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Interview: Klima-Experte: "Große Veränderungen kommen durch Krisen zustande"

Interview

Klima-Experte: "Große Veränderungen kommen durch Krisen zustande"

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    Strom aus Wind und Sonne. Stockt der Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt? Oder wird er sogar beschleunigt?
    Strom aus Wind und Sonne. Stockt der Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt? Oder wird er sogar beschleunigt? Foto: Marcus Brandt, dpa (Symbolbild)

    In der Ukraine wurde in Chemiewerken und Naturparks gekämpft, Militärfahrzeuge und Waffen sorgen für CO2-Ausstoß und Umweltzerstörung. Gibt es schon Zahlen oder Schätzungen zu den direkten Auswirkungen des Krieges auf den Klimawandel?
    MICHAEL PAHLE: Mir sind keine bekannt, aber ich bin mir relativ sicher: Davon werden wir global gesehen verhältnismäßig wenig merken. Die alltägliche Produktion der Industrie fällt da mehr ins Gewicht.

    Klimaökonom Michael Pahle, 47.
    Klimaökonom Michael Pahle, 47. Foto: Klemens Karkow

    Was sind dann die Risiken des Krieges für den Klimaschutz?
    PAHLE: Die liegen zum Beispiel im finanziellen Bereich. Jetzt gibt es die Gaspreisbremse im Umfang von 200 Milliarden Euro. Die ist sicher teilweise notwendig, aber sie bedeutet auch eine Hypothek für den Klimaschutz. Wenn die Energiekrise hoffentlich bald vorbei ist, wird sich die Klimafrage wieder virulenter stellen. Dafür brauchen wir Geld. Geld, das uns dann vielleicht nicht mehr zur Verfügung steht. Da müssen wir eine gute Abwägung finden. Mein Bedenken ist, dass die Politik im reinen Krisenmodus ist und den finanziellen Handlungsspielraum des Staates zu sehr ausschöpft – und am Ende zu wenig für den Klimaschutz übrig bleibt.

    Kann die Regierung es sich erlauben, vorübergehend im Krisenmodus zu sein und danach wieder den Fokus auf den Klimawandel zu richten?
    PAHLE: Das muss beides parallel gehen. Es wäre nicht klug, das Thema außer Acht zu lassen. Das passiert auch nicht. Aber die Umsetzung politischer Maßnahmen verzögert sich spürbar und es drohen wertvolle Jahre verloren zu gehen. Bis zur Klimaneutralität ist es noch ein langer Weg.

    Welche Rolle spielt es dabei, dass viele Länder jetzt wieder mehr Geld für das Militär ausgeben wollen?
    PAHLE: Das sind öffentliche Gelder, die dann für andere Dinge nicht zur Verfügung stehen. Früher war oft von der Friedensdividende die Rede. Wir hatten lange Zeit den glücklichen Umstand, dass zumindest in Europa Frieden herrschte. Wir müssen anerkennen, dass sich das verändert hat. Das Problem ist, dass akute Krisen nahezu die komplette politische Aufmerksamkeit vereinnahmen und die langfristigen Krisen in die Peripherie verschieben.

    Wie realistisch ist das Ziel der Europäischen Union, bis 2050 klimaneutral zu sein, jetzt noch?
    PAHLE: Die Frage war auch vor dem Krieg schon, ob das Ziel realistisch ist. Dieses Ziel darf man sich nicht wie das Ziel, morgen die Wohnung zu putzen, vorstellen. Es ist ein Orientierungspunkt, der Handlungen motivieren soll. Das Wichtige ist, dass wir uns auf den richtigen Pfad begeben. Die Frage ist, ob die Schritte, die jetzt unternommen werden, vielversprechende Schritte in die richtige Richtung sind.

    Wie schätzen Sie das ein?
    PAHLE: Positiv. Der notwendigste Schritt ist, anzuerkennen, dass man mit den bestehenden politischen Instrumentarien nicht weiter kommt. Vielleicht noch drei Windräder mehr, oder ein Elektroauto mehr – das hätte definitiv nicht gereicht. Aber wir sehen in Deutschland, in der EU und sogar in den USA große Schritte.

