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Burgau/Niederraunau: Schule in Corona-Zeiten: Wie eine Buchautorin zur Lehrerin wurde

Burgau/Niederraunau

Schule in Corona-Zeiten: Wie eine Buchautorin zur Lehrerin wurde

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    Teamlehrerin Petra Hirscher (links) erhält die Unterrichtsvorbereitungen von Rektorin Martina Deniffel, die sich auch Zeit nimmt, die Details durchzusprechen.
    Teamlehrerin Petra Hirscher (links) erhält die Unterrichtsvorbereitungen von Rektorin Martina Deniffel, die sich auch Zeit nimmt, die Details durchzusprechen. Foto: Gertrud Adlassnig

    Den letzten Anstoß, Quereinsteigern eine Chance zu geben, mag die Corona-Krise gegeben haben, vermutet Schulamtsdirektor Thomas Schulze. Doch der Bedarf an zeitweiligen Lehrkräften war schon lange vor der Pandemie enorm. Im Frühling hat das Kultusministerium ein Modell entwickelt, bei dem Stammlehrern, die aus medizinischen Gründen nicht in Klassen gehen dürfen, ein sogenannter Teamlehrer beigestellt wird, der als verlängerter Arm des Lehrers den Unterricht vor Ort hält.

    Das Interesse war groß, erklärt Barbara Keppeler, die für die Teamlehrer im Schulbezirk Günzburg zuständig ist. Das Kultusministerium gab für Günzburg Mittel für 112 Wochenstunden frei, die später sogar noch aufgestockt wurden. „Das war gut, deckt aber nicht den realen Bedarf.“ Es sind vor allem Schwangere, denen der Frauenarzt ein individuelles Beschäftigungsverbot ausspricht, weswegen sie keinen Präsenzunterricht machen dürfen. „Die Zahl der coronabedingten Ausfälle ist bei uns sehr gering.“

    Die Teamlehrer erhalten lediglich einen Zeitvertrag, der erlischt, sobald der Stammlehrer wieder zur Verfügung steht. Thomas Schulze kennt die Problematik, die dahinter steht. Einerseits versucht das Schulamt, bestmögliche Teamlehrer zu gewinnen, andererseits müssen sich diese auf ein prekäres Arbeitsverhältnis einlassen und sich für die womöglich kurze Beschäftigungszeit intensiv einarbeiten.

    Schulamt Günzburg will die neu gewonnen Teamlehrer halten

    „Wir wollen versuchen, die Teamlehrer mit Anschlussverträgen zu halten und sie in eine Vertretungsreserve zu integrieren. Sie könnten so an anderen Schulen arbeiten“, erläutert Thomas Schulze, wie das Schulamt Günzburg seine neu gewonnenen Teamlehrer halten möchte. Denn der Bedarf an Lehrkräften steigt stetig. Die Zahl der Lehrerinnen in Teilzeit wächst, Inklusion, Ganztagsschule und Förderbedarf haben die Schule strukturell verändert.

    Das Kultusministerium ließ den Schulämtern freie Bahn und mischte sich nicht in die Personalentscheidungen ein. So erhielt etwa Petra Hirscher, die jetzt in der Mittelschule Burgau ein ganz neues Berufsleben angefangen hat, Angebote für zwei Schulen, eines kam von Barbara Keppeler. Deren Auswahlkriterien bezogen sich auf die Ausbildung: abgeschlossenes Hochschulstudium, und den Wohnort: Der sollte möglichst in der Nähe liegen. Acht Teamlehrer hat das Schulamt zum Schuljahresbeginn eingestellt. „Uns ist eine gute Mischung gelungen. Wir haben von jungen Hochschulabsolventen bis zur 59-jährigen Sachbuchautorin eine große Bandbreite – auch was die Vorbildung angeht.“ Grund- und Mittelschüler im Günzburger Schulbezirk haben derzeit die Chance, von einer Bewegungstherapeutin, einem Textilingenieur oder vielleicht auch von einer Anglistin unterrichtet zu werden.

    Die fachfremden Teamlehrer müssen von den Stammlehrern geleitet werden. Die bereiten die Unterrichtsstunden vor, legen fest, welche methodischen und didaktischen Mittel eingesetzt werden und arbeiten die durch den Lehrplan festgelegten Inhalte pädagogisch auf.

    Sachbuchautorin Petra Hirscher, die einen 20-Stunden-Vertrag bis Anfang März 2021 hat, ist die älteste Teamlehrerin im Schulamtsbezirk. „Der Buchmarkt ist ziemlich weggebrochen, da war ich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung.“ In Burgau wird die Augsburgerin in ihrem neuen Beruf von Rektorin Martina Deniffel betreut. Die musste einspringen, nachdem die eigentliche Stammlehrerin so erkrankt ist, dass sie komplett ausfällt. „Ich habe schon eine 5. Klasse unterrichtet, deshalb ist mir der Stoff nicht neu, aber natürlich die Schüler, denn die kommen ja von der Grundschule.“ So haben sich Hirscher und Deniffel gemeinsam die Namen der Schüler eingeprägt.

    Petra Hirscher gibt zu, den Lehrerberuf falsch eingeschätzt zu haben

    Die Rektorin bereitet viele der Unterrichtseinheiten vorab schriftlich vor und Petra Hirscher bearbeitet die Unterlagen am Tag vor dem Unterricht daheim. Manche Stunden werden von den beiden Lehrerinnen auch gemeinsam vorbereitet. Zwei Wochen konnte Petra Hirscher zunächst nur hospitieren, um sich in die Arbeit des Lehrers einzufühlen. „Frau Hirscher ist ein echtes Naturtalent“, freut sich Martina Deniffel über die neue Teamlehrkraft. Als Sachbuchautorin sei sie es ja gewohnt, komplexe Themen so aufzuarbeiten, dass sie für Fachfremde verständlich seien, meint Petra Hirscher, die aber zugibt, dass sie den Lehrerberuf bislang ziemlich falsch eingeschätzt hatte.

    „Der hohe Lärmpegel, die permanente Präsenz, die man zeigen muss, das ist sehr viel anstrengender und intensiver als ich es mir vorgestellt habe. Und dazu kommen dann noch die Vorbereitungen außerhalb des Unterrichts.“ Martina Deniffel erarbeitet die Stunde pädagogisch, aber im Klassenzimmer ist Petra Hirscher in der Regel allein, die Rektorin kommt nur gelegentlich dazu. Weil Petra Hirscher nicht Gefahr laufen will, Sachfragen nicht beantworten zu können, und stets auf alles gefasst sein möchte, informiert sie sich zum Thema der Stunde grundsätzlich weit über den Umfang der Unterrichtseinheit hinaus. Und trotzdem ist der Unterricht vor Ort dann noch einmal etwas ganz anderes. „Es ist schön, zu sehen, wenn sich in den Gesichtern abzeichnet: Ich hab´s verstanden, jetzt weiß ich, wie es geht, dann fangen die Augen an zu leuchten.“

    Petra Hirscher hat in ihrer jungen Teamlehrerkarriere aber auch schon andere Situationen erlebt. „Im Klassenrat, einer Stunde, in der die Schüler über Probleme und Irritationen offen diskutieren dürfen, wurde mir gesagt, ich sei zu nett. Für mich war es schon komisch, nett nicht als Kompliment, sondern als Kritik zu erfahren. Aber ich habe daraus gelernt. Schüler wollen nicht nur gelobt werden, sie wollen auch, dass der Lehrer Disziplin einfordert. Jetzt gibt´s nicht mehr nur Smileys, sondern auch mal die gelbe Karte beim Schwätzen.“

    Annika Braunsteffer aus Niederraunau ist ebenfalls in einer 5. Klasse eingesetzt. Die Bewegungs- und Ernährungstherapeutin hat an der Mittelschule Thannhausen einen Jahresvertrag mit 26 Stunden, der eins zu eins die Unterrichtsstunden ihrer Stammlehrkraft abbildet. Die ist immer dabei, nicht an ihrer Seite, sondern im Nebenzimmer und per Videokonferenz mit der Klasse verbunden. Aus medizinischen Gründen darf sie nicht ins Plenum, kann aber Einzelgespräche führen.

    Auch die Schüler sehen Annika Braunsteffer als Gewinn

    Obwohl Annika Braunsteffer noch keine 30 Jahre zählt, habe sie bereits sehr viel Lebenserfahrung, schwärmt ihre Leitung. Die junge Frau hat nach dem Bachelorabschluss einige Zeit in Deutschland gearbeitet und ging dann nach Südamerika, wo sie in mehreren Einrichtungen gejobbt hat. Dort hat sie den Umgang mit Kindern gelernt, der ihr jetzt viel Sicherheit und Selbstbewusstsein vor der Klasse gibt. Die Stammlehrkraft hat Annika Braunsteffer schon in den großen Ferien in die Aufgaben des Teamlehrers eingearbeitet, sodass die beiden sofort starten konnten. Sie bilden ein eingespieltes Team, und sie habe nie das Gefühl verspürt, von Big Brother beobachtet zu werden, versichert Braunsteffer, obwohl der Stammlehrer vom Nebenzimmer aus den gesamten Unterrichtsverlauf mitverfolgt und aktiv in das Geschehen eingreifen kann.

    Aber der Klassenlehrer weiß, dass er sich auf Annika Braunsteffer verlassen kann, der er im Unterrichtsgeschehen die Kontrolle übergibt. „Annika wird von den Schülern akzeptiert, die es als Gewinn sehen, von zwei Lehrkräften unterrichtet zu werden“, freut sich die Stammlehrkraft. „Im Studium hatten wir auch relativ viel Pädagogik, damals wusste ich nicht, wozu ich das brauchen könnte, heute bin ich natürlich froh, dass ich diese Basis habe“, sagt Annika Braunsteffer.

    Das Unterrichten macht ihr Spaß, die Schüler haben inzwischen Vertrauen zu ihr aufgebaut. „Es ist richtig schön, wenn die Kinder sich öffnen, einem erzählen, von der Oma, vom Meerschweinchen, von ihrem Leben außerhalb der Schule. Und wenn man dann plötzlich geduzt wird, spüre ich, welche emotionale Nähe die Schüler zu mir aufgebaut haben.“ Ob sie nach ihrer Zeit als Teamlehrerin noch ein Lehramtsstudium draufsatteln wird, steht noch nicht fest, aber dass ihr die Arbeit als Lehrerin ausnehmend gut gefällt, ist sicher.

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