Sie scheinen es apokalyptisch zu mögen. Auch in Ihrem neuen Roman "Blue Skies" geht es um den Weltuntergang. Zieht Sie diese ständige Beschäftigung mit den großen Katastrophen nicht herunter?
T.C. BOYLE: Für mich ist das Schreiben Therapie. Man könnte auch sagen Suizidprävention. In meinem Herzen sieht es so düster aus wie bei allen Menschen, die je diesen Erdball bevölkert haben. Aber nachdem ich nun mal in dieser Welt lebe, versuche ich, das so lange zu genießen, wie es geht. Zumindest schreibe ich keine Geschichten, die ganz nah an meinem Leben dran sind. Ich versuche einfach nur zu interpretieren, was in diesen wahnsinnigen Zeiten geschieht. Früher gab es die Propheten, die das Ende der Welt ankündigten, jetzt sieht es dank des Klimawandels fast danach aus, dass wir ihn tatsächlich erleben.
In diesen Szenarien gibt es bei Ihnen keine eindeutigen Helden, Ihre Charaktere sind eher zwiespältig...
BOYLE: Bislang war ich nicht dazu imstande, über wirklich gute Menschen zu schreiben. Ich bewundere Autoren, die das können. Vor kurzem habe ich Kazuo Ishiguros "Was vom Tage übrig blieb" wieder gelesen, das sich um einen grundanständigen Protagonisten dreht. Vielleicht sollte ich das mal versuchen. Ich könnte so einen Menschen mit absolut reiner Seele nehmen – wie mich zum Beispiel (lacht). Aber ich mag eben nichts Autobiografisches.
Ihr Roman zeigt aber auch die menschliche Resilienz, denn die Protagonisten beginnen das Blatt langsam zu wenden.
BOYLE: Natürlich, man braucht aufbauende Momente. Ich sehe auch Hoffnungszeichen. In Kalifornien haben wir nach Jahren der Dürre wieder Regen. Bei mir hier in der Umgebung gibt es ein Schmetterlings-Schutzgebiet. Die Population ist in den früheren Jahren drastisch zurückgegangen, aber im letzten Jahr stieg sie wieder. Diese Tiere sind ganz schön zäh. Ja, in unserer Spezies eliminieren wir einander, aber es gibt gelegentlich einen Hoffnungsschimmer. Es ist nicht völlig schwarz.
Wie durchhaltefähig sind Sie denn selbst?
BOYLE: Ich hatte in meinem Leben sehr viel Glück. Obwohl ich aus einer Arbeiterfamilie komme, konnte ich aufs College gehen und mich selbst verwirklichen. Als ich die künstlerische Laufbahn einschlug, fand ich ein Publikum, das mich all die Jahre getragen hat. Das ist die reinste Freude. Andererseits hat es enorm viel Fokus und Disziplin gebraucht, um im Lauf meines Lebens 31 Bücher zu schreiben. Das war nicht ganz so einfach.
Momentan scheinen Ihnen neue Belastungen zu drohen, denn Donald Trump will wieder Präsident werden.
BOYLE: Momentan denke ich noch, dass sich diese ganze Trump-Geschichte eher abschwächt. Und zwar nicht, weil die Republikaner ihr Gewissen entdeckt hätten. Der Punkt ist nur der, dass die sich nur für Gewinner interessieren, und er ist für mich ein Verlierer. Die größte Gefahr bestand bei den Wahlen von 2020. Wenn er gewonnen hätte, dann hätte er sich als Diktator etabliert und wir hätten keine Demokratie mehr. Derzeit bin ich noch optimistisch. Aus meiner Sicht haben wir den Sturm überstanden. Natürlich gibt es noch den rechten Flügel, der allen möglichen Unsinn ausbrütet, aber zumindest in der nahen Zukunft sehe ich keine Diktatur am Horizont.
Sie sind ja ein großer Naturliebhaber. Wären wir bessere Menschen, wenn wir mehr Zeit in der Natur verbringen würden?
