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Polizistenmord: Polizist belauscht brisantes Gespräch zwischen Raimund M. und Verteidiger

Polizistenmord

Polizist belauscht brisantes Gespräch zwischen Raimund M. und Verteidiger

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    Wie krank ist Raimund M. wirklich?
    Wie krank ist Raimund M. wirklich? Foto: Fred Schöllhorn

    Normalerweise ist der Gerichtssaal 101 die Bühne, auf der in Augsburg die großen Strafprozesse verhandelt werden – auch der Fall des Polizistenmordes. Doch im November vorigen Jahres ist das plötzlich ganz anders. Damals gehen Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und Nebenkläger hinunter in den Keller, in den Zellentrakt des Strafjustizzentrums. Dort treffen sie auf einen heulenden, stark zitternden Raimund M., 60. Der mutmaßliche Polizistenmörder sei so krank, dass er nicht mehr in den Saal kommen könne, sagt der Gutachter damals.

    Polizist belauschte Gespräch zwischen Raimund M. und Verteidiger

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Nun ist eine weitere Szene aktenkundig geworden, die sich am 13. November 2013 im Keller des Gerichtsgebäudes abgespielt haben soll. Ein Polizeibeamter, der dabei war, hat eine Aussage gemacht, die für Aufsehen sorgt. Der Beamte gehört einem Sonderkommando an, das die verdächtigen Brüder Raimund M. und Rudi R., 58, an den Prozesstagen bewacht. Der Polizist hat ein Gespräch zwischen M. und seinem Verteidiger Adam Ahmed belauscht. Der Rechtsanwalt soll den an Parkinson erkrankten M. gefragt haben, warum er sein Medikament genommen hat.

    Die Frage des Anwaltes birgt, je nachdem, wie man sie deutet, eine Menge Brisanz. Hat der Verteidiger dem Angeklagten geraten, seine Medikamente nicht zu nehmen, um seine Krankheit Parkinson zu verschlimmern? Immerhin ging es damals um die Frage, ob M. noch in der Lage ist, vor Gericht zu erscheinen. Weil der Gutachter Ralph-Michael Schulte den mutmaßlichen Polizistenmörder als schwer krank einstuft, ist der Prozess gegen den mutmaßlichen Polizistenmörder inzwischen geplatzt. Nur gegen seinen Bruder Rudi R. wird derzeit noch verhandelt.

    Nimmt der Parkinsonkranke tatsächlich seine Medikamente?

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    Der Prozess um den Mord am Polizisten Mathias Vieth ist eines der größten Verfahren am Landgericht Augsburg gewesen. Die Bildergalerie zeigt seine Protagonisten.

    M.s Verteidiger Adam Ahmed und Werner Ruisinger wehren sich aber seit Wochen gegen den Vorwurf, dass ihr Mandant seine Parkinson-Medikamente nicht einnehme und seine Beschwerden simuliere. Auch in dem Gespräch im Keller des Gerichtsgebäudes ist es nach ihrer Darstellung nur um die Frage gegangen, warum M. die Tabletten gerade jetzt nehme. Weil der Zeitpunkt untypisch gewesen sei, hätten sie befürchtet, er sei bei der Einnahme der Medizin durcheinandergekommen.

    Dass Raimund M. tatsächlich an der Nervenkrankheit Parkinson leidet, bezweifelt in dem Verfahren keiner der Beteiligten. Auch Ärzte der Uniklinik Großhadern in München, die M. am 11. Dezember untersucht haben, kommen zu diesem Schluss. Allerdings klingen die Ergebnisse weit weniger dramatisch als bei Schulte. Professor Andreas Straube schreibt, es gebe keine Hinweise auf Sprach- oder Aufmerksamkeitsstörungen. Sowohl Blutdruck als auch die Ergebnisse einer Computertomografie und einer Hirnstrommessung seien unauffällig. M. leide an einem „Ruhe- und Halte-Tremor“, also einem Zittern der Hand, in diesem Fall der rechten. Das ist typisch für Parkinson.

    Ebenso gebe es Hinweise auf ein „gehemmt-depressives Syndrom“, das sich durch niedergedrückte Stimmung und Antriebslosigkeit bemerkbar mache. Der Spezialist der Uniklinik empfiehlt eine Therapie – und eine neue Justierung der Medikation: Selbst unter der Annahme, dass M. die verordneten Medikamente immer einnehme, spricht er von einer „leichten Unterdosierung“. Professor Straube hält offenbar auch das proteinreiche Essen, das Schulte verordnet hat, für eher kontraproduktiv. Normale, ausbalancierte Kost sei ausreichend. Logopädische Übungen hält der Münchner Neurologe zurzeit nicht für notwendig. Gutachter Schulte hatte M. auch Ausdrucks- und Wortfindungsprobleme attestiert.

    Und noch ein interessantes Detail offenbart der Bericht des Oberarztes: M. habe Schwielen an den Händen. Vom intensiven Gerätetraining, das dem Mordverdächtigen immer nachgesagt wird?

    Der Prozess gegen M.s Bruder Rudi R. wird am heutigen Mittwoch fortgesetzt. Ende Januar könnte das Urteil fallen.

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