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Abschied aus eigener Änderungsschneiderei: Mit Nadel und Faden in der neuen Heimat
![Die Nähmaschine ist der Arbeitsplatz von Deniz Tangüner. Nach 33 Jahren zieht sie sich aus der Änderungsschneiderei in Vöhringen zurück, wenn auch der Abschied schwerfällt. Die Nähmaschine ist der Arbeitsplatz von Deniz Tangüner. Nach 33 Jahren zieht sie sich aus der Änderungsschneiderei in Vöhringen zurück, wenn auch der Abschied schwerfällt.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715673836705-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Nach 33 Jahren zieht sich Deniz Tangüner aus ihrer Änderungsschneiderei im Stadtcenter in Vöhringen zurück. Für sie beginnt das Rentenalter. Wie alles seinen Anfang nahm.
Die silberfarbene Nähmaschine im sonst leeren Schaufenster glänzt im Sonnenlicht. 70 Mark hat sie vor Jahren gekostet, gebraucht gekauft. Für Deniz Tangüner ist die alte Maschine aber mehr als nur ein Gegenstand, mit dem man nähen kann. Sie ist ein Erinnerungsstück an die Zeit, als sie vor 33 Jahren ihre Änderungsschneiderei im Stadtcenter in Vöhringen eröffnete.
Deniz, wie man sie nennen darf, kam 1977 nach Deutschland, sie war 18 Jahre alt. Sie stammt aus Diyarbakir, einer Stadt in Ostanatolien, in der etwa 1,8 Millionen Menschen leben. Sie lernte ihren Mann Sherif Tangüner in der Türkei kennen, der bereits in Deutschland Arbeit gefunden hatte. Nach der Hochzeit ging das junge Paar zusammen in die neue Heimat. Der Anfang war schwer für Deniz: Ein fremdes Land, so gut wie keine Sprachkenntnisse und noch keine Freunde, da war das Heimweh recht groß. Aber das sollte sich schnell ändern.
Deniz Tangüner brachte sich das Nähen selbst bei
Das Ehepaar gründete eine Familie, drei Buben waren der Stolz der jungen Eltern. Und was macht eine Hausfrau, die sparsam wirtschaftet? Sie fing an, "die Klamotten für die Kinder selbst zu nähen", sagt's und lacht, als sie das Wort "Klamotten" ausspricht. Und sie entdeckte an sich ein neues Talent. Nähen wurde für sie zum Hobby. "Hier in Vöhringen kaufte ich Stoff bei Textil Mayer, ein Geschäft, das es heute nicht mehr gibt, aber vielen Vöhringern noch bekannt sein dürfte." So begann sie für sich selbst Kleider zu entwerfen und auch zu nähen, sie hatte ein gutes Gefühl für Farben und war sozusagen ihre eigene Designerin. Heute spricht man gerne von "learning by doing".
Als die Kinder in die Schule gingen, wollte sie arbeiten: "Ich fragte bei einer Vöhringer Schneiderei an." Sie verstehe sich gut auf das Nähen, versicherte sie. Man glaubte ihr zwar, aber es gab einen anderen Grund, dass man sie ablehnte. "Man sagte mir, sie stellen niemanden ein, der Kopftuch trägt." Es tat ihr zwar weh, aber es entmutigte sie nicht.
In ihr reifte ein anderer Gedanke: "Ich wollte schon immer selbstständig sein. Bei einem Spaziergang durch das Stadtcenter entdeckte ich ein leeres Ladengeschäft. An der Tür fand ich eine Telefonnummer." Es waren nur wenige Schritte, die zu gehen waren, und sie konnte ein Geschäft aufmachen - eine Änderungsschneiderei. "Vielleicht", so sinniert sie heute, "ging es damals so einfach, weil ich und meine Familie einen deutschen Pass hatten." Dass sie in Deutschland das Wahlrecht hat, macht sie sogar ein bisschen stolz und sie macht Gebrauch davon. "Das ist mir wichtig."
Deniz Tangüner machte sich in Vöhringen mit einer Änderungsschneiderei selbstständig
Dass sie mit ihrem Vorhaben, selbstständig zu sein, richtig lag, merkte sie gleich nach den ersten Tagen. Erst kam wenig Kundschaft, aber schon bald nach der Eröffnung ihrer Änderungsschneiderei war der Auftragskorb randvoll. Und so ist es bis heute. Es sprach sich schnell herum, dass Deniz Tangüner akkurat arbeitet. Für ihre Kunden hatte sie immer ein freundliches Lächeln. In Zeiten, in denen sie kaum über den Berg von Änderungsarbeit hinausblicken konnte, half Sohn Mustafa aus. "Er war sehr geschickt", lobt die Mama.
Dass sie heute fließend Deutsch spricht, verdanke sie auch ihren Kunden, dafür sei sie dankbar. Mit den Änderungswünschen eignete sie sich neue Techniken an. Sie kürzt nicht nur Hosen, Kleider, Brautroben, sie schaffte es auch, aus einem Blazer, der durch zunehmende Pfunde zu eng geworden war, wieder ein für die Trägerin passendes Kleidungsstück zu machen. Deniz hat einen kritischen Blick für Dinge, die machbar sind, und kann das ihren Kunden vermitteln.
Das Heimweh ließ schnell nach, sie hatte mit Familie und Geschäft ausreichend zu tun. "Ich bin gerne in Vöhringen, fühle mich auch als Vöhringerin und mag die Menschen hier." Und wie echte Schwaben schaffte die Familie es, ein eigenes Haus zu bauen. "Ich bin hier daheim." Jetzt freut sie sich auf ihre schöne Wohnung, vor allem aber auf ihren Garten, denn Arbeit im Grünen mag sie besonders gern.
Im Geschäft geht es weiter. Neue Besitzerin ist vom 1. Juli an Zeynep Arslan.
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