BOYLE: Na ja, fragen Sie mal Vladimir Putin, welches Verhältnis er zur Natur hat. Im Ernst: Wir alle sind verschieden. Einer meiner besten Freunde lebt in Manhattan. Er hat vor Bäumen Angst, hasst alles, was mit Natur zusammenhängt. Die Großstadt ist sein Milieu. Dann soll es eben so sein. Jeder nach seiner Fasson. Aber mir persönlich tun die Menschen leid, die keine Chance haben, die Natur zu erleben. Sie ist unsere spirituelle Heimat und ich liebe es dort allein Zeit zu verbringen und zu meditieren. Wäre ich nicht Schriftsteller, dann würde ich am liebsten als Biologe arbeiten. Aber so führe ich mein Leben in meiner Fantasie und verbringe so viel Zeit wie möglich draußen unter den Geschöpfen der Natur.
Was wäre, wenn Sie in einem neuen Leben als Tier zurückkehren könnten?
BOYLE: Tja, die Philosophen diskutieren diese Frage ja schon seit Äonen. Tiere haben ja uns gegenüber den riesigen Vorteil, dass sie kein Bewusstsein ihrer Sterblichkeit haben. Ich hätte da nichts dagegen und würde am liebsten nur im Moment leben.
Sie sind also nicht davon angetan, dass wir als Menschen dank der evolutionären Entwicklung unseres Verstands so viel mehr verstehen und erkennen?
BOYLE: Nun ja, was können wir schon erkennen? Wie bizarr unser Leben ist, wie moralisch bankrott Religionen sind? Dass es auf nichts eine Antwort gibt? Letztlich sind unser Gehirn und unser Bewusstsein eine evolutionäre Altlast. Ja, wir haben sie gebraucht, damit wir die Savanne hinter uns lassen und als Spezies überleben konnten. Aber brauchen wir diese intellektuellen Kapazitäten jetzt noch? Sie sind völlig überentwickelt. Unser Bewusstsein summt ständig in unserem Kopf. Es ist zu einer gewaltigen Last geworden. Und wir können es nur zur Ruhe bringen, indem wir uns ablenken. Mit Unterhaltungsmedien oder indem wir uns mit Alkohol und Drogen betäuben
Aber Ihr Bewusstsein ermöglicht Ihnen doch auch, interessante Gespräche zu führen oder Romane wie "Blue Skies" zu verfassen.
BOYLE: Klar. Es ist auch schön, über Gott und die Welt zu sprechen oder Bücher zu schreiben. Aber letztlich geht es nur darum, neues Leben zu schaffen. Wir suchen nach Essen und nach Partnern, um uns fortzupflanzen. Das Dasein der Tiere ist so viel einfacher. Die leben in einer begrenzen Welt und müssen sich nicht den Kopf über das ganze Universum zerbrechen. Wir mit unserer Intelligenz dagegen machen den ganzen Planeten kaputt.
Doch wenn das Bewusstsein eine solche Last ist, ist es eine Qual, künstlerisch zu arbeiten?
BOYLE: Im Gegenteil, denn dabei meldet sich unser Unterbewusstsein zu Wort. Wenn ich arbeite, dann gehe ich erst mal durch meine ganzen E-Mails und Tweets, bis ich dann anfange, das bisher Geschriebene durchzulesen, umzuschreiben und damit herumzubasteln. Dabei trete ich dann in einen anderen mentalen Zustand ein, in dem ich plötzlich die ganze Struktur dieses Kunstwerks sehe, wohin es sich bewegt, wie es sich bewegt. Auf einmal spricht eine Stimme in meinem Kopf, ich sehe Bilder, und all das muss ich nur in Worte übertragen, die ich in den Computer tippe. Dieser Zustand ist absolut wundervoll. Und der Prozess setzt sich dann im Bewusstsein des Lesers fort, der die Worte auf einer Buchseite in Bilder überträgt. Deshalb ist die Literatur, obwohl sie im elektronischen Zeitalter zwangsläufig ausstirbt, eine einzigartige Kunstform
Ob sie ausstirbt, wäre ja noch zu sehen. Aber wie oft erreichen Sie den angesprochenen Zustand?
