Erst mit der Zeit haben zwei Familien zu ihrem Frieden gefunden. Nur deswegen dürfen die Ereignisse überhaupt erzählt werden: das Schicksal eines jungen Paares in Jedesheim während der 1940er Jahre. Das Schicksal eines Paars, das kein Paar sein durfte. Durch den Zweiten Weltkrieg haben sich die Jedesheimerin und der französische Kriegsgefangene aus der Region Carnac kennen und lieben gelernt. Wegen des Naziregimes durften sie trotz zwei gemeinsamer Kinder keine Familie werden. Sie wurden auseinandergerissen und gefangen genommen. Dass es verspätet noch zu einer Art Familienzusammenführung kam, ist zwei Frauen zu verdanken: Nicole Camenen (1939 bis 2022) und Annie Kriener (1923 bis 2019), Präsidentinnen der Städtepartnerschaft Illertissen – Carnac.
Die Betroffenen wollten mit ihrem Schicksal, das Einfluss auf ihr weiteres Leben nahm, in Ruhe gelassen werden. Auch mit Rücksicht auf Angehörige in Schwaben und in der Bretagne. Sohn und Tochter des deutsch-französischen Paares, die in Jedesheim aufwuchsen, freuen sich aber nun über eine Veröffentlichung. Sie passt zum Jubiläum der vor 50 Jahren geschlossenen Städtepartnerschaft von Illertissen und Carnac. Denn im gleichen Jahr, 1974, begann der Sohn, nach seinen bretonischen Wurzeln zu suchen.
Liebe im Schatten des Krieges: Jedesheims geheimes Paar
Ihre Namen wollen die Geschwister mit Rücksicht auf die Gefühle der Verwandten trotzdem nicht in diesem Artikel lesen. Zu kompliziert und emotional belastend hatte sich der spätere Lebensweg ihrer Eltern gestaltet. Die beiden sehen sich aber zu ihrem Schritt ermutigt, weil der Vater signalisiert habe: Nach seinem Tod dürften sie im eigenen Ermessen entscheiden, ob die Geschichte bekannt werden soll. Er starb im Jahr 2001 und die Mutter bereits 1999.
Aber auch seitens der eingebundenen Partnerschaftspräsidentinnen gab es den Anstoß. Annie Kriener vertraute kurz vor ihrem Tod unserer Redaktion eine 2007 verfasste kleine Familienchronik an. Sie trägt den vielsagenden Titel „Le Crime d’aimer“. Damit verband sie den Auftrag, zu gegebener Zeit darüber zu berichten. Der Titel lässt sich übersetzen mit „Das Verbrechen der Liebe“ und erinnert die gleichnamige Veröffentlichung des französischen Autors Jean-Paul Picaper von 2005. Darin beschreibt er das Nazideutschland von 1943: Je mehr sich Hitlers Niederlage abzeichnete, desto häufiger waren Spitzeleien und Verrat.
Das unerlaubte Glück eines deutsch-französischen Paares
In Jedesheim wurde 1940 ein bretonischer Kriegsgefangener einem nur von Bäuerin und Tochter betriebenen 15 Hektar großen Hof als Arbeitskraft zugeteilt. Der Hoferbe befand sich in Südfrankreich in Krieg und Gefangenschaft. In Jedesheim war der 27-jährige Bretone geachtet und er freundete sich mit der 22-jährigen Tochter an. 1942 brachte sie einen Sohn zur Welt, aber die Verbindung wurde respektiert, nichts drang nach außen. Dennoch lebte das Paar in ständiger Angst. Sich mit dem Feind einzulassen, war ein Verbrechen. Im Jahr 1943 sollte dann die Tochter zur Welt kommen und die Liaison wurde bekannt. Mann und Frau wurden gefangen genommen. Die schwangere Mutter kam in Auslieferungshaft nach Memmingen, von wo sie der Jedesheimer Bürgermeister mit beispielloser Zivilcourage unerlaubterweise zurück auf den Hof holte. Den jungen Vater erwarteten als Kriegsgefangenen erst 18 Monate Straflager in Hohenfels in der Oberpfalz und danach ein KZ im Osten. Aus dem polnischen Graudenz schickte er nochmals Post nach Jedesheim, dann brach die Verbindung ab.
