Bundesweit haben Kindertagesstätten das gleiche große Problem: Es fehlt Personal. "Die Lage ist dramatisch schlecht", sagt Hauptvorstandsmitglied Björn Köhler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Eigentlich bräuchten wir 100.000 Leute sofort, um vernünftig zu arbeiten."
Das Bundesfamilienministerium hat die Not erkannt und ein Förderprogramm angekündigt: Ministerin Franziska Giffey (SPD) will die Länder von Sommer 2019 an bis 2022 mit rund 300 Millionen Euro unterstützen, um mehr Kita-Fachkräfte zu gewinnen. "Vor allem in städtischen Ballungsräumen sind teilweise gravierende Engpässe zu verzeichnen", sagt eine Ministeriumssprecherin.
Nachfrage deutlich größer als das Angebot
Eltern bekommen den Mangel an Erzieherinnen und Erziehern deutlich zu spüren. Bundesweit fehlen Kita-Plätze, die Nachfrage nach einem Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren ist deutlich größer als das Angebot. Besonders krass: Nach GEW-Angaben können mancherorts Einrichtungen nicht loslegen, weil Personal fehlt.
Aber auch Eltern, die einen Betreuungsplatz für ihr Kind bekommen haben, spüren die Personalnot: Bundesweit kommt es vor, dass Kitas vorübergehend schließen müssen, weil es bei Krankheitsfällen nicht genug Kräfte gibt, die einspringen können.
Schließungstage und verkürzte Öffnungen
In der niedersächsischen Kleinstadt Achim nahe Bremen zum Beispiel hatte eine städtische Einrichtung 2018 solche Personalnot, dass eine Kita-Gruppe für mehrere Monate nur bis 14 Uhr anstatt wie geplant bis 16 Uhr geöffnet war. "Zusätzlich gab es einzelne Schließungstage - immer dann, wenn ich den Betrieb nicht gewährleisten konnte, weil Kolleginnen krank waren", erzählt Kita-Leiterin Hannelore Lankenau.
Mehrfach habe es nur einen Notdienst gegeben. Grund für die Situation war, dass eine Erzieherin gekündigt hatte und die andere nach der Probezeit nicht übernommen wurde. Die Suche nach einer neuen Fachkraft blieb monatelang erfolglos. "Wir haben niemanden gefunden", sagt Lankenau.
Ein Schock für Eltern
Für die Eltern waren die plötzliche Kürzung der Betreuungszeit und die Schließungstage ein Schock, wie der damalige Vorsitzende des Elternbeirates, Oliver Matthes, erzählt. "Das war katastrophal. Es war ein Gefühl der Ohnmacht und Wut. Viele Eltern fühlten sich von der Stadt alleingelassen." Als Notlösung übernahmen zunächst Eltern am Nachmittag die Betreuung für die Kinder in der Einrichtung. Später sprachen Mütter und Väter sich im Freundeskreis ab oder organisierten eine Betreuung durch Verwandte, die teils von weiter weg anreisten. Für Alleinerziehende oder sozial Schwächere sei die Situation besonders hart gewesen, sagt Matthes.
Die Brisanz der Lage zeigen exemplarisch die Zahlen der Stadt Achim zum Kita-Jahr 2017/2018: An 78 Tagen musste diese Kita mit mehreren Gruppen das Betreuungsangebot reduzieren oder schließen. "Wir wissen, wie schwer das für Eltern ist", sagt Wiltrud Ysker, die in Achim für den Fachbereich Bildung zuständig ist.
Fachkräftemangel im Erzieher-Bereich
Erzieherinnen und Erzieher zu finden ist bundesweit schwierig, denn es gibt zu wenig Fachkräfte. Die Kommunen und Städte werben um das Personal und stehen dabei oft in Konkurrenz zueinander. "Wir fischen alle im selben Teich", sagt Achims Bürgermeister Rainer Ditzfeld (parteilos) mit Blick auf umliegende Städte wie Bremen.