BOYLE: Nicht jeden Tag. Manchmal bewege ich mich wieder zurück. An manchen Tagen passiert gar nichts. Aber wenn er sich einstellt, dann ist das ein Gefühl von vollkommener Freiheit. Ich bin auch kein Autor, der seine Geschichte plant. Ich weiß nicht, wo sie sich hinbewegt. Ich mache ständig neue Entdeckungen, und am Ende eines Tages habe ich hoffentlich Ideen für den nächsten. In der Regel lese ich die neuen Passagen immer meiner Frau vor, nicht weil ich ihre kritische Meinung brauche, sondern weil ich hören will, wie das Geschriebene klingt. Das gibt mir ein Gefühl für Rhythmus und ermöglicht es mir, die Querverbindungen der Geschichte zu erkennen. Wobei das für mich persönlich funktioniert. Jeder Autor hat seine eigene Methode.
So wie Sie sich anhören, müsste die Schriftstellerei die ideale Existenzform für Sie sein.
BOYLE: Es gibt noch etwas Besseres. Musik ist für mich die spannendste alle Kunstformen. Wenn du deine Lieblingsplatte auflegst und mitsingst, dann verlierst du für eine Weile auch dein Bewusstsein. Noch besser ist es, wenn du selbst Musik machst. Das war für mich die erste Begegnung mit Kultur überhaupt. In meiner Jugend spielte ich Saxophon und hörte John Coltrane, der mein Gott und Held ist und bleibt. Später spielte ich in einer Rock’n´Roll Band. Erst mit 25, im Graduiertenstudium, entdeckte ich die Literatur für mich, die ich früher ignoriert hatte. Aber Musik ist das, was mich am Leben hält. Wenn ich schreibe, dann höre ich ständig Musik. Sie singt in meinem Kopf. Sie ist die Essenz meines Lebens.
Was für Musik haben Sie bei der Arbeit an "Blue Skies" gehört?
BOYLE: Beim Schreiben höre ich ausschließlich Klassik und Jazz. Denn ich will mich nicht von Texten ablenken lassen. Ansonsten besteht mein Programm aus Rock’n´Roll, Blues und Reggae. Wobei ich bei den Songs kaum auf die Texte achte. Oft kenne ich sie gar nicht.
Sie haben sich so skeptisch über unsere Spezies geäußert. Aber die Tatsache, dass der Mensch zu solchen kreativen Leistungen fähig ist, könnte Ihnen doch Hoffnung für uns geben?
BOYLE: Wir brauchen nochmal sechs Stunden, um dieses Thema zu diskutieren. Wir wissen auch gar nicht, ob das Schaffen von Kunst für uns gut oder schlecht ist. Für das Überleben ist es völlig nutzlos. Es ist irgendeine Zugabe zu unserem täglichen Dasein und unserer Wahrnehmung der Welt. Ich fühle mich privilegiert, dass ich dazu imstande bin. Mein ganzes Leben ist damit ausgefüllt, diese Fiktionen zu kreieren. Aber ich habe keine Ahnung, was sie für einen Sinn und Zweck haben - außer dem, dass wir die Grenzen unseres Körpers hinter uns lassen.
Zur Person
T(homas) C(oraghessan) Boyle wurde 1948 im US-Bundesstaat New York als Sohn irischer Einwanderer geboren. Mit Ach und Krach schaffte er den High-School-Abschluss, im Studium entdeckte er dann seine Liebe zum Schreiben, promovierte in Englischer Literatur. Er gilt als einer der wichtigsten amerikanischen Erzähler, bringt fast jedes Jahr ein Buch heraus. Eines seiner zentralen Themen ist der Mensch und sein Verhältnis zur Natur. Boyle, der mit seiner Familie im kalifornischen Santa Barbara wohnt, hatte sich bereits vor über 20 Jahren in "Ein Freund der Erde" mit den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigt. Auch sein neuer Roman „Blue Skies“, der am 15. Mai bei Hanser (400 Seiten, 28 Euro) erscheint, ist ein Ökothriller über den Alltag in diesen Zeiten.