Sie seien schlicht von oben verordnet, wie er in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa erläuterte.
Im Fernsehen sind tausende weinende Menschen zu sehen. Sind diese Bilder echt?
Thiel: "Die Bilder sind sicherlich echt, die Frage ist, ob die Emotionen, die wir da gesehen haben, wirklich immer vom Herzen her kommen. Und da habe ich meine Zweifel. Wir haben es mit einer Diktatur zu tun - in einem Ausmaß, wie wir Westler es uns kaum vorstellen können. Wenn dort Trauer verordnet wird, dann wird getrauert. Je mehr, umso besser."
Kann man tatsächlich anordnen, dass ein ganzes Land in Tränen ausbricht?
Thiel: "Tränen auf Befehl - das können nicht nur Schauspieler, sondern auch Menschen, die es von klein auf gewohnt sind, von oben gesagt zu bekommen, was sie zu denken, zu fühlen, zu tun und zu lassen haben."
Ist diese "Massentrauer" typisch asiatisch oder eher typisch für eine Diktatur?
Thiel: "Ich war früher oft in Asien unterwegs und eines ist mir aufgefallen: Viele Menschen sind verschlossen, verbergen ihre Gefühle hinter einer gelassenen oder freundlichen Fassade. Umso überraschender ist, wenn sie in psychischen Ausnahmesituationen hasserfüllt oder auch sehr traurig sein können. Ich glaube, dass viele Asiaten eine Art Erlaubnis brauchen, um bestimmte Gefühle zeigen zu dürfen - das kann z.B. ein Massenerlebnis oder ein verordneter Anlass sein."
Gibt es bei uns vergleichbare Phänomene der kollektiven Trauer?
Thiel: "Ich denke, jeder von uns hat noch das Bild von Prinzessin Diana, aufgebahrt in der Kirche, vor Augen, als Elton John "Candle In The Wind" gesungen hat. Da schossen millionenfach Tränen in die Augen. Ich habe das Gefühl, dass viele an einem Ereignis wie dem Tod einer prominenten Person auch um die weinen, die sie selbst verloren haben. Und bisher nicht geweinte Tränen öffentlich zulassen."
Sind das dann echte Gefühle?
Thiel: "Ich meine, dass unsere Gefühle, was Trauer, aber auch was Lachen und Wut angeht, echter sind als in diktatorischen Regimes. Wir sind in hohem Maße frei, Gefühlsäußerungen zu zeigen, so wie wir wollen, und können daher auch kollektive Trauer sehr viel freier zeigen." (dpa)