Ein hagerer dunkelhaariger Mann mit Brille, eine kleine blonde Frau und ein Softwareentwickler in hellblauem Hemd: So lassen sich die drei Angeklagten beschreiben, die am Dienstagnachmittag in den Saal 132 am Landgericht Memmingen geführt werden. Um sich vor den zahlreichen Fotoapparaten und Videokameras abzuschirmen, verstecken sie ihre Gesichter hinter aufgeklappten Aktenordnern und -mappen. Die beiden Hauptangeklagten tragen zusätzlich OP-Masken, der Mann außerdem eine grüne Jacke mit Kapuze, seine Ehefrau eine Mütze. Patrick und Julia O. sollen in der Nacht auf den 22. April 2023 ein grausames Verbrechen im Altenstadter Ortsteil Untereichen verübt haben. Der Mitangeklagte Joffrey S. soll ihnen dabei geholfen haben, indem er ihnen sein Auto lieh und auf das zweijährige Kind des Ehepaars aufpasste.
Heimtückischen Mord aus Habgier wirft die Staatsanwaltschaft dem 38-Jährigen und seiner 33 Jahre alten Frau vor. Beide wurden in Illertissen geboren, haben die deutsche Staatsbürgerschaft und wohnten bis zu ihrer vorläufigen Festnahme in direkter Nachbarschaft zu dem Wohnhaus, in dem sie Karl O., den Vater von Patrick O., und dessen Ehefrau Monika getötet haben sollen. Joffrey S., ein Freund von Patrick und Julia O., ist wegen Beihilfe zu der Tat angeklagt.
Nicht alle Interessierten passen in den Gerichtssaal in Memmingen
Sehr groß ist am Dienstag das Interesse am Prozessauftakt vor der 1. Strafkammer als Schwurgericht. Menschen stehen Schlange vor dem Sitzungssaal, drinnen drängen sich Fotografen und Kameraleute. Die Sitzplätze sind begrenzt, einige Leute müssen von den Bediensteten des Gerichts abgewiesen werden. Dabei passiert im Grunde nicht viel am ersten Verhandlungstag. Die Medienschaffenden machen Fotos und Videos, der Vorsitzende Richter Bernhard Lang vereidigt eine Schöffin und einen Schöffen, dann stellt er die Personalien der drei Angeklagten fest. Anschließend verliest der Staatsanwalt die Anklage.
Demnach drangen Patrick und Julia O. in der Nacht auf den 22. April 2023 in das Wohnhaus des Ehepaars Karl und Monika O. in Untereichen ein. Der 70 Jahre alte Rentner und seine 55-jährige Lebensgefährtin rechneten nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht mit einem Angriff und waren wehrlos. Julia und Patrick O. sollen gemeinsam die im Bett liegende Monika O. mit 44 Messerstichen und Karl O. durch Ersticken getötet haben. Laut Anklage haben sie anschließend versucht, das Verbrechen als erweiterten Suizid von Karl O. darzustellen. Es sollte also so aussehen, als hätte Karl O. seine Frau und sich selbst umgebracht. Ziel der Tat soll es gewesen sein, zu verhindern, dass die Schenkung eines Hauses in Altenstadt von Karl O. an seinen Sohn rückgängig gemacht wird. Nach Ansicht der Staatsanwalt beabsichtigten die beiden Angeklagten auch, die Verstorbenen zu beerben.
Joffrey S., 32 und ebenfalls deutscher Staatsbürger, soll mit der Tat gerechnet und sie billigend in Kauf genommen haben. Laut Anklage sollte der Mann aus Albstadt im Zollernalbkreis dem Ehepaar ein Alibi geben. In der Tatnacht hat er Patrick und Julia O. demnach sein Auto für die Fahrt von seinem Wohnort auf der Schwäbischen Alb zum Tatort geliehen und das Kleinkind beaufsichtigt. Zudem soll der Softwareentwickler eine Wildkamera, die die Fahrt des Ehepaars zum Tatort hätte aufzeichnen können, deaktiviert haben.
Alle drei Angeklagten sitzen in Untersuchungshaft
Nach intensiven Ermittlungen wurden das Ehepaar – er ist gelernter Werkzeugmacher, sie Bürokauffrau – und der befreundete Softwareentwickler am 16. Mai 2023 vorläufig festgenommen. Sie sitzen in unterschiedlichen Justizvollzugsanstalten in Untersuchungshaft. Angaben zur Sache macht am ersten Prozesstag keiner von ihnen. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters kündigen die Anwälte von Patrick und Julia O. an, dass ihre Mandanten vorerst schweigen werden. Der Mitangeklagte Joffrey S. hingegen will nach den Worten seiner Verteidiger an einem der nächsten Verhandlungstage eine Aussage machen. Das wird wohl schon am Mittwoch, 31. Januar, dem nächsten Verhandlungstag, der Fall sein. Er hatte sich bereits im Rahmen der Ermittlungen geäußert. Auch ein psychologischer Sachverständiger ist zu diesem und weiteren Terminen geladen. Am 1. Februar soll zudem eine Faserngutachterin des Landeskriminalamts zu Wort kommen.
Insgesamt sind zu dem umfangreichen Prozess 50 Zeuginnen und Zeugen sowie ein Dutzend Sachverständige geladen, noch 28 weitere Verhandlungstage hat das Gericht bis 2. Mai angesetzt. Dann soll das Urteil fallen. Weil bei der Tat selbst – nach der Kenntnis der ermittelnden Stellen – keine weitere Person dabei war, nimmt die Kammer das Umfeld der Getöteten und der Angeklagten in den Blick. Die Beweisaufnahme ist dadurch aufwendig. Der Sohn und die Tochter der getöteten Monika O. treten als Nebenkläger auf. Sie sind auch mit ihren beiden Anwälten zum Prozessauftakt gekommen.
Für Mord sieht das Gesetz zwingend eine lebenslange Freiheitsstrafe vor. Dem mutmaßlichen Gehilfen droht eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren.