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Illertissen: Weil der Putz bröckelt, wird der Kirchturm von St. Martin rundum erneuert

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Weil der Putz bröckelt, wird der Kirchturm von St. Martin rundum erneuert

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    Am Kirchturm der Stadtpfarrkirche St. Martin in Illertissen bröckelt schon länger die Fassade, was nun zu einer größeren Baumaßnahme führt.
    Am Kirchturm der Stadtpfarrkirche St. Martin in Illertissen bröckelt schon länger die Fassade, was nun zu einer größeren Baumaßnahme führt. Foto: Regina Langhans

    Das Stück Bauzaun am mittelalterlichen Turm von St. Martin in Illertissen fällt inzwischen schon fast nicht mehr auf. Es zwingt Vorbeigehende zum Abstandhalten, denn vom Turm bröckelt’s, und niemand soll von den Putzbrocken getroffen werden. Drei oder vier Jahre hat es gebraucht, bis die Diözese mit ihren Untersuchungen in die Gänge gekommen ist. Und nun die gute Nachricht: Nicht der ganze Putz des beachtliche 48,75 Meter hohen Wahrzeichens, das mindestens ins 14. Jahrhundert zurückreicht, muss runter. Im Zuge der Sanierung erhält die Kirche zudem einen neuen Anstrich. Allerdings sind auch Arbeiten im Kirchhof fällig.

    Die Kosten für das gesamte Bauvorhaben werden auf rund eine Million Euro veranschlagt. Der Regelzuschuss von Seiten der Diözese beträgt 60 Prozent, sodass die Pfarrei St. Martin einen voraussichtlichen Eigenanteil von 375.000 Euro zu übernehmen hat. Zuschüsse und Spenden sind also willkommen. Als Hausherr hat sich Pfarrer Andreas Specker mit seinem Team allerlei einfallen, um die Bürgerschaft für die Sanierung zu sensibilisieren. Gleichzeitig wurden Anträge auf Fördergelder gestellt. Specker findet, dass auch bei einer kritischen Einstellung gegenüber der Kirche der Erhalt eines steinernen Zeitzeugen der Illertisser Geschichte Sinn ergibt. „Soll der Turm verfallen, dessen Ursprünge vielleicht 1000 Jahre zurückreichen?“

    Als Hochseilartist wagte sich Karl Stey 1953/54 auch an den äußersten Gerüstrand der Kirchturmkuppel.
    Als Hochseilartist wagte sich Karl Stey 1953/54 auch an den äußersten Gerüstrand der Kirchturmkuppel. Foto: Archiv Kränzle

    Sanierung des Kirchturms von St. Martin beginnt im Frühjahr

    Im Frühjahr kann es losgehen und voraussichtlich noch 2025 soll das Bauvorhaben beendet sein. Sobald der Frost vorbei ist, wird der Turm eingerüstet. Auch die Zifferblätter der Turmuhr haben in jüngster Zeit auffallend an Glanz verloren und werden durch neue ersetzt. Für die ausrangierten will sich der Illertisser Metallkünstler Ivo Rembold etwas einfallen lassen, verrät Specker. Sodann bekommt der Turm eine Art Dachrinne und die historischen Wasserspeier haben nur noch eine Überlauffunktion, um das Turmumfeld vor zu viel Nässe zu bewahren. Denn auch der Kirchhof wird zur Baustelle, weil das Kanalsystem überlastet ist und einer Erneuerung bedarf. Die entstehenden Unebenheiten in der Pflasterung rührten von der Feuchtigkeit im Untergrund, sagt Specker. Auch im Untergeschoss der Kirche gebe es immer mal wieder Probleme mit eindringendem Wasser, ergänzt Verwaltungsleiterin Johanna Roth, die sich um die Finanzen kümmert. Nun gelte es, für die sommerlichen Veranstaltungen im Brunnenhof kreative Alternativen finden. Beispielsweise könne das Pfarrfest wie früher unter den Kastanien abgehalten werden, ist eine Idee des Pfarrers.