    Einer dieser Schritte ist der europäische Emissionshandel, mit dem eine begrenzte Zahl an Emissionsrechten für Treibhausgase ausgegeben und anschließend auf einem Markt gehandelt wird. Kann der Deckel in der Krise noch eingehalten werden?
    PAHLE: Es kommt darauf an, was Politiker dafür tun, zu verhindern, dass der Deckel gekippt wird. Der Emissionshandel hat eine wichtige Doppelfunktion für den Klimaschutz. Zum einen stellt er ökonomische Anreize dar, Emissionen zu vermeiden und in Klimaschutz zu investieren. Zum anderen ist die Höhe des Preises auch immer ein Indikator für die Ernsthaftigkeit des Klimaschutzes. Die Stimmen, die den Deckel einfrieren wollen, sowohl Unternehmen als auch Regierungen mehren sich gerade. Wenn wir das machen, geben wir faktisch die Klimaziele auf. Wir sind jetzt an einem Scheidepunkt. Wenn der Emissionshandel robust durch den Winter kommt, können wir zuversichtlich sein, dass er auch weitere Krisen übersteht.

    Russland war nie ein Vorreiter beim Kampf gegen den Klimawandel, aber jetzt werden die Initiativen, die es gab, aufgeschoben. Dazu berichten Beobachterinnen und Beobachter, dass Klimaexpertinnen und -experten das Land verlassen. Hat das langfristige Folgen für den Klimawandel?
    PAHLE: Die geopolitische Lage verschiebt sich gerade. Russland stellt nicht nur den Klimaschutz zurück, sondern ist auch nicht mehr Teil der internationalen Gemeinschaft. Klimaschutz muss zwangsläufig international sein. Kein einziges Land ist groß genug, die Probleme allein zu lösen. Die Kooperation war nie einfach, aber der Weg dahin war einigermaßen vielversprechend. Das ist jetzt ein Rückschritt. Die Frage ist: Was wird gesellschaftlich in Russland passieren? Falls es einen Regimewechsel gibt und das Land den Weg zurück in die Weltgemeinschaft findet, kann es sein, dass der Kampf gegen den Klimawandel intensiver und schneller nachgeholt wird. Große Veränderungen kommen immer nur durch Krisen zustande.

    Inwiefern besteht die Gefahr eines Domino-Effekts, falls Russland sich weiter von den Klimazielen verabschiedet? Könnte zum Beispiel China in der Folge seine ohnehin wenig ambitionierten Klimaziele über den Haufen werfen?
    PAHLE: Die großen Industrienationen orientieren sich an den Ländern, die auf ihrer Augenhöhe sind. Russland gehört nicht zu den großen Industrienationen. Das größere Desaster wäre gewesen, wenn die USA nicht wieder zurück zu einer ernsthaften Politik des Klimaschutzes gefunden hätten. Wenn das nicht passiert wäre, hätte jeder auf die USA zeigen können und sagen: Der zweitgrößte Emittent macht nichts, warum sollen wir dann etwas für den Klimaschutz tun?

    Wie sieht es beim Ausbau der erneuerbaren Energien aus? Wird der langfristig eher stocken, weil der Fokus auf der Energiesicherheit liegt oder sogar schneller vorangehen, weil Europa erkennt, wie wichtig Unabhängigkeit in diesem Bereich ist?
    PAHLE: Sowohl aus Sicht der Energiesicherheit als auch für unsere Souveränität sind erneuerbare Energien ein logischer Schritt. Das haben wir bei der Energiekrise in den 1970er Jahren gesehen. Die hat viel bewegt und ein Bewusstsein geschaffen, etwa beim Thema Energieeffizienz. Auch die aktuelle Krise wird das politische Bewusstsein dafür stärken. Ich bin nur etwas skeptisch, weil das Problem auch vorher schon weniger am politischen Willen und mehr an der gesellschaftlichen Unterstützung lag. Die Entlastungen sind aus sozialer Sicht wichtig, aber sie schirmen die Menschen nahezu komplett von einer Realität ab, deren Konsequenzen wir uns früher oder später stellen müssen. Meine Sorge ist, dass der Gaspreisdeckel zu einseitig ist und sogar einen Anreiz dafür schafft, mehr zu verbrauchen. Das kann man aber erst beurteilen, wenn die konkrete Umsetzung klar ist.

    Zur Person

    Dr. Michael Pahle, 47, leitet die Arbeitsgruppe "Klima- und Energiepolitik" beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

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