dichter die Macht übernahmen). Einige Tage wird Landauer Kultusminister in einer bayerischen Republik, die keinen Bestand haben wird. Landauer wollte in den Schulen die Prügelstrafe abschaffen. Am 2. Mai 1919 wird er von den Wachsoldaten verprügelt und ermordet.

    Im Sommer 1918 gab Landauer in Krumbach „Die Französische Revolution in Briefen“ heraus. Links die Landauer-Darstellung von Siegbert Wolf.
    Im Sommer 1918 gab Landauer in Krumbach „Die Französische Revolution in Briefen“ heraus. Links die Landauer-Darstellung von Siegbert Wolf. Foto: Peter Bauer

    Diese Szenen des 2. Mai 1919 stehen für das Ende der Münchner Räterepublik, für das Scheitern der deutschen Revolution 1918/19. Und sie werfen einen dunklen Schatten voraus auf das, was nach 1933 kommen sollte.

    Am 11. November 1918 muss Deutschland den Waffenstillstand unterzeichnen. Mehr als vier Jahre hatte der Weltkrieg gedauert, den man später den „Ersten“ nennen wird. Nun ist das Kaiserreich am Ende seiner Kraft, muss die Niederlage eingestehen. Ende 1918/Anfang 1919 überschlagen sich die Ereignisse. Kaiser und Könige werden gestürzt, das Land befindet sich in einem regelrechten Revolutionstaumel, seine politische Zukunft ist ungewiss.

    Das Leben des 1870 in Karlsruhe geborenen jüdischen Journalisten, Philosophen, Literaten und Übersetzers und bedeutenden Shakespeare-Interpreten Gustav Landauer wird zum Spiegelbild dieses Taumels.

    Er lebt in Krumbach in einer Wohnung im jüdischen Schulhaus (unmittelbar westlich der Synagoge in der Synagogengasse). 1917 war Landauer, der viele Jahre seines Lebens in Berlin verbracht hatte, zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern Brigitte und Gudula dorthin gezogen. Landauer hatte die in Hürben aufgewachsene jüdische Übersetzerin und Lyrikerin Hedwig Lachmann 1903 in zweiter Ehe geheiratet. Seine Frau stirbt am 21. Februar 1918 an den Folgen einer schweren Grippe.

    An der Westfront wurde in der zweiten Jahreshälfte 1918 der Druck der alliierten Truppen immer stärker, die Front stand vor der Auflösung, Deutschland musste um einen Waffenstillstand bitten.
    An der Westfront wurde in der zweiten Jahreshälfte 1918 der Druck der alliierten Truppen immer stärker, die Front stand vor der Auflösung, Deutschland musste um einen Waffenstillstand bitten.

    Was für ihn ein Anker bleibt

    Hedwig Lachmanns Tod droht Landauer aus der Bahn seines Lebens zu werfen. Eine Art Anker bleibt die schriftstellerische Arbeit. Im Sommer 1918 schließt er in Krumbach die Herausgabe des Werkes „Die französische Revolution in Briefen“ ab. In seinem in „Krumbach in Schwaben, Juni 1918“ geschriebenen Vorwort finden wir einen bemerkenswerten Satz: „Die intime Kenntnis des Geistes und der Tragik der Revolution möge uns in den ernsten Zeiten, die vor uns stehen, eine Hilfe sein.“

    Als Landauer diese Zeilen schreibt, hat er kein Jahr mehr zu leben. Landauer galt 1918/19 – und gilt teilweise bis heute – bei nicht wenigen als menschenverachtender, kommunistischer Gewalttäter. Es ist ein Bild, das nach seinem Tod von den Nazis mit zynischem Hintersinn gepflegt wird.

    Umso bemerkenswerter ist heute, dass die Geburtsstunde des Freistaats Bayern rückblickend auch "seine Stunde" ist. Lesen Sie dazu unseren Kommentar:

    Landauer, Bayern und Krumbach

    Wer sich in die Biografie Landauers vertieft, spürt sofort, dass es für dieses makabere Vorurteil nicht die geringste Grundlage gibt. Entschieden spricht sich Landauer zeit seines Lebens für Gewaltfreiheit aus. In seinem anarchistischen Konzept ist Freiheit „fern von aller Zwangsbeglückung“, wie es Siegbert Wolf in seinem Werk „Gustav Landauer – zur Einführung“ (1988) schreibt. Er setzt auf die Entwicklung des Individuums, damit lehnt er aber auch gesamtgesellschaftliche Entwürfe wie den Marxismus strikt ab, auch der Sozialdemokratie und dem klassischen parlamentarischen System steht er skeptisch gegenüber.

