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Weißenhorn: Diese Pläne hat Julia Probst als erste gehörlose Stadträtin in Bayern

Weißenhorn

Diese Pläne hat Julia Probst als erste gehörlose Stadträtin in Bayern

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    Julia Probst (Die Grünen) freut sich auf ihre neue Aufgabe in der Weißenhorner Kommunalpolitik.
    Julia Probst (Die Grünen) freut sich auf ihre neue Aufgabe in der Weißenhorner Kommunalpolitik. Foto: Jens Noll

    Etwa 80.000 gehörlose Menschen leben in Deutschland, nur ganz wenige sind politisch aktiv. Eine davon ist Julia Probst. Die 40-Jährige aus Weißenhorn (Landkreis Neu-Ulm) ist am Montagabend als Stadträtin der Grünen vereidigt worden. Damit ist sie die erste gehörlose Stadträtin in Bayern. Sie will in dieser Funktion beweisen, dass sich auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen in der Kommunalpolitik engagieren können.

    Bei den Kommunalwahlen 2020 bekam Probst die drittmeisten Stimmen bei den Grünen in Weißenhorn, die Partei erhielt allerdings nur zwei Sitze im Stadtrat. Da eine Parteikollegin wegen eines Umzugs nun die Stadt verlässt und deshalb aus dem Gremium ausschied, ist die Mutter eines hörenden Kindes nachgerückt. Probst freut sich über diese Chance und dass sie nun eines zeigen kann: "Es ist selbstverständlich, dass Menschen mit Behinderung in der Politik mitwirken können. Dass wir nicht nur als "Belastung" gesehen werden." Damit möchte sie auch andere ermutigen. Ferner berichtet sie im Gespräch mit unserer Redaktion, bei dem eine Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt hat, dass an sie bereits der Wunsch herangetragen worden sei, inklusive Spielplätze in der Stadt einzurichten, also Orte, wo behinderte und nicht behinderte Kinder zusammen spielen können.

    Julia Probst hatte schon befürchtet, dass sie die Dolmetscher selbst organisieren muss

    Probst hat sich als Bloggerin einen Namen gemacht, sie setzt sich als Aktivistin für Inklusion und Gebärdensprache ein. Überregional bekannt wurde sie während der Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Unter dem Hashtag #Ableseservice las sie Spielern und Trainern von den Lippen und schrieb darüber auf Twitter. Mit Gewissheit kann sie sagen, dass sie mit ihrer neuen Aufgabe eine Pionierin in der bayerischen Kommunalpolitik ist. Die Gehörlosenwelt sei klein. Wenn es eine oder einer von ihnen bereits in ein kommunales Gremium geschafft hätte, "dann wüssten wir das", sagt Probst, die auch Beisitzerin im Neu-Ulmer Kreisvorstand der Grünen ist.

    Da entsprechende Erfahrungen im Freistaat fehlen, hat sich die Weißenhorner Stadtverwaltung umgehört und Kontakt mit verschiedenen Stellen aufgenommen, unter anderem mit dem bayerischen Landesverband der Gehörlosen und einer Kommune in Hessen, in der ein gehörloser Mann einem kommunalen Gremium angehört. Mit ihm hat sich auch Probst per Videochat ausgetauscht. Damit die neue Stadträtin wie alle anderen Beteiligten auch die Sitzungsinhalte verfolgen und mitdiskutieren kann, engagiert die Stadtverwaltung Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die alles in Gebärdensprache und gesprochene Sprache übersetzen. Die Kommune bezahlt diese Personen auch, worüber sich Probst sehr freut. Sie hatte schon befürchtet, sie müsste alles selbst organisieren.

    Julia Probst: "90 Prozent der Gehörlosen werden in eine hörende Familie geboren"

    Tatsächlich sei die Kommunikationsbarriere die größte Hürde für gehörlose Menschen, sagt die 40-Jährige. Denn es gebe nach wie vor zu wenige Gebärdensprachdolmetscher und es stelle sich immer die Frage, wer diese bezahle. Sie ist überzeugt: Wenn es eine entsprechende Förderung gäbe und die Kommunikation gesichert wäre, dann würden auch mehr gehörlose Menschen politisch aktiv sein. Sie würde es auch sehr begrüßen, wenn Gebärdensprache als Schulfach unterrichtet würde.

    Sie selbst hat die Sprache erst mit 17 gelernt. Wie in ihrem Fall sei es zumeist so, dass Eltern von gehörlosen Kindern selbst keine Einschränkungen haben. "90 Prozent der Gehörlosen werden in eine hörende Familie geboren", sagt sie. "Aber 95 Prozent der hörenden Eltern lernen die Gebärdensprache nicht." Eltern, die ein gehörloses Kind bekommen, sollten ihrer Meinung nach sofort einen Kurs angeboten und bezahlt bekommen, damit sich beide besser verständigen können.

    Welch untergeordnete Rolle die Gebärdensprache in Deutschland spielt, zeigt sich Probst zufolge auch daran, dass im Fernsehen - im Gegensatz zu anderen Ländern - die Dolmetschenden nur sehr selten zu sehen sind. Man könne das zwar im Internet abrufen, aber das sei umständlich, kritisiert sie: "Stellen Sie sich vor, dass Sie ein Bild sehen, aber den Ton im Internet abrufen müssen."

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