Im Auftrag des bayerischen Königs Maximilian II. waren um das Jahr 1860 Amtsärzte der Landgerichte im schwäbischen Raum unterwegs. Um eine notdürftige medizinische Versorgung aufzubauen, mussten sie auch bei der Einwohnerschaft von Oberroth Auskünfte über Wohnungssituation, Ernährung sowie die hygienischen Zustände einholen. Der von Chronist Ludwig Rendle präsentierte Physikatsbericht aus damaliger Zeit ist aufschlussreich, aber auch höchst amüsant. Die aufmerksamen Zuhörerinnen und Zuhörer konnten bei einer Veranstaltung im Vereinsheim ein gelegentliches Schmunzeln nicht unterdrücken. Rendle gab erneut Einblicke in seine während monatelanger Arbeit erstellte Ortschronik.
Die Kinder wurden schlecht ernährt
Zu früheren Zeiten hatten nur die neueren Häuser massive Wände, die älteren mit Lehm verputzte Riegelwände, ist dort zu lesen. Zur Beheizung der Räume wurde vor allem Torf verwendet, der im Rothtal in unerschöpflichen Mengen vorhanden war. Die damalige Nahrung der Menschen bestand vorwiegend aus Mehlspeisen. Fleisch kam nur an Festtagen auf den Teller. Da die Ernährungsweise der Kinder bis zum ersten Lebensjahr sehr zu wünschen übrig ließ, war die Sterblichkeitsrate unter den Kleinsten hoch. Schon in jungen Jahren wurden die Mädchen und Buben zur Mitarbeit in der Landwirtschaft angehalten, hält der Physikatsbericht fest: „In den Wohnungen ist eine große Reinlichkeit festzustellen, von der Kleidung kann man das weniger sagen. Aber man trifft selbst unter den gewöhnlichen Leuten welche, die einmal pro Woche die Leibwäsche wechseln.“ Vor allem die weibliche Bevölkerung habe sich zu damaliger Zeit durch „Putz- und Modesucht“ ausgezeichnet. Obwohl die Wahl der Ehepartner meistens durch die Mitgift bestimmt war, habe man selten von unglücklichen Ehen gehört, verraten die Aufzeichnungen von 1860.
Der Bader war für das Schröpfen zuständig
Ausführlich erläuterte Chronist Ludwig Rendle auch den Tätigkeitsbereich des früher sehr angesehenen Berufs der Bader. Diese „Alleskönner“ waren nicht nur für die Körperreinigung sowie als Haar- und Bartscherer, sondern auch für die ärztliche und zahnärztliche Versorgung zuständig. Laut Regelung musste jeder Bewohner von Oberroth einmal monatlich zur Badstube kommen. Diese wurde über eine hölzerne Rohrleitung mit Wasser aus der Roth versorgt. Das Holz für die Beheizung wurde von der Gemeinde kostenlos geliefert. Als wichtige Aufgabe der damals während einer vierjährigen Ausbildung geschulten Bader beschrieb der Chronist die damalige Anwendung von Aderlass und Schröpfen.
Bei gesundheitlichen Problemen wandten sich zum Ende des 19. Jahrhunderts auch viele Oberrother an Jule Bernauer. Als Zeitzeugin berichtete die 89-jährige Gertrud Drexler aus Bellenberg, wie die örtliche Heilerin ihre Mutter mithilfe einer aus Weinessig und Kräutern gemischten Tinktur von Haarausfall befreit habe. „Meine an Mumps erkrankte Schwester wurde von Jule ebenfalls geheilt“, erinnerte sie sich. „Auch bei Gürtelrose oder Mundfäule fand man bei ihr Hilfe“, berichtete die 88-jährige Magdalena Springer. Durch Abbeten habe die Heilerin sämtliche Oberrother Kinder von der sogenannten „englischen Krankheit“ (Rachitis) befreit. Im Physikatsbericht von 1860 heißt es wörtlich: „Der Aberglaube hingegen ist noch in allen Schüchten der Bevölkerung ziemlich stark, u. täglich hat der Arzt damit zu kämpfen.“
Eine wahre Kriminalgeschichte aus Oberroth
Gemeinsam mit Klassenkameraden hatte der 92-jährige Erwin Springer am 24. April 1945 den Absturz einer Militärmaschine bei Oberroth beobachtet. „Es war eine Me 262, die in den Messerschmidt-Werken in Augsburg gebaut wurde“, berichtete er. Der 94-jährigen Viktoria Thoma aus Illertissen ist das damalige Kriegsgeschehen, bei dem sich ein Soldat mit Hilfe seines Fallschirms retten konnte, noch in guter Erinnerung. Schließlich ist ihre spätere Schwägerin durch dieses Ereignis zu einem ganz besonderen Brautkleid aus Fallschirmseide gekommen.
Zum Abschluss des sehr gut besuchten, informativen Blicks in die Geschichte von Oberroth brachte der örtliche Theaterverein eine sich um die Chronik rankende wahre Kriminalgeschichte auf die Bühne. Im Stück „Wie aus einer Betrügerin eine Wohltäterin“ führten die Akteure spannend und amüsant vor Augen, welchen Umständen die Oberrother ihr im Jahr 1796 errichtetes Benefiziatenhaus zu verdanken hatten.
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