Startseite
Icon Pfeil nach unten
Illertissen
Icon Pfeil nach unten

Illertissen: Kino wie vor 100 Jahren: Wolfram Seitz vertont Stummfilm auf der Orgel

Illertissen

Kino wie vor 100 Jahren: Wolfram Seitz vertont Stummfilm auf der Orgel

    • |
    • |
    • |
    Mit Leinwand und musikalischer Begleitung auf der Orgel verwandelte sich die Illertisser Stadtpfarrkirche in ein Stummfilmkino.
    Mit Leinwand und musikalischer Begleitung auf der Orgel verwandelte sich die Illertisser Stadtpfarrkirche in ein Stummfilmkino. Foto: Regina Langhans 

    Zurücklehnen im Dämmerlicht: Den Altarraum der Illertisser Stadtpfarrkirche St. Martin dominiert eine große Leinwand. Mit dem Titel „Der Galiläer“, 1921 entstanden unter der Regie von Dimitri Buchowetzki, kündigt sich einer der großen deutschen Passionsfilme aus der Stummfilmzeit des beginnenden 20. Jahrhunderts an. Dann setzt mit tiefen, Aufmerksamkeit heischenden Akkorden die Orgel ein.

    Stummfilmkino in der Kirche St. Martin in Illertissen

    Der Film wurde in den 1990er-Jahren wiederentdeckt und in minutiöser Kleinarbeit rekonstruiert. Seitdem gilt er als Kleinod für Fans von früher inszenatorischer Filmkunst. Freundeskreisvorsitzender Hans Scherrer sprach die einführenden Worte. Und er trug selbst zur Atmosphäre bei, indem er aus seiner frühen Orchesterzeit von Streichern wusste, die Stummfilme in den damaligen Illertisser Kinos noch auf ihren Instrumenten begleiteten. Nun lag es an Wolfram Seitz, mit musikalischer Kreativität und improvisatorischem Können an diese Tradition anzuknüpfen.

    In dem Zelluloid-Streifen „Der Galiläer“ werden Leben und Leidensweg von Jesus in Jerusalem in fünf Akten dargestellt, aufgelockert mit Untertiteln und kurzen Begleittexten. Eine Dramaturgie also ähnlich der Oper, wofür Seitz sich szenische Eckpunkte setzte. Sodann arbeitete er mit Leitmotiven für Situationen und Personen oder bediente sich geschickt diverser musikalischer Stilmittel. So gab es anfangs hymnische Weisen, um etwa den Einzug in die Stadt Jerusalem zu untermalen. Allmählich verfiel Seitz in drängenderes Spiel mit Stakkato-Effekten, kurzatmigen Wiederholungen oder schnellen Läufen, um hoffnungsfrohe Textpassagen wie „Er kommt, er kommt, der Galiläer kommt“ zu untermalen oder die Aufregung der Hohepriester zu signalisieren: „Gefahr, Gefahr für das Gesetz.“

    Wie einst in den großen Häusern auf sogenannten Kinoorgeln dramatische Szenen mit Evergreens begleitet wurden, ließ Seitz Motive aus bekannten Kirchenliedern anklingen: etwa „Maria zu Lieben“ oder „Beim Letzten Abendmahle“. Für besonders dramatische Momente band der Interpret Töne des Carillons in sein Orgelspiel ein. Sie wirkten wie beunruhigende Weckrufe, so in der Vorahnung an den untreuen Judas, der Jesus gegen Geld verriet.

    Wolfram Seitz liefert musikalische Gestaltung für den Passionsfilm „Der Galiläer“

    Den Glockenschlägen standen die das-Gute-verkündende Zymbal-Klänge der Orgel gegenüber. Teils sorgten am Pedal schnelle, dicht aufeinanderfolgende chromatische Passagen für entsprechende Untermalung. Die im Film vermittelte Unruhe vor dem heraufziehenden Unheil – angefangen bei der Gefangennahme im Garten Gethsemane bis zur Kreuzigung von Jesus Christus – übertrug der Künstler auf das Pfeifeninstrument durch eine zunehmend dichtere Spielweise.

    Wolfram Seitz zeigt sein musikalisches Können an der Jann-Orgel.
    Wolfram Seitz zeigt sein musikalisches Können an der Jann-Orgel. Foto: Regina Langhans 

    Gegenläufige Harmonien, indem Seitz tonale und atonale Passagen geschickt verknüpfte, symbolisierten die unter den versammelten Juden vorherrschende Hin- und Hergerissenheit sowie Jesu Todeskampf am Kreuz. Eine effektvoll eingebaute Stille vermittelte das Innehalten angesichts der überwältigenden Ereignisse, ein Gefühl von stehen gebliebener Zeit, bevor der Organist mit triumphalen Harmonien auf den Sieg über den Tod verwies.

    Mit seinen Improvisationen für die szenische Vertonung des Passionsfilms „Der Galiläer“ hat Wolfram Seitz seine künstlerische Wandlungsfähigkeit zwischen dem Kirchenmusiker und dem Komponisten bewiesen und dabei seinen eigenen Stil vorgeführt. Dafür erntete er am Schluss kräftigen Applaus. Beeindruckt sagte eine Zuhörerin anschließend: „Es war rundum spannend, ich habe bei der Vorführung nichts vermisst.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden