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Krumbach: Als in Mittelschwaben ganze Landstriche menschenleer wurden

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Als in Mittelschwaben ganze Landstriche menschenleer wurden

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    Der „Spottkragen“, wie er im Mittelschwäbischen Heimatmuseum in Krumbach gezeigt wird, war zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Gebrauch – für Personen, die als besonders rauflustig oder durch üble Nachreden aufgefallen waren.
    Der „Spottkragen“, wie er im Mittelschwäbischen Heimatmuseum in Krumbach gezeigt wird, war zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Gebrauch – für Personen, die als besonders rauflustig oder durch üble Nachreden aufgefallen waren. Foto: Hans Bosch

    „O, Bub, lauf weg, sonst werden dich die Reuter mitnehmen, guck, dass Du davonkommst, du siehest wohl, wie es so übel – mehrers konnte sie nicht sagen.“

    Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen, Simplicissimus, 1668.

    Der Krieg, der schrecklichste, den die Menschheit bis dahin gesehen hatte, war seit seinem Ende 1648 in 20 Jahren von täglicher Bedrohung zur Erinnerung geworden. Doch diese Erinnerung ließ die Menschen nicht los. Die Zeilen in Grimmelshausens „Simplicissimus“ lassen den Abgrund des Krieges, den man später den „Dreißigjährigen“ nennen wird, erahnen. 1618 beginnt dieser Krieg, lange spürt unsere Region kaum etwas davon. Dann kommt dieser schreckliche Frühling 1632. Die Schweden erobern Donauwörth, überschreiten die Donau und marschieren am 8. April in Dillingen, Lauingen und Günzburg ein. 14 Jahre hatte der Krieg bereits gedauert, jetzt trifft er unsere Heimat mit voller Wucht. Es ist der „erste im vollen Sinne europäische Krieg“, wie es Herfried Münkler in seinem 2017 erschienenen umfassenden Werk „Der Dreißigjährige Krieg“ umschreiben sollte. Als am 23. Mai 1618 protestantische Adlige die Statthalter des Habsburger-Kaisers Ferdinand II. aus den Fenstern der Prager Burg stürzten, hatte niemand eine Vorstellung von dem, was folgen sollte. Und in der Tat bleibt es nach dem „Prager Fenstersturz“ in unserer Region lange relativ ruhig. Im

    Doch im Frühling 1632 sollte sich das grundlegend ändern. „Der schwedische König Gustav II. Adolf scheint nach seinem Sieg bei Breitenfeld 1631 mit der Vorstellung zu liebäugeln, sich zum deutschen Kaiser wählen zu lassen“, schreibt Münkler. Der schwedische Einfall in Süddeutschland hat für die Region schlimme Auswirkungen.

    Der Ursberger Abt Matthäus Hochenrieder ahnt, was kommen wird und flüchtet mit seinen Patres drei Tage vor dem Anrücken der Schweden mit den wichtigsten Klosterakten auf einem großen Reisewagen zuerst nach Mindelheim und schließlich ins oberösterreichische Stift Schlägl, wo er ab Juli 1633 eine erste Bleibe findet. Auf seiner Brust unter der Kleidung trägt er beständig den Mindelzeller Kreuzpartikel, den er noch kurz vorher aus der dortigen Kirche geholt hatte. Erst zwei Jahre später kehrt er nach Ursberg zurück – und steht vor einem Trümmerfeld. Das Kloster ist völlig ausgeplündert und fast restlos abgebrannt.

    Bereits in den Jahren zuvor und zuletzt 1628 wütet der „unheimliche Würgeengel Pest“ in der Gegend und löscht ganze Dörfer aus, wie Karl Ganser in seinem Roman „Die Brüder von Rothenhof“ schreibt. Betroffen ist aber nicht nur Stoffenried, vielmehr die ganze Region.

    Einige Zahlen aus der Ursberger Chronik stehen beispielhaft für das, was die Menschen in unserer Region erleiden müssen: In Mindelzell fordert das große Sterben 300 Tote, in Rohr 220, Bayersried 104 und Premach 51. Die Ursache ist zumeist ständiger Hunger. Die immer wieder durchziehenden und plündernden Soldaten schwächen besonders die übrig gebliebenen alten Menschen und die Kinder. Hinzu kommt eine nicht weiter bekannte Viehseuche, die allein im Gebiet Ursberg 400 Rössern und 900 Rindern den Tod bringt.

    Aus Thannhausen berichtet der damalige Pfarrer Michael Strigel: „Die Toten wurden zur Nachtzeit auf Karren zum Pestfriedhof bei St. Leonhard gefahren und in der Stille begraben.“ Ein weiteres Zeichen der damaligen furchtbaren Situation: Auf der Flucht vor der Pest kommt der Augsburger Weihbischof Peter Mall nach Ziemetshausen und „erteilte allen jungen Geistlichen des Herbstquatembers die heiligen Weihen, weil hier die Luft noch nicht angesteckt war“, wie der Ursberger Prior Primo Kormann in seiner Chronik von 1804 schreibt.