    Landauer betont aber auch: Nicht die Abschaffung des Privateigentums solle das Ziel sein, sondern das Gleichgewicht des Besitzes. Massiv setzt sich der überzeugte Pazifist und Antinationalist für die Ehe als Grundlage der Gesellschaft ein. Nach der Kapitulation und dem Ende des Kaiserreiches sowie des Königtums in Bayern sieht Landauer die Chance für einen umfassenden gesellschaftlichen Neuanfang. Und nach dem Tod seiner Frau Hedwig Lachmann stürzt er sich geradezu besessen in diese neue Aufgabe.

    Er steht der Philosophie Kants nahe

    Landauer wird zum geistigen und politischen Weggefährten von Kurt Eisner (1867 bis 1919), einem Journalisten, der der Aufklärungsphilosophie Immanuel Kants nahe steht – und nach dem Sturz der Monarchie in München erster bayerischer Ministerpräsident wird – und den Freistaat Bayern begründet. Eisner weiß, dass er sich auf seinen Krumbacher Freund verlassen kann.

    Am 14. November bittet er Landauer in einem Brief, so bald wie möglich nach München zu kommen. „Was ich von Ihnen möchte, ist, dass Sie durch rednerische Betätigung an der Umbildung der Seelen mitarbeiten“, schreibt Eisner. Immer wieder zieht sich

    Wie eng die Beziehung zwischen Eisner, dem „Kopf“ der Münchner Revolution, und Landauer ist, zeigt noch eine andere Episode. Eisner verbringt mit seiner Familie das Weihnachtsfest in Krumbach und hält dort Ende 1918 zwei Versammlungen ab.

    Rund 2500 Tote an der Westfront: Die Männer des 12. Königlich-bayerischen Infanterieregiments, die überlebt hatten, kehrten am 16. Dezember 1918 nach Günzburg zurück. Dort wurde das Regiment aufgelöst.
    Rund 2500 Tote an der Westfront: Die Männer des 12. Königlich-bayerischen Infanterieregiments, die überlebt hatten, kehrten am 16. Dezember 1918 nach Günzburg zurück. Dort wurde das Regiment aufgelöst. Foto: Stadtarchivg Günzburg

    Landtagswahlen sollten am 12. Januar 1919 stattfinden. Ende 1918 kommt es zu einer Vielzahl von politischen Veranstaltungen, die in Krumbach am 23. Dezember mit dem Auftritt des Bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner ihren Höhepunkt finden. Eisner gehört der USPD, einer linken Abspaltung der

    Die turbulente Zeit 1918/19. Lesen Sie dazu mehr: Kriegsende und Revolution 1918/19

    Der unermüdliche Landauer wird in Krumbach immer mehr zum Motor der USPD. Zu einer regelrechten Häufung von Versammlungen kommt es am Sonntag/Montag, 22./23. Dezember 1918. Am 22. Dezember hält die christlich-konservative Bayerische Volkspartei (BVP) zwei Versammlungen ab: Jeweils nachmittags in der „Krone“ (heute Heimatmuseum) für Männer sowie in der „Post“ in der heutigen Franz-Aletsee-Straße für Frauen (in ihr wurde auch der Krumbacher Frauenbund gegründet). Am 23. Dezember (14 und 17 Uhr) spricht Kurt Eisner in der Löwenhalle. Die Halle gehört zum Gasthof Löwen in der Krumbacher Karl-Mantel-Straße (später Ost, heute Obermeier). Sie befindet sich ungefähr dort, wo dann in den 50er Jahren das Kino gebaut wird. Eisner spricht zunächst für die ländliche Bevölkerung aus dem Umland, dann für die Einwohner Krumbachs.

    Er tritt vor insgesamt über 1000 Personen auf, wie im „Krumbacher Boten“ berichtet wird. Es sind aber nicht nur Anhänger seiner Partei im Saal. „Eisner wird aufgeregt, schreit, tobt und schimpft; wird unverständlich“, kommentiert der Schreiber. Deutlich wird in der Berichterstattung, dass die Lokalzeitung das Programm Eisners ablehnt. Damit steht die Zeitung nicht allein.

