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Polizistenmord: Urteil im Polizistenmord-Prozess: Die Schwächen und Stärken der Justiz

Polizistenmord

Urteil im Polizistenmord-Prozess: Die Schwächen und Stärken der Justiz

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    Rudolf Rebarczyk wurde zur lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
    Rudolf Rebarczyk wurde zur lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Die Höchststrafe also. Wenn alles normal läuft, wird Rudolf Rebarczyk nie mehr freikommen. Ist dieses Urteil gerechtfertigt? Ja, zu einhundert Prozent. Nach allem, was in dem Prozess im Laufe eines Jahres herauskam, ist Rebarczyk ein Berufsverbrecher, der in seinem Leben nichts Vernünftiges zustande gebracht hat. Seinen Unterhalt finanzierte er sich mit brutalen Straftaten. Zweimal kam es im Vorfeld von geplanten Überfällen zu zufälligen Aufeinandertreffen mit der Polizei. Beide Male hat Rebarczyk

    Eine Menge belastender Indizien zusammengetragen

    An seiner Schuld kann es keine Zweifel geben. Die Ermittler der Augsburger Kripo haben bei der Aufklärung des Mordes am Kollegen gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft hervorragende Arbeit geleistet und eine Menge belastender Indizien gegen Rebarczyk zusammengetragen. Das bot dem Gericht eine gute Basis für einen peniblen Prozess und ein tragfähiges Urteil. Die zuletzt viel gescholtene bayerische Justiz hat in Augsburg ihre Belastbarkeit und Funktionsfähigkeit bewiesen – zumindest, was den einen der beiden angeklagten Brüder betrifft.

    Denn ebenso deutlich traten in diesem Verfahren Schwächen des Justizsystems zutage. Wir haben gesehen, was passiert, wenn ein erfahrener Gutachter, auf den sich die Augsburger Justiz seit mehr als 20 Jahren verlässt, überraschend einen der Angeklagten auf zweifache Weise aus der Schusslinie nimmt. Waren die Ausführungen von Ralph-Michael Schulte zur krankheitsbedingten Verhandlungsunfähigkeit von Raimund M. noch schlüssig, verstieg sich der Psychiater und Neurologe später zu kaum nachvollziehbaren Thesen. Nämlich dass M. nicht der Täter gewesen sein kann.

    Gerichte sind zu sehr von Gutachtern abhängig

    Das zeigt zweierlei: Zum einen ist auch ein erfahrener Sachverständiger nicht vor Irrwegen gefeit. Zum anderen sind die Gerichte heute zu sehr von Gutachtern abhängig. Die haben freilich keinen leichten Job. Sie sollen – oft auf dünner Aktenbasis – Prognosen für die Zukunft erstellen oder lange zurückliegende Ereignisse psychiatrisch bewerten. Dies ist nicht immer seriös möglich. (Liveticker von der Urteilsverkündung zum Nachlesen)

    Ohne Gutachter geht es aber auch nicht. Ein Ausweg aus dem Dilemma könnte sein, dass Richter die medizinischen Sachverständigen wieder mehr als Helfer betrachten und sich nicht mehr so häufig in ihrer Urteilsfindung nur hinter deren Ausführungen verschanzen. Denn letztlich hat im Gerichtssaal immer noch der

    Juristische Schwerstarbeit: Verfahren gegen Raimund M. auf die Spur bringen

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Das Platzen des Prozesses gegen Raimund M. hat auch gezeigt, dass im bayerischen Strafvollzug einiges verbesserungsbedürftig ist. Wir haben gesehen, was passiert, wenn hartnäckige Anwälte und ein kranker Angeklagter auf ein Gefängnis treffen, das sich um den Gesundheitszustand des Insassen nicht ausreichend kümmert. Und die medizinischen Empfehlungen eines Sachverständigen nicht ernst nimmt. Das Verfahren gegen Raimund M. wieder auf die Spur zu bringen, ist juristische Schwerstarbeit.

    Bayern ist für seine harte Linie in Justiz und Vollzug bekannt. Für Therapien und Vorbereitung auf das Leben in Freiheit ist da oft wenig Platz. Das muss nicht immer falsch sein. Viele Verbrecher sind nicht therapierbar. Doch eines müssen wir uns klar vor Augen führen: Die allermeisten Straftäter kommen irgendwann wieder frei. So sehen es unsere Gesetze nun mal vor. Und dann ist die Frage, was besser für uns alle ist: Einer, der im Gefängnis mithilfe von Fachleuten viel an sich gearbeitet hat, oder einer, der nach 20 Jahren Knastregime von heute auf morgen in das Leben draußen entlassen wird.

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