Es lässt sich denken, dass ein Kontakthalten über diese Distanzen und unsicheren Nachrichtenwege kaum möglich war. Den Misshandlungen der Nazis und ständigem Hunger ausgesetzt, mag dem Franzosen nach der russischen Befreiung Deutschland wohl verleidet gewesen sein. Er meldete sich nie mehr zurück. Aber auch die zweifache Mutter tat sich mit der Arbeit auf dem Hof schwer und musste ihre kleine Tochter zu Pflegeeltern geben. Sie hoffte vergeblich auf die Rückkehr des Vaters ihrer Kinder und heiratete nach langem Zögern im Jahr 1947 ihren Jugendfreund. Die Zahl ihrer Kinder wuchs auf fünf und ihnen allen war sie eine gute Mutter. Im Jahr 1974 trennte sie sich von ihrem Mann, aber erst 1995 schaffte sie die amtliche Scheidung. Den Vater ihrer ersten beiden Kinder habe sie wohl nie vergessen, heißt es in der 2007 verfassten Familienschrift.
Partnerschaft Illertissen–Carnac ist 50 Jahre alt
Auch der Kriegsrückkehrer gründete in der Bretagne eine Familie. Noch 1974, im Trennungsjahr der Mutter vom Stiefvater, machte sich der Sohn auf die Suche nach seinem leiblichen Vater. Er tat es für sich und seine Kinder. Als ob das Schicksal etwas gutzumachen hatte, führte ihn die erhaltene Adresse ins Departement Morbihan in die Nähe von Carnac. Vorsichtshalber unternahm er die Recherchen im Alleingang, nur seine Frau wusste davon. Tagebuchartig hält er in der Chronikschrift fest: „Liebe Menschen, denen wir unendlich viel verdanken, Annie Kriener sowie Jean und Yvonne Touzard aus Carnac, haben den Kontakt zu unserem Vater hergestellt und ein erstes Treffen 1975 ermöglicht.“
Vater und Sohn verstanden sich sofort. Der Bretone hatte sein Deutsch nicht vergessen und entschuldigte sich vielmals für den Verlauf der Dinge. Er zeigte sich erleichtert, dass sein Weg und seine Familie respektiert wurden. Umgekehrt vermittelte ihm der Sohn auch im Sinne seiner Schwester Dankbarkeit. „Wir sind froh, dass es uns gibt, unsere Eltern haben durch uns viel gelitten.“ Es folgten das eine oder andere Treffen mit dem Vater. 1978 nahm der Sohn seine Mutter mit auf Urlaub in die Bretagne, ein Wiedersehen mit dem Vater erwies sich als zu schwierig. Am Ende langer Gespräche habe die Mutter gesagt: „Wenn er noch lebte, ich könnte ihm verzeihen“, überliefert die Mitschrift. Auch für die Schwester hat die Zeit nicht mehr gereicht. Im Jahr 2007 stand sie mit bewegtem Herzen am Grab ihres Vaters.
Dafür zeichne sich ein neues Kapitel in ihrer deutsch-französischen Familiensaga ab, teilt sie glücklich mit. Denn eine ihrer drei französischen Schwestern vereinbarte dank Vermittlung von Nicole Camenen in deren Wohnung ein erstes richtiges Familientreffen. Gespannt reisten die deutschen Geschwister mit Familien an und wurden in Carnac von Schwester, Ehemann, Kindern und Partnern begrüßt. Es war wohl verblüffend, wie gut sich alle verstanden, eine echte Großfamilie. Die Erzählerin fügt an: „Wir leiden nicht unter den Entfernungen, denn wir spüren die Zusammengehörigkeit und haben uns alle fest im Herzen.“
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