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Leben im Rausch: Er tauchte 100 Meter tief - und spürte dann seinen Körper nicht mehr

Leben im Rausch

Er tauchte 100 Meter tief - und spürte dann seinen Körper nicht mehr

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    Der ehemalige Apnoetaucher Benjamin Franz bei einem seiner Tauchgänge.
    Der ehemalige Apnoetaucher Benjamin Franz bei einem seiner Tauchgänge. Foto: Volker Clausen

    Herr Franz, Sie sind heute professioneller Berufsfotograf. Das war nicht immer so: Lange Zeit zählten Sie zu den bekanntesten Tauchern ohne Sauerstoffflasche – ein außergewöhnlicher Sport. Wie kommt man auf die Idee, hunderte Meter mit nur einem Atemzug zu tauchen?

    Benjamin Franz: Als Kind sah ich die Serie „Der Mann aus dem Meer“ mit Patrick Duffy, der konnte sich unter Wasser wie ein Fisch bewegen und hatte Kiemen. Das hat mich, also jemanden, der im Bayerischen Wald aufgewachsen ist, natürlich mehr interessiert als Bergsteigerfilme. Das war viel exotischer. Irgendwann habe ich mit zwölf oder 13 Jahren eine Schwimmbrille aufgesetzt und bin im See getaucht. Das war mein Aha-Erlebnis: Obwohl die Oberfläche schwarz war, konnte ich unter Wasser etwas sehen. Die eigene Neugier hat mich da rein getrieben.

    Vom Tauchen im Badesee bis zum professionellen Apnoetauchen, also dem Tauchen ohne Sauerstoffflasche, ist es aber noch ein Unterschied.

    Franz: Ein Freund von mir aus einem Tauchclub hat mich zum Tauchtraining eingeladen. Eines Tages sah ich den Film „Im Rausch der Tiefe“ von Luc Besson, in dem sich die Protagonisten mehr als 100 Meter in die Tiefe schrauben. Als Kinozuschauer dachte ich, das ist Fiktion. Mitte der 1990er bin ich mit meinen Tauchfreunden nach Elba gefahren. Die Einheimischen sagten uns, der Apnoetaucher, um den sich der Film dreht – Jacques Mayol –, hatte in genau dieser Bucht seine Rekorde gemacht. Ich dachte ja, das sei Fiktion. Das war dann mein Startpunkt – ich wollte wissen, wie tief ich gehen kann.

    In einer Minute konnte er 27 Meter mit einem Atemzug tauchen

    Der ehemalige Apnoetaucher bei einer Tiefenentspannungs-Übung vor einem seiner extremem Tauchgänge.
    Der ehemalige Apnoetaucher bei einer Tiefenentspannungs-Übung vor einem seiner extremem Tauchgänge. Foto: Martin Helmers

    Und wie tief war der erste Versuch?

    Franz: In einer Minute konnte ich etwa 27 Meter mit einem Atemzug tauchen, danach kam der Schmerz im Trommelfell.

    Sie wollten aber trotzdem immer tiefer gehen. Was hat Sie daran gereizt?

    Franz: Am Anfang waren es mit Sicherheit die extremen Fortschritte. Zu Beginn der zwei Wochen schaffte ich 27 Meter, nach zwei Wochen Tauchen waren es knapp 40 Meter. Wie sich die Fähigkeiten entwickelten, war schon sehr beeindruckend.

    Waren Sie also wie berauscht?

    Franz: Ja, es waren ja nicht nur die Fortschritte, die mich begeistert haben. Bei meinen Tauchgängen habe ich Tiefenentspannung erlebt, die ich so an der Oberfläche nie erleben konnte. Ich schätze, die Herzfrequenz sinkt dabei auf 20 oder 30 Schläge pro Minute. Das ist ein irres Gefühl. Während der Fahrt in die Tiefe mit einem Tauchschlitten, einer antriebslosen Vorrichtung, die Taucher in die Tiefe bringt, schloss ich die Augen, um mich zu entspannen. Und ganz unten hatte ich das Gefühl, als würden sich Arme und Beine im Wasser auflösen, weil der Wasserdruck das Blut im Körper zentralisiert. Das war mein „Rausch der Tiefe“. Der Sauerstoff, der noch in der Lunge war, war so stark komprimiert, dass ich in mehr als 100 Meter Tiefe keinen Atem-Reiz mehr hatte. Das ist Wahnsinn. Hinzu kommt natürlich, dass die Leute auf dem Boot warten, bis du nach vier Minuten wieder auftauchst. Diese Kombination zwischen dem körperlichen Gefühl und der mentalen Überzeugung, dass das etwas ganz Besonderes ist, was du da gerade machst, ist irre. Das hat einen Suchtcharakter, ganz klar.

    Neben dem Abenteuer ist Apnoetauchen aber auch ein Sport, der an die Grenzen geht. Hatten Sie nie Angst, dass etwas passiert?

