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Kellmünz: "Ein Anblick des Grauens": Vor 50 Jahren verunglückte ein Zug bei Kellmünz

Kellmünz

"Ein Anblick des Grauens": Vor 50 Jahren verunglückte ein Zug bei Kellmünz

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    Vor 50 Jahren, am 17. Mai 1971, entgleisten bei Kellmünz mehrere Waggons eines Schnellzugs. Fünf Menschen starben, 27 wurden schwer verletzt. Unser Bild zeigt die Unglücksstelle heute, 150 Meter nördlich Bahnübergang Steinweg.
    Vor 50 Jahren, am 17. Mai 1971, entgleisten bei Kellmünz mehrere Waggons eines Schnellzugs. Fünf Menschen starben, 27 wurden schwer verletzt. Unser Bild zeigt die Unglücksstelle heute, 150 Meter nördlich Bahnübergang Steinweg. Foto: Wilhelm Schmid

    Es war das schlimmste Zugunglück, das die Region je erlebt hat. Vor 50 Jahren, am 18. Mai 1971, sprangen mehrere Waggons eines Schnellzugs bei Kellmünz aus den Schienen. Fünf Menschen kamen ums Leben, 27 weitere wurden schwer verletzt. Der Bericht des damaligen

    Im Zuge des Autobahnbaus hatte der Bahndamm bei Kellmünz um einige Meter erhöht werden müssen, damit die Züge bis zur Brücke über die A7 bei Filzingen auf das passende Niveau kamen und die Autobahn in sicherer Höhe überqueren konnten.

    Kellmünzer Feuerwehrkommandant hielt das Zugunglück in der Chronik fest

    Die neue Strecke war bereits in Betrieb, als sich die Katastrophe ereignete. Feuerwehrkommandant Benedikt Kramer verfasste für die Chronik seiner Wehr die folgenden Aufzeichnungen (hier in Originalschreibweise wiedergegeben):

    Erste Seite des Berichts von Kommandant Benedikt Kramer sen.  aus der Chronik der Feuerwehr Kellmünz.
    Erste Seite des Berichts von Kommandant Benedikt Kramer sen. aus der Chronik der Feuerwehr Kellmünz. Foto: Wilhelm Schmid

    Bericht

    Über den am 18.5.1971 stattgefundenen Katastropheneinsatz bei der deutschen Bundesbahn (Zugunglück).

    Alarmierung: 13 Uhr. Fernsprecher, Bahnhof

    Kellmünz, Gemeinde Kellmünz, Sirenenalarm

    Der fahrplanmäßige D-Zug Oberstdorf – Ulm durchfuhr um 12.56 h ohne Halt den Bahnhof Kellmünz. Vermutlich infolge Schaden am Geleiße durch die an diesem Tage herrschende Hitze oder Schaden an der letzten Weiche bedingt durch die Verlegung des Schienenstranges im Zuge des Autobahnbaus bei Filzingen sprangen die letzten 2 D-Zugwaggon aus den Schienen, und wurden auf ca. 700 m mit geschleift, bis die Kupplung des vorletzten zum drittletzten Waggon riß und diese über den Gleiskörper stürzten. Durch das Zugunglück am 14.3.70 hat die deutsche Bundesbahn die Alarmpläne neu aufgestellt, somit war in kürzester Zeit Rotes Kreuz, Feuerwehr, Polizei schnell am Einsatzort. Unsere Wehr rückte mit dem TSF (Tragkraftspritzenfahrzeug, Anm. d. Red.) erstmals zu diesem Einsatz aus, das folgende ist in Stichworten aufgeführt, es bot sich ein Anblick des Grauens.

    Einsatzort: 900 m nördlich des Bahnhofs Kellmünz, ca. 150 m nördl. des Bahnübergangs zum Kieswerk.

    Einsatzzeit: 13.05 h

    Einsatzobjekt: D-Zug 1013 – 2 Zugwaggons entgleist u. umgestürzt. Es brannte nicht.

    Einsatzziel: Rettung der Verletzten, Mithilfe beim Abtransport durch d. Rote Kreuz, Bergung der Toten u. Absperren der Unglücksstätte.

    Schadenursache: Vermutlich Gleisverdrückung

    Personenschaden: getötet: 5 Privat-Personen, verletzt: 27 Privat-Personen

    Eingesetzt: Feuerwehr Kellmünz mit 22 Fw-Männern

    Sondergeräte: zweiteilige Steckleiter, 5 Fangleinen

    Bericht: An Landesamt München, An Außenstelle Augsburg, An KBI Kolb.

    Einsatz: Menschenrettung

    Einsatzdauer: 2 Stunden 15 min.

    Einsatzende: 15.15 h. 6 Feuerwehrmänner mussten den Friedhof absperren, denn dort mussten die Toten identifiziert werden. Ende 18 h.