    „Der Berliner Jude Eisner hatte auf dem bayerischen Land, so sehr er sich auch um einen bayerischen Akzent bemühte und seine Liebe zu Bayern betonte, einen unendlich schweren Stand. Viel mehr: Er hatte keine Chance“, schreibt Volker Weidermann in seinem Buch für die Münchner Revolution. Insbesondere auf dem Land gibt es gegen die Bestrebungen Eisners, Landauers und seiner Weggefährten zunehmenden Widerstand – und eine zunehmende Bereitschaft, mit Gewalt gegen dieses Programm anzukämpfen.

    Ein offensichtlich schwer verwundeter deutscher Soldat wird an der Westfront von Franzosen versorgt.
    Ein offensichtlich schwer verwundeter deutscher Soldat wird an der Westfront von Franzosen versorgt. Foto: Sammlung Rogg/Peter Bauer (Repro)

    Landauer, bereits seit dem 14. November 1918 Mitglied des „Revolutionären Arbeiterrats“ in München, kandidiert am 12. Januar 1919 bei den Landtagswahlen in Krumbach auf der USPD-Liste. In seinem Wahlkreis Krumbach erhält er lediglich 92 Stimmen.

    Schwere Wahlniederlage für Eisner

    Eisners USPD verliert deutlich die Wahl. Am 21. Februar 1919 wird Eisner in München von dem rechtsextremen Studenten Graf von Arco-Valley erschossen. Es ist Gustav Landauer, der am Grab Kurt Eisners die Ansprache hält: „Eisner war ein Prophet, weil er mit den Armen und Getretenen fühlte, und die Möglichkeit, die Notwendigkeit schaute, der Not und Knechtung ein Ende zu machen.“

    Der Attentäter wird in Landsberg inhaftiert – und 1927 begnadigt, weil seine Tat „glühender Liebe zum Vaterland“ entsprungen sei. Eine Begründung, die beispielhaft ist für die „demokratische“ Gesinnung der Weimarer Justiz.

    Gustav  Landauers Tochter Brigitte mit den Töchtern von Kurt Eisner , Freya (links) und Ruth, im Jahr 1919 nach dem Tod Kurt Eisner (möglicherweise in Krumbach aufgenommen).
    Gustav Landauers Tochter Brigitte mit den Töchtern von Kurt Eisner , Freya (links) und Ruth, im Jahr 1919 nach dem Tod Kurt Eisner (möglicherweise in Krumbach aufgenommen).

    In München überschlagen sich in den folgenden Wochen die Ereignisse. Am 7. April wird die Räterepublik ausgerufen. Landauer wird „Beauftragter für Volksaufklärung“ und damit eine Art Kultusminister. Mit dem ihm eigenen Eifer geht er ans Werk, unter anderem setzt er sich für eine Abschaffung der Prügelstrafe in den Schulen ein, er spricht sich dafür aus, Elternräte zu schaffen. All das sind heute Selbstverständlichkeiten. In seiner Zeit wird Landauer mit seinem Programm von vielen verachtet. Seine Zeit war noch nicht gekommen, sein Leben findet im Blutrausch des Untergangs der Münchner

    Landauer wird misshandelt und ermordet

    Landauer wird ins Gefängnis von Stadelheim gebracht, schwer misshandelt und schließlich ermordet. Zunächst kann er auf dem Waldfriedhof in München bestattet werden. 1933 lassen die Nazis die Urne Landauers exhumieren, sie schicken Landauers sterbliche Überreste der jüdischen Gemeinde Münchens – und sie stellen dafür auch noch eine Rechnung. Landauer wird auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. In einem Gemeinschaftsgrab mit Kurt Eisner – mit dem er 1918 in Krumbach aufgetreten war und mit dem er das Schicksal der vergeblichen Revolution am Ende auf eine bittere Weise teilte. Die heutige Grabstelle auf dem Münchner Neuen Israelitischen Friedhof wird 1946 auf Initiative der Landauer-Tochter Gudula eingerichtet.

    Das Leben Gustav Landauers - ein besonderer Weg führt in die USA und nach Hollywood. Lesen Sie dazu:

    Gustav Landauer und ein Weg in die USA

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