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Interview: Klimawandel: „Wir haben noch zehn Jahre, um das Steuer rumzureißen“

Interview

Klimawandel: „Wir haben noch zehn Jahre, um das Steuer rumzureißen“

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    Markus Rex war Leiter des Forschungsteams auf dem Forschungsschiff "Polarstern". Er sagt: "Wir haben über 60 Besuche von Eisbären in unserem Forschungscamp gehabt."
    Markus Rex war Leiter des Forschungsteams auf dem Forschungsschiff "Polarstern". Er sagt: "Wir haben über 60 Besuche von Eisbären in unserem Forschungscamp gehabt." Foto: Mohssen Assanimoghaddam, dpa

    Professor Rex, was sind die wichtigsten Erkenntnisse dieser Reise?

    Markus Rex: Die Erkenntnisse sind vielfältig. Zum einen kommen wir mit einem Schatz an Daten und Proben aus der Arktis zurück, wie es sie noch nie gegeben hat. Dieser wird die Wissenschaft dauerhaft verändern. Das sind 150 Terabyte an Daten und tausende von Proben von Atmosphärenbestandteilen, Schnee und Eis, Ozeanwasser und von Kleinstlebewesen.

    Was steckt da an Neuigkeiten drin?

    Rex: Wir haben über hundert Schlüsselparameter des arktischen Klimasystems das ganze Jahr über aufgezeichnet, Parameter, die dessen Funktionsweise ganz genau beschreiben. Das Klimasystem der Arktis besteht aus Dutzenden von Einzelprozessen, die alle ineinandergreifen und sich gegenseitig beeinflussen wie die ineinandergreifenden Zahnrädchen in einem Uhrwerk. Und wir müssen diese komplexe Mechanik so weit verstehen und vermessen, dass wir sie nachbauen können, nämlich im Computer in unseren Klimamodellen. Nur so können wir genau beurteilen, wie sich das Klima in Abhängigkeit vom Treibhausgas-Ausstoß verändern wird. Dieses Uhrwerk liegt jetzt offen vor uns. Wir bringen natürlich auch unsere direkten Eindrücke aus der Arktis mit, das, was wir gesehen und persönlich erfahren haben, und Messungen, die man nicht erst kompliziert auswerten muss, wie die Temperatur oder die Eisdicke.

    Und wie sieht es in der Hinsicht aus?

    Rex: Im Winter war die Temperatur fast durchgehend um zehn Grad wärmer als die, die der berühmte Arktisforscher Fridtjof Nansen auf seiner Expedition vor knapp 130 Jahren gemessen hat. Und das Eis ist nur noch etwa halb so dick wie vor 40 Jahren. Das zeigt schon, wie dramatisch der Wandel in der Arktis ist. Und im Sommer haben wir gesehen, wie das Eis verschwindet. Wenn diese Entwicklung sich fortsetzt, werden die Arktis und der Nordpol selbst in wenigen Jahrzehnten im Sommer eisfrei sein. Es wäre eine andere Welt. Dann haben wir oben auf unserem Planeten keine weiße Eiskappe mehr, sondern einen dunklen Ozean. Und das hätte gewaltige Auswirkungen auf Wetter und Klima in unseren Breiten.

    Welche Folgen hätte eine weitere Erwärmung für die Welt?

    Rex: Die Arktis ist die Wetterküche für Europa. Der Temperaturkontrast zwischen der kalten Arktis und den wärmeren mittleren Breiten ist der Antrieb für das Hauptwindsystem der Nordhemisphäre, das Westwindband. Der Wind weht bei uns meist aus Westen, und in größerer Höhe liegt der Westwindjet, den man in vielen Wettersendungen sehen kann. Wenn sich nun die Arktis schneller erwärmt als der Rest der Welt, wird der Temperaturkontrast geringer und der Motor für die Westwinde fängt an zu stottern.

    Und was passiert, wenn der Westwind-Motor stottert?

    Rex: Dadurch werden Extremwetterlagen befördert. Der Westwindjet schließt die arktischen Luftmassen ein und separiert sie von unserer wärmeren Luft. Wird er weniger stabil, kann es im Winter vermehrt zu Kaltluftausbrüchen aus der Arktis kommen, was intensivere Kaltphasen in unseren Wintern zur Folge hat, mit Blizzards und Schneestürmen. Im Sommer aber kommt es mit dem Vorstoß subtropischer Luft nach Norden zu lang anhaltenden trockenen und heißen Phasen.

    Wie kalt war es zuletzt in der Arktis?

    Rex: Im Winter haben wir Temperaturen von unter minus 40 Grad erlebt, in Schneestürmen fühlt sich das dann an wie minus 60 Grad. Im Sommer schwankt die Temperatur in der Arktis um die null Grad.

    Wie gefährlich ist so eine Reise? Sind Sie auch Eisbären begegnet?

    Rex: Ja, wir haben über 60 Besuche von Eisbären in unserem Forschungscamp gehabt. Das sind majestätische Tiere, die sich wunderbar in diesem Lebensraum bewegen. Man sieht ihnen förmlich an, dass sie die Herren der Arktis sind und nicht der Mensch, der etwas unbeholfen in seinen Polaranzügen über das Eis stolpert. Vor allem hungrige Eisbären sind aber auch gefährlich. Deswegen haben wir ein ausgefeiltes Eisbär-Sicherheitskonzept aufgestellt. Das hat sich bewährt. Es sind weder Eisbären noch Menschen zu Schaden gekommen. Alle Expeditionsteilnehmer sind gesund aus der Arktis zurückgekehrt.

    Lässt sich ein radikaler Klimawandel überhaupt noch aufhalten?

    Rex: Ob es noch möglich ist, das sommerliche arktische Meereis zu retten, wissen wir nicht ganz genau. Ich glaube aber, dass wir noch ein kurzes Zeitfenster von etwa einem Jahrzehnt haben, um das Steuer herumzureißen. Stoppen können wir den Klimawandel von heute auf morgen natürlich nicht. Aber wir können und müssen ihn dringend abmildern. Jedes Zehntelgrad globale Erwärmung über 1,5 Grad heraus bringt uns in ein Minenfeld von irreversiblen Prozessen im Klimasystem.

    Wie Wasserstoff dem Klima hilft

    Wasserstoff ist ein effizienter Energiespeicher: Überschüssig produzierter Strom aus regenerativer Energie kann in großen Mengen über viele Monate gespeichert werden.

    Der Austausch von nur einem Dieselbus gegen einen Brennstoffzellenbus würde jährlich 50 Tonnen CO₂ sparen. Das entspricht einem Jahresausstoß von circa 29 PKW.

    3 Minuten dauert das Tanken von Wasserstoff und ist somit genauso schnell und bequem wie bei konventionellen Fahrzeugen.

    Was sind das für Prozesse?

    Rex: Zum Beispiel das Verschwinden des sommerlichen arktischen Meereises, der Zusammenbruch des grönländischen oder westantarktischen Eisschildes, das Verschwinden des Regenwaldes im Amazonasgebiet, das Verschwinden der Korallenriffs und das Auftauen von Permafrostböden – das alles sind sogenannte Kipppunkte im Klimasystem. Wenn diese überschritten werden, wird das Klima auch nicht mehr in den ursprünglichen Zustand zurückkehren, wenn wir die Emission von Treibhausgasen einstellen.

    Was droht uns noch, wenn wir auf der Erde so intensiv weiterwirtschaften wie bisher?

    Rex: Wenn allein das grönländische Eisschild zusammenbräche, würde das weltweit zu fünf bis sieben Meter Anstieg des Meeresspiegels führen. Dies sind Prozesse, die nicht in wenigen Jahren stattfinden. Aber sie bedrohen alle Küstenlinien der Erde. Außerdem würden sich Klimazonen so verschieben, dass in Bereichen, wo heute Landwirtschaft betrieben wird, kein Anbau mehr möglich sein wird. Dies führt zu Wanderungsbewegungen und dem weltweiten Explodieren von Konflikten, die wir noch gar nicht absehen können. Unsere globalen Konfliktlösungsstrategien wären damit überfordert.

    Welche Lösungsansätze gibt es?

    Rex: Das Einzige, was gegen den Klimawandel hilft, ist weniger Treibhausgase zu produzieren. Das wird kein Sprint, das ist ein Marathon. Wir brauchen langfristige, generationsübergreifende Konzepte, wie uns das gelingen kann. Das geht nur mit fairen und ausgewogenen Lösungsansätzen, die von der Mehrheit der Bevölkerung getragen sind.

    Was würden Sie eigentlich Donald Trump sagen, wenn Sie mit ihm über Klimawandel sprechen könnten?

    Rex: Ich glaube, ich würde bevorzugen, meine Zeit mit produktiveren Dingen zu verbringen, als mit Donald Trump über Klimawandel zu sprechen.

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