    Franz: Das große Risiko, das ich damals sah, war das Risiko ohnmächtig zu werden. Wenn man Lufthunger hat und nicht an der Oberfläche ist, wird man ohnmächtig. Bei Apnoe-Wettbewerben werden etwa zehn Prozent aller Teilnehmer ohnmächtig. Die Gefahr ist aber nicht die Ohnmacht selbst, sondern die unbeobachtete Ohnmacht. Wer unbeobachtet raus schwimmt und ohnmächtig wird, der stirbt. Bei meinen Trainingsgängen waren immer viele Menschen um mich herum, unter und über Wasser. Die hätten mir ohne Weiteres Luft geben können. In meiner ganzen Sportler-Karriere musste ich nicht einmal zum Sicherungstaucher schwimmen.

    Zehn Prozent der Apnoetaucher wird bei Wettbewerben ohnmächtig

    Selbst am Tag Ihres Unfalls, dem 21. Juli 2002 nicht...

    Benjamin Franz heute. Er arbeitet jetzt als professioneller Fotograf. Das Bild ist ein Selfie von ihm.
    Benjamin Franz heute. Er arbeitet jetzt als professioneller Fotograf. Das Bild ist ein Selfie von ihm. Foto: Benjamin Franz

    Franz: Nach meinem Weltrekord von 2001 (117 Meter) wollte ich auch im „No Limit“ die maximale Tiefe erreichen. Das heißt: Mit dem Tauschschlitten nach unten und nur am Hebesack wieder hoch. Dieser Rekord lag bei 160 Metern. Mein Ziel: 165 Meter. Ich war sehr guter Dinge, dass es klappen könnte. Am 21. Juli 2002 tauchte ich am Vormittag 137 Meter, das war der maximale Tauchgang, also die Grenze bis zum Schmerz im Trommelfell. Der Tauchgang dauerte vier Minuten. Am Nachmittag tauchte ich dreimal 100 Meter. Nach dem dritten Mal kam ich an die Oberfläche und spürte meine rechte Seite nicht mehr, der Fuß war funktionslos, ich sah ihn gar nicht mehr. Mit Links hielt ich mich am Seil fest und wollte meinen Leuten auf dem Boot Bescheid sagen – und merkte, dass ich nicht mehr sprechen konnte. Meine Sprache war extrem eingeschränkt, so als wäre ich betrunken. Ich dachte wirklich, ich sterbe jetzt gleich. Die Menschen zogen mich aus dem Wasser, zwei Stunden später war ich in einem Krankenhaus. Ich hatte anscheinend einen Schlaganfall.

    Sie waren Anfang 30, Ihre rechte Körperhälfte war gelähmt, Sie saßen ein halbes Jahr im Rollstuhl und konnten nicht mehr sprechen…

    Franz: Anfangs sprach ich fast vier Wochen gar nichts mehr. Es war nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil ich nicht konnte. Auch das Verständnis für Buchstaben war weg. Ich konnte nicht mehr lesen. In diesen ersten Wochen war ich eingesperrt in meinem Körper. Manchmal dachte ich, mein Umfeld vermutete, dass auch mein Verstand betroffen war. Ich war aber total klar in meinem Bewusstsein. Das war schon heftig.

    Wie hat sich Ihr Leben verändert und haben Sie diesen einen Tauchgang jemals bereut?

    Franz: Der Unfall war sportlich gesehen mein abruptes Ende. Wenn man so erfolgreich ist, hat man viele Fans und ist bekannt. Dann musst du auf einmal Windeln tragen und wirst gefüttert: Von ganz oben nach ganz unten. Das verändert natürlich einen Menschen, das prägt einen sehr. Aber so makaber es ist, ich möchte auf den Unfall nicht verzichten, er hat mich zu dem gemacht, wer ich jetzt bin. Im Nachhinein sehe ich, dass ich als Spitzensportler der absolute Egoist war. Alles wurde meinem Ziel untergeordnet. Aber das merkt man erst, wenn man auf sein Leben blickt. Heute weiß ich, wie wichtig zwischenmenschliche Beziehungen sind. Ich habe mit allem abgebrochen, was mit Sport zu tun hat und mich der Fotografie gewidmet. Weil ja auch mein Beruf als Holzbildhauer nicht mehr funktionierte. Jetzt ist mein Erfolg, also gelungene Bilder, auch ein Erfolg für andere. Früher war mein Erfolg nur gut für mich.

    Interview: Felicitas Macketanz

    Zur Person: Benjamin Franz wurde am 3. Januar 1971 in Bad Kötzting geboren. Er lebt mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in Willmering im Bayerischen Wald und arbeitet als Fotograf. Franz’ größter Erfolg war sein Weltrekord im Tieftauchen mit variablem Gewicht im Jahr 2001: 117 Meter im Roten Meer. 2002 tauchte Franz vor seinem Rekordversuch im „No Limit“ 137 Meter tief, seine persönliche Bestleistung.

    Dieser Artikel ist Teil eines Themenschwerpunkts. Zwölf Nachwuchsjournalisten der Günter Holland Journalistenschule haben sich dem sensiblen Thema "Leben im Rausch" gewidmet. Ihre Artikel, Videos, Karten, Bildergalerien und Grafiken finden Sie hier.

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