    Bemerkenswert ist ebenso, dass der letzte Münsterhauser Ortsherr von Leonrodt beim Wiederaufbau seines von feindlichen Soldaten abgefackelten Besitzes an der Pest erkrankt. Dazu der Chronist: „Der Tod raffte ihn mitten in diesem Geschäft einige Tage nach seiner Vermählung zum größten Leidwesen seiner zärtlich geliebten Frau und aller getreuen Unterthanen aus der Zahl der Lebenden hinweg.“ Besser ist die Situation im Raum Krumbach, in der Stadtgeschichte ist zu lesen: „Der fast ausschließlich landwirtschaftlich ausgerichtete Ort blieb im Dreißigjährigen Krieg von größeren Zerstörungen verschont.“ Umso härter trifft es das Kloster Ursberg und die in seinem Besitz befindlichen Nachbarorte. In großer Not beginnt der 28-jährige neu gewählte Abt Matthäus Hochenrieder am 29. Oktober 1628 sein Amt. Ein Drittel seiner Untertanen war im Sommer und Herbst des gleichen Jahres dem großen Sterben erlegen. Dennoch entwickelt er eine rege wirtschaftliche Tätigkeit, obwohl die schlechte Witterung nur eine „sehr späte und spärliche Ernte und sauren Wein“ einbringt.

    Der Krieg macht sich ab 1632 in unserer Gegend immer stärker bemerkbar. Die Stadt Günzburg bleibt von „Mord und Totschlag ... noch verschont, doch wurde sie von der schwedischen Besatzung so ausgepresst und ausgeraubt, dass man kaum noch wusste, wie man überleben sollte“, ist bei Reißenauer nachzulesen. Hohe schwedische Offiziere wie der General Horn (er war am 18. Dezember 1632 im Günzburger Schloss) nehmen in Günzburg Quartier. Günzburg wird für die Schweden zu einem wichtigen Eckpfeiler zur Sicherung der Donaulinie. Wettenhausen hat vor allem im Frühjahr 1633 unter den Folgen des Krieges zu leiden, das Kloster wird von schwedischen Truppen geplündert und verwüstet. „Alle Fricht, Roß und Wagen, ja waß sie angetroffen, haben sie aus dem Lande gefiehrt, die Heiser innerlich ganz ruiniert oder gar verbrennt, es kann nit beschrieben werden, wie der Feind gehaust hat“, heißt es im Stiftsbuch der Franziskanerinnen.

    Nach dem Sieg der kaiserlichen Truppen über die schwedischen Verbände bei Nördlingen (5./6. September 1634) wird es für unsere Region nicht leichter. Giengen und Leipheim werden von kaiserlichen Truppen geplündert. 1635 tritt das katholische Frankreich aufseiten der Schweden und der protestantischen Fürsten in den Krieg ein. Der Religionskrieg wird endgültig zu einem machtpolitisch motivierten Gemetzel, das noch 13 Jahre andauern sollte. Die Bevölkerung im deutschen Raum schrumpft von 1618 bis 1648 von etwa 21 Millionen auf 13 Millionen Menschen (in Günzburg von etwa 2400 auf rund 800).

    Der Ursberger Abt Hochenrieder war am Palmsonntag des Jahres 1632 zur Flucht getrieben worden. Er kehrt erst nach fast zwei Jahren wieder nach

    Mit dieser Jahreszahl wiederum beginnt Karl Ganser in seinem historischen Roman „Die Brüder vom Rothenhof“ das Sterben und Wiedererstehen seines Heimatdorfes Stoffenried zu schildern. Dort baute die Dorfgemeinschaft bald nach Kriegsbeginn im nahe gelegenen Roggenburger Wald ein Notlager, um gegen Überfälle durch die Kriegshorden gerüstet zu sein. Die Pest aber zeigt sich noch als weitaus schlimmere Katastrophe, denn es überleben letztlich nur die drei Brüder vom Rothenhof, die auf Geheiß ihres Vaters nach Südtirol flüchten. Nach ihrer Rückkehr finden sie auch in den Nachbarorten kaum noch Leben und so holen sie aus Tirol neue Siedler in die fast menschenleere Region. Es vergehen weitere Jahre der Angst und Not bis zum Kriegsende 1648. Erst danach beginnt für die mutigen Neubürger eine Zeit des ungestörten Glücks.

    Der Dreißigjährige Krieg und sein Abgrund – das ist der Stoff für historische Erzählungen und Sagen. Der langjährige Waltenhauser Hauptlehrer Theodor Jörg hält dies in seinem 1956 erstmals erschienenen Sagenbuch fest. Er schreibt über den „Engel in Stoffenried“, die „Lebigen von Sausenthal“ (Ortsteil von Unterwiesenbach), aber auch über den „Soldatenwinkel in Hasberg“ bis zum „Schicksal der Glocke“ der Haldenwanger im „Günzburgischen“, die damals zur Herrschaft des Geschlechts Freyberg in Niederraunau gehörten.

    Seltsamerweise gab es vor dem „Jubiläumsgedenkjahr“ 2018 nur wenige Gesamtdarstellungen über den Dreißigjährigen Krieg. Die Arbeit der englischen Historikerin Cicely Victoria Wedgwood galt lange Zeit als Standardwerk – das Buch stammt aus dem Jahr 1938. Auch das deutet an, wie schwer den Menschen die Annäherung an dieses unheimliche, kaum in erklärende Worte zu fassende Geschichtskapitel namens Dreißigjähriger Krieg immer gefallen ist. In den abwägend-britisch formulierten Worten von

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