Herr Tidow, wenn es ums Wasser geht, hören wir immer häufiger extreme Nachrichten. Welche Probleme kommen da auf uns zu?
Stefan Tidow: Die Klimakrise stellt alte Gewissheiten in Frage. Mehrere Dürrejahre in Folge haben gezeigt: Deutschlands Wasserreichtum ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Wir brauchen mehr Einsatz, um den natürlichen Wasserhaushalt wiederherzustellen. Eine ausreichende, faire Verteilung der Wasserressourcen ist ein weiteres Thema für die nächsten Jahre. Genauso wie die Vorsorge gegen Extremwetter wie Starkregenereignisse.
Mir ist der Fokus auf naturbasierte Lösungen sehr wichtig: Böden, die Wasser speichern und rückhalten, sind elementar für die Grundwasserneubildung. Eine weitere Herausforderung bleibt trotz unbestreitbarer Fortschritte die Wasserverschmutzung. Spurenstoffe aus Arzneien und Haushaltschemikalien verschmutzen das Wasser dauerhaft. Und es kommen immer neue Spurenstoffe hinzu. Als Bundesumweltministerium gehen wir viele dieser Risiken schon heute an. Das neue Spurenstoffzentrum des Bundes schließt wichtige Wissenslücken und erkundet Gegenmaßnahmen. Auch erproben wir ein Abwassermonitoring, um die Bekämpfung der Corona-Pandemie zu unterstützen.
Im Moment brennen vielerorts die Wälder, Böden sind ausgetrocknet, der Regen fehlt – wie gravierend ist der Wassermangel?
Tidow: Deutschland erlebt seit einiger Zeit andauernde Trockenzeiten. Doch ein bundesweiter Wassermangel ist das noch nicht. Man muss unterscheiden: Echte Wasserknappheit in der Vegetation tritt bislang nur regional und zeitlich begrenzt auf. Dort, wo sie auftritt, sehen wir natürlich Waldbrände, Ernteeinbußen oder verdorrte Grünflächen. Aber die Grundwasserstände sind von der Trockenheit kaum betroffen. Mehr als 95 Prozent der Grundwasserkörper in Deutschland sind mengenmäßig in einem guten Zustand. Trinkwasser ist also weiterhin genügend da.
Akute Versorgungsprobleme treten nur dann auf, wenn sehr viele Nutzer gleichzeitig sehr viel Wasser zapfen. Damit das nicht passiert, helfen zum Beispiel Verbundsysteme und natürlich ein bewusster Umgang mit Wasser. Dennoch ist das kein Grund zur Beruhigung. Die Wissenschaft weist auf eine langfristig abnehmende Tendenz des Grundwassers hin. Es ist höchste Zeit, dass wir uns um unser Wasser kümmern.
Mit welchen Strategien können Extremwetterereignisse wie Dürren, Starkregen oder Hochwasser bekämpft werden?
Tidow: Die Folgen der Klimakrise sind erschreckend konkret geworden. Die Flutkatastrophe im Westen sowie die Hitzewellen und Trockenphasen der letzten Jahre haben viele wachgerüttelt. Immer mehr Städte und Gemeinden engagieren sich in Sachen Klimaanpassung. Das ist gut. Verantwortliche vor Ort analysieren die Klimarisiken, die ihre Kommune betreffen, und sorgen aktiv vor. Das Bundesumweltministerium fördert deshalb auch kommunale Klimaanpassungsmanager. Unser Zentrum KlimaAnpassung erlebt einen anhaltenden Boom an Anfragen, ebenso wie die Förderprogramme für Klimaanpassung.
Strategien können letztlich nur regional entwickelt werden, sie müssen den Herausforderungen vor Ort Rechnung tragen. Doch für alle gilt: Wir brauchen mehr Flächen, in denen Wasser versickert und gespeichert wird. Auch unsere Flüsse brauchen wieder mehr Raum. Wo immer es geht, sind naturnahe Lösungen das Mittel der Wahl.
Wie kann unsere Nutzung von Wasser nachhaltiger werden?
Tidow: Unsere Gesellschaft braucht einen bewussteren Umgang mit der kostbarsten Lebensressource. Wasserverschwendung sollten wir uns nicht mehr leisten. Auch in 30 Jahren soll sauberes Wasser immer und überall in Deutschland ausreichend verfügbar sein. Damit das gelingt, braucht es ein verändertes Bewusstsein, Investitionen und Technik, aber auch einen anderen Umgang mit der Natur, die uns ja wirksame Lösungen bereitstellt. Auch die Infrastruktur, Landnutzung und Stadtentwicklung müssen noch besser an die Folgen der Klimakrise angepasst sein. Daher bündelt die Nationale Wasserstrategie die Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen sowie Forschung, Zivilgesellschaft und Wasserwirtschaft. Und natürlich soll sie auch die Bürgerinnen und Bürger sensibilisieren und aufklären.
Die Bundesregierung arbeitet gerade an einer Nationalen Wasserstrategie. Was ist da geplant?
Tidow: Die Nationale Wasserstrategie nimmt uns alle in die Pflicht. Gemeinsam müssen wir bis 2050 für einen nachhaltigen Umgang mit Wasser sorgen. Es geht ja um elementare Fragen der Daseinsvorsorge, wie die ausreichende Versorgung mit Trinkwasser. Welche Maßnahmen die Bundesregierung anstoßen wird, stimmt sie derzeit ab und bindet auch die Länder und die Wasserwirtschaft ein.
Im Ministerium planen wir ein konkretes Förderprogramm für klimabezogene Maßnahmen der Wasserwirtschaft und zur Gewässerentwicklung. Dazu nehmen wir mit dem „Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz“ viel Geld in die Hand. Zugleich verbessern wir die Wissensgrundlage und stärken die Prognosefähigkeit der Entscheider vor Ort. Wir brauchen in Ländern und Kommunen verstärkt modellgestützte regionale Szenarien der künftigen Entwicklung von Wasserdargebot und Wasserbedarfen, damit diese daraus Wassernutzungs- und Wasserversorgungskonzepte entwickeln, die Nutzungskonflikten vorbeugen und Grundlagen für Infrastruktur- und Ansiedlungsplanungen schaffen.
Zur Person: Stefan Tidow, 55, ist als politischer Beamter seit Dezember 2021 Staatssekretär im Bundesumweltministerium.