Einen Grund für den drastischen Fachkräftemangel sieht die Gewerkschaft GEW in der bisherigen Ausbildungssituation. "Ein großes Problem ist nach wie vor die Bezahlung", sagt Köhler. Eine Erzieherin durchlaufe in der Regel eine vier- bis fünfjährige unbezahlte Ausbildung. In der Vergangenheit mussten viele Auszubildende sogar Schulgeld bezahlen. "Das drückt aus, wie unsere Gesellschaft mit diesen Berufen lange Jahre umgegangen ist. Während andere, männlich geprägte Berufe Wertschätzung, also Ausbildungsentgeld, bekommen haben, musste man bei der Erzieherinnenausbildung lange Jahre noch Geld mitbringen." Nun gebe es endlich ein Umdenken. "Wir müssen deutlich machen, welchen Wert der Beruf für unsere Gesellschaft hat."
Förderprogramm vom Staat
Das Bundesfamilienministerium setzt auf das Förderprogramm, das Mitte 2019 starten soll. "Es muss attraktiver werden, eine Ausbildung anzufangen, sie abzuschließen und danach im Beruf zu bleiben", sagte Ministerin Giffey jüngst. Mit finanzieller Hilfe des Bundes sollen die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dazu gehört, dass mehr Auszubildende eine Vergütung erhalten.
Aus Sicht der GEW drängt die Zeit: Die Gewerkschaft geht davon aus, dass Deutschland bis zum Jahr 2025 mindestens 300.000 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher braucht, um den jetzigen Standard zu halten. Wenn Deutschland die Qualität verbessern wolle, seien wahrscheinlich rund 500.000 zusätzliche Fachkräfte nötig, sagt Köhler, der darauf verweist, dass ein großer Teil der Frauen in den Kitas älter als 50 Jahre ist. Eine Studie für das Familienministerium geht davon aus, dass bis 2030 fast 200.000 Fachkräfte in Kindergärten und Grundschulen fehlen. Auch wenn die Zahlen von Gewerkschaft und Ministerium weit auseinander liegen: Der Ernst der Lage ist klar.
Was können Eltern tun, wenn die Kita zeitweise schließt?
Wenn die Kita früher schließt oder gar nicht erst aufmacht, dürfen arbeitende Eltern zu Hause bleiben und sich um den Nachwuchs kümmern, erklärt Jürgen Markowski, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Nürnberg und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein.
"Für Arbeitnehmer bedeuten solche kurzfristen Ausfälle natürlich immer enormen Druck", sagt Markowski. Im Notfall können sie sich daher auf den Paragraf 616 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) berufen, sofern dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist: Wer ohne eigenes Verschulden und aus einem persönlichen Grund verhindert ist und nicht zur Arbeit kommen kann, bekommt nach dieser gesetzlichen Regelung trotzdem weiter sein Gehalt. Voraussetzung ist aber, dass Eltern keine andere Betreuungsmöglichkeit gefunden haben und dass sie den Arbeitgeber umgehend informieren.
In manchen Fällen findet sich aber womöglich eine andere Lösung - spezielle tarifliche oder betriebliche Regelungen etwa, Arbeit im Homeoffice oder ein Bürotag in Begleitung. "Es gibt Unternehmen, die Arbeitnehmer in solchen Fällen bitten, die Kinder mit zur Arbeit zu bringen", erzählt Markowski. Er rät deshalb auf jeden Fall, schnell Kontakt mit dem Arbeitgeber aufzunehmen. Vieles lasse sich dann unbürokratisch regeln.
Eltern sollten sich nicht selbst krankmelden
Sich dagegen einfach krankzumelden, um das Kind zu betreuen, ist keine gute Idee: "Das ist ein schwerwiegender Bruch des Arbeitsvertrags", warnt Markowski. "Sie täuschen damit ja eine nicht bestehende Arbeitsunfähigkeit vor." Fliegt die falsche Krankmeldung auf, kann das Abmahnungen bis hin zur fristlosen Kündigung zur Folge haben.
Die Regelung für Notfälle greift nach Einschätzung des Experten außerdem nur, wenn die Kita tatsächlich sehr kurzfristig schließt. Bei angekündigten Warnstreiks oder Schließzeiten in den Ferien müssen Eltern daher andere Lösungen finden - Urlaub nehmen oder Überstunden abbauen zum Beispiel. (dpa)