    Einsatzleiter: Landpolizei Illertissen, für die Feuerwehr: Kdt. Kramer.

    Der Sohn des Verfassers ist Benedikt Kramer - heute ist er als Kreisbrandinspektor selbst ein erfahrener Feuerwehrmann. Damals war er zehn Jahre alt. Er erinnert sich, dass sein Vater vom Mittagessen weg in den Einsatz ging, während er als Bub nun seiner Mutter bei der Heuernte auf dem "Brenner", einem hochgelegenen Flurstück am Waldrand, wenige hundert Meter nördlich des Kellmünzer Friedhofs, helfen musste. Von dort aus hatte man damals gute Sicht auf die Unglücksstelle im Tal, nördlich des Bahnübergangs am Steinweg, sodass der Zehnjährige das dortige Geschehen aus der Ferne verfolgen konnte.

    Zugunglück von Kellmünz: Es war ein heißer Mai-Tag

    Seine Beobachtungen und die Erzählungen seines Vaters hat Benedikt Kramer heute noch in guter Erinnerung: "Es war ein heißer Tag; um die Mittagszeit waren es 28 Grad Hitze. Weil vermutlich beim Neubau der Gleise zu wenig Platz für die Ausdehnung der Schienen gelassen wurde, hatten sich diese verbogen. Bei der letzten Weiche nördlich des Kellmünzer Bahnhofs, auf Höhe der Illerbrücke, sprangen die letzten beiden Waggons aus den Schienen und wurden mitgeschleift. Etwa auf Höhe des Bahnübergangs Steinweg riss die Kupplung vor dem vorletzten Waggon ab.

    Eisenbahnbrücke über die A7 etwa 500 Meter südlich der AS Altenstadt, der eigentliche Grund für die Gleisverlegung bzw. Bahndamm-Erhöhung bei Kellmünz.
    Eisenbahnbrücke über die A7 etwa 500 Meter südlich der AS Altenstadt, der eigentliche Grund für die Gleisverlegung bzw. Bahndamm-Erhöhung bei Kellmünz. Foto: Wilhelm Schmid

    Beide Waggons stürzten um und fielen auf die Ostseite des Bahnkörpers. Dort stand unglücklicherweise noch der Beton- und Stahlsockel des abgebauten Signals, das an den neuen Bahndamm verlegt worden war. Die auf der Seite liegenden Waggons wurden durch den alten Sockel aufgerissen, was schwere Folgen nach sich zog. Mit unserer Feuerwehr kamen zahlreiche Sanitätskolonnen aus der weiteren Umgebung in den Einsatz, es waren Kräfte bis aus Augsburg da." So weit die Erzählung von Benedikt Kramer.

    Bei dem Unglück kam mit zwei SAR („Search and Rescue – Suchen und Retten“)-Hubschraubern auch Hilfe aus der Luft. Der SAR-Dienst mit den berühmten Bell UH-1D, den wegen ihres markanten Fluggeräusches sogenannten "Teppichklopfern", war von der Bundeswehr erst kurz zuvor neu aufgestellt worden. Damit und mit zahlreichen Sanitätsfahrzeugen, die noch längst nicht über den Standard der heutigen Rettungswagen verfügten, wurden die Verletzten auf Krankenhäuser in der weiten Umgebung verteilt.

    Mit Schneidbrennern aus dem Kieswerk öffnete die Feuerwehr die Waggons

    Die Notfallmedizin war zu dieser Zeit als eigene ärztliche Fachdisziplin erst im Aufbau, es standen bei Weitem nicht die Möglichkeiten zur Verfügung, wie sie heute Standard sind. Auch die Feuerwehr verfügte noch nicht über moderne Rettungsmittel: Hydraulische Geräte wie Rettungs-Schere, -Spreizer oder -Zylinder wurden erst einige Jahre später eingeführt. So blieb den Feuerwehrleuten um Kommandant Kramer nur, vom nahe gelegenen Kieswerk Schneidbrenner zu holen und damit Zugänge zu den Verletzten und Toten freizulegen.

    Dass die Feuerwehrleute nach der äußerst belastenden Rettung der Verletzten und Bergung der Toten auch noch stundenlang den Friedhof bewachen mussten, damit die polizeilichen Maßnahmen zur Identifizierung der Toten ungestört ablaufen konnten, brachte sicherlich weitere psychische Belastungen, über die man damals so gut wie nicht sprach. So bleibt der Einsatz am 18. Mai 1971 als der wohl bisher schwierigste in der Geschichte der Feuerwehr Kellmünz in Erinnerung.

    Das Zugunglück von Kellmünz hat die Menschen im Ort bewegt: Lesen Sie hier, wie Zeitzeugen das Zugunglück von Kellmünz 1971 erlebt haben

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