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Leben im Rausch: Faszination Geschwindigkeit: Warum Ghostrider ihr Leben aufs Spiel setzen

Leben im Rausch

Faszination Geschwindigkeit: Warum Ghostrider ihr Leben aufs Spiel setzen

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    Die Kreuze am Straßenrand erinnern an tödliche Unfälle. Vor allem auf Landstraßen ist es gefährlich.
    Die Kreuze am Straßenrand erinnern an tödliche Unfälle. Vor allem auf Landstraßen ist es gefährlich. Foto: Marc Tirl, dpa (Symbolbild)

    Mit mehr als 300 Stundenkilometern rast der Mann, der sich „Turborider“ nennt, auf seinem Motorrad durch den Verkehr. Ein Schlenker nach links, danach zwängt er sich durch die schmale Lücke zwischen zwei nebeneinanderfahrenden Autos. Die Fahrzeuge fliegen am Extrem-Raser, der angeblich aus München kommt, vorbei.

    Mit solchen lebensgefährlichen Tempofahrten präsentiert sich der Turborider seinem Internet-Publikum, denn die Kamera ist bei jeder Fahrt dabei. Zu sprechen sind solche Raser dagegen nur schwer, sind ihre Manöver doch höchst illegal. Wenige Zentimeter liegen bei solchen Fahrten zwischen Leben und Tod – und doch oder gerade deswegen haben diese lebensmüden Fahrer ihre Fans. Die Videos werden tausendfach geklickt.

    Verkehrspsychologe Johannes Vetter kennt den Grund: „Das Publikum bewundert die Fahrkünste der Raser und wie sie ihre Maschinen trotz der extrem hohen Geschwindigkeiten im Griff haben.“ Die „Ghostrider“, wie der Experte sie nennt, gefährden dabei nicht nur sich selbst und die anderen Verkehrsteilnehmer, sondern auch die Zuschauer an den Monitoren, sagt Vetter. „Mancher kann auf dumme Gedanken kommen.“

    Er vergleicht sie mit einer ganz anderen Gruppe: „Fußballer etwa haben auch einen starken Einfluss auf ihr Publikum.“ Vor allem junge Menschen liefen Gefahr, ähnliche Fahrmanöver auszuprobieren. Vetter arbeitet seit rund 25 Jahren als Verkehrspsychologe, einen Ghostrider hat er noch nie behandelt, dafür aber Nachahmer: „Ein Klient hatte mir von den Videos im Internet erzählt und immer wieder betont, wie toll er sie findet.“

    Was Ghostrider mit Fußball zu tun haben

    Extreme Raser wie der Turborider seien die Ausnahme, sagt Vetter, der in München und Donauwörth Praxen betreibt. „Ghostrider sind wie Hooligans beim Fußball. Eine kleine Gruppe erregt großes Aufsehen und bringt die ganze Szene in Verruf.“ Es gehe darum, immer gefährlichere Stunts zu machen, um anerkannt zu werden. „Durch die Klicks fühlen sie sich in ihrem Verhalten bestätigt.“ Die Gefahr scheinen die meisten auszublenden. „Sie denken, sie sind unfehlbar und ihnen passiert eh nichts. Das ist vergleichbar damit, wenn ein Amateurskifahrer den Hahnenkamm (eine Ski-Rennstrecke in Kitzbühel, Anm. d. Red.) runterfährt“, sagt der 64-Jährige. Solche Manöver seien purer Leichtsinn: „Es geht um den Kick. Die Geschwindigkeit macht den Reiz aus.“

    Der Turborider aus München machte in der Vergangenheit mit waghalsigen Manövern auf sich aufmerksam. Seit 2011 gibt es Gerüchte über seinen Tod.
    Der Turborider aus München machte in der Vergangenheit mit waghalsigen Manövern auf sich aufmerksam. Seit 2011 gibt es Gerüchte über seinen Tod. Foto: Screenshot AZ/gaskrank

    Das Tempo spiele aber auch beim „normalen“ Motorradfahrer eine Rolle: „Das fasziniert viele Biker“, erklärt Vetter. Das Problem: Jeder vierte tödliche Unfall auf Bayerns Straßen im Jahr 2015 wurde durch nicht angepasste Geschwindigkeit verursacht.

    Vor allem auf Landstraßen sei das überhöhte Tempo gefährlich, sagt Siegfried Hartmann, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Nord: „Fehlerhaftes Überholen hängt meist mit überhöhter Geschwindigkeit zusammen.“ Durch die modernen Fahrzeuge werde schneller gefahren, ohne sich dessen bewusst zu sein. Das gelte für Motorrad- und Pkw-Fahrer gleichermaßen. Denn auch manche Autofahrer geben mächtig Gas. Hartmann berichtet etwa von einem Porschefahrer, der neulich mit 280 Stundenkilometern auf der A 8 gemessen wurde.

    Raser ist nicht gleich Raser

    Psychologe Johannes Vetter appelliert deshalb an die Vernunft: „Es hängt vom Alter und der Vorgeschichte ab, ob ein Fahrer sich ändert.“ Je älter der Raser, desto besser stünden die Chancen auf Rehabilitation. „Raser ist nicht gleich Raser und nicht jeder Motorradfahrer ist ein Verrückter“, stellt Vetter klar. Manche hätten einfach den falschen Fahrstil und eine Beratung reiche oft schon aus. „Da sind Familienväter dabei, die einfach nicht wissen, wie riskant das ist.“

    Gefährlich werde es, wenn der Fahrer eine emotionale Bindung zur Geschwindigkeit aufgebaut hat. Dann helfen meist nur langfristige Therapien, sagt Vetter. Ob ein Klient die Filme im Netz klickt, ist für ihn zweitrangig. „Bei manchen kommt jede Hilfe zu spät.“ So wie bei Vetters Klienten, der trotz Behandlung weiterhin schnell und bei einem Überholmanöver in den Tod fuhr.

    Tödlich verletzt wurde der Lenker des Motorrads am Samstagnachmittag beim Zusammenstoß auf der Straße zwischen Zusmarshausen und Dinkelscherben.
    Tödlich verletzt wurde der Lenker des Motorrads am Samstagnachmittag beim Zusammenstoß auf der Straße zwischen Zusmarshausen und Dinkelscherben. Foto: Polizei Zusmarshausen

    Viele Extrem-Raser haben ihr Hobby mit dem Leben bezahlt. Auch über den Turborider gibt es Gerüchte, dass er im Mai 2011 bei einem Unfall zwischen Dinkelscherben und Zusmarshausen (Kreis Augsburg) gestorben sein soll. Auf seiner Homepage steht seitdem: „RIP“ (Rest in peace) – Ruhe in Frieden.

    Dieser Artikel ist Teil eines Themenschwerpunkts. Zwölf Nachwuchsjournalisten der Günter Holland Journalistenschule haben sich dem sensiblen Thema "Leben im Rausch" gewidmet. Ihre Artikel, Videos, Karten, Bildergalerien und Grafiken finden Sie hier.

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