    Letztmals haben Turm und Kirche im Zuge des Pfarrheimbaus 1982/83 eine neue Fassade erhalten. Zuvor gab es anlässlich der 1000-Jahrfeier Illertissens im Jahr 1954 für den Kirchturm einen neuen Anstrich. Spektakuläre Bilder von dem bis an die Spitze mit Holzlatten und Leitern eingerüsteten Turm vermitteln eine Vorstellung, welche Ausmaße ein solches Unterfangen früher hatte. Gefragt war neben den Handwerkskünsten auch Schwindelfreiheit. Unter anderem zählte da Karl Stey, Hochseilakrobat aus der Illertisser Artistenfamilie Stey/Mayer, zu den gefragtesten Arbeitern. Zwar nicht vom Fach, aber garantiert ohne Höhenangst, war eine seiner Aufgaben das häufige Hinauftragen von Material. Davon erzählte er später immer wieder gerne: Bei der Suche nach Winterarbeit habe ihn das Arbeitsamt nach seinem Beruf gefragt, denn für das Jobangebot war Schwindelfreiheit gefordert. Da konnte Stey mit seiner Kunst punkten und musste lachen, denn die vielen Leitern machten ihm keine Angst.

    Für die Kirchturmsanierung 1953/54 führte eine der Leitern fast senkrecht nach oben.
    Für die Kirchturmsanierung 1953/54 führte eine der Leitern fast senkrecht nach oben. Foto: Archiv Kränzle

    Illertisser Pfarrei muss Teil der Kosten tragen

    Der mächtige Turm vermag immer noch zu beeindrucken, und Specker sagt: „Von unten macht man sich schwerlich einen Begriff von der schieren Menge an Mauerfläche, die es zu verputzen und erst recht zu streichen gilt.“ Über die erste Steinkirche und Vorläuferin des heutigen Baus kann nur spekuliert werden. Aufgrund der Wahl des heiligen Martin von Tours als Kirchenpatron gilt Illertissen als Urpfarrei im frühen Mittelalter. Eine erste Holzkirche ist in der Zeit von 750 bis 800 anzunehmen. Der Illertisser Chronist Anton Kanz hält es für wahrscheinlich, dass die beiden unteren hohen Stockwerke des Turms mit ihren zwei Meter dicken Mauern dem frühen Illertissen als Schutz- oder Rückzugsort gedient haben. Im Mittelalter seien Kirchen und Kirchhöfe vielfach befestigt gewesen, schreibt Kanz. So werden die drei unteren quadratischen Turmgeschosse auf das späte 14. Jahrhundert datiert und die oberen ins frühe 16. Jahrhundert. Das Erdgeschoss war bis um 1900 noch mit einem prächtigen gotischen Gewölbe ausgestattet ohne das heute ausgebaute Nordportal.

    Wer anno dazumal hinein wollte, erhielt über eine Leiter Zutritt, die nötigenfalls nach innen gezogen wurde. Ganz oben dann das Glockengeschoss, wobei die alte Turmspitze um 1590 durch das achteckige Turmoberteil ersetzt wurde. Es enthält zwei abgeschlossene Geschosse, wobei am unteren in allen vier Himmelsrichtungen Zifferblätter der Turmuhr angebracht sind. Zuoberst befindet sich eine achtseitige blechgedeckte Schweifhaube, die in der Spitze mit einer Kugel und Wetterhahn ausläuft. Von dem alten Geläut hat lediglich die 1524 von Erhard Vöhlin gestiftete, rund zwei Tonnen schwere Hosanna- oder Martinsglocke die Weltkriege überstanden. Mit dem schlanken Oktogon samt Schweifhaube brachten die Vöhlinschen Bauherren eine Neuheit in die Region, die in der Umgebung bald ihre Nachahmer fand, heißt es in der Chronik.

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