An der eigenen Stadt neue Seiten entdecken oder mehr über ihre Entwicklung erfahren: All das ist geboten bei den Illertissen-Führungen durch Fachkundige des Heimatpflegevereins Illertissen und Umgebung. Davon machten kürzlich ein Dutzend Interessierte aus Au anlässlich ihres Treffens der Jahrgänge 1973/74 Gebrauch. Sie fanden sich am Illertisser Rathaus ein, wo Marita Kaiser schon bereitstand. Die frühere Bürgermeisterin hat sich dem Team von Therese Brock und Telesphorus Lindinger als Urgesteine der Stadtführungen angeschlossen. Die Rundgänge erfolgen nach einheitlichem Konzept.
Dass Führungen durch den eigenen Heimatort tatsächlich spannend sein können und Erinnerungen wecken, war zu beobachten, sobald die alten Zeiten zur Sprache kamen. Der Rundgang begann am Rathaus, von dem die frühere Bürgermeisterin Kaiser eine Aufnahme des Vorgängergebäudes zeigte und den Zweck des 1891 erbauten repräsentativen Neubaus erklärte: „Illertissen war damals viel kleiner, sodass ein solch großes Haus mehrere Aufgaben zu erfüllen hatte.“ Im Erdgeschoss befand sich die Feuerwehr, in den Obergeschossen die Knabenschule sowie das Bürgermeisteramt. Die Mädchenschule stand am Platz des heutigen Kaufhauses Rimmele.
Vom Rathaus zur alten Schranne: Einblick in Illertissens Vergangenheit
Die hinter dem Rathaus liegende Schranne war Anlass, in die Zeit vor der Vöhlinherrschaft (1520 bis 1757) zurückzugehen. An diesem Ort lieferten Bauern schon sehr früh ihren Zehnt ab. Gleich in der Nähe steht der zum Bürgerhaus umgebaute alte Adler von 1740 und gegenüber der Gasthof Krone aus dem 17. Jahrhundert. Das Team führte gedanklich an zwei weitere einstige Gaststätten, den Löwen an der Memminger Straße und den Hirsch an der Hirschkreuzung. Sie alle stellten Zunftherbergen für die unterschiedlichen Handwerkerschaften dar. Eine weitere Station war das Schloss-Bräuhaus mit seinem historischem Biergarten. Die durch Handel reich gewordene Patrizierfamilie Vöhlin ließ es 1686 direkt am Fuß des Burgbergs bauen. Von dort öffnet sich der Blick sowohl zum Schloss als auch Richtung Marktplatz.
Auf dem Weg dahin informierte die Stadtführerin, dass noch vor den Vöhlin im Jahr 1430 Kaiser Sigismund dem Dorf Tissen Marktrecht und hohe Gerichtsbarkeit verlieh. Und weiter, wie er nach dem Schlossverkauf an den bayerischen Kurfürsten Max Josef III. Stück für Stück „sein Schloss“ für die Bürgerschaft „zurückholte“. Schritte waren die Wiederherstellung des Barocksaals im französischen Anbau, in dem der Illertisser Maler Albert Vogt Reste der Stuckdecke entdeckte, oder der Einzug des Heimat- und Bienenmuseums ins Vordere Schloss. Beim Stichwort Biene, inzwischen Markenzeichen der Stadt, stellte sich heraus, dass Florian Forster, ein Sohn des Stifters der „Sammlung Forster“, unter den Teilnehmern war. Seine Familie sei immer wieder oben im Schloss beschäftigt, sagte er. Doch er selbst genieße jetzt die Stadtführung mit den vielen historischen Bezugspunkten. Angesichts des modernen Marktplatzes wussten etliche noch von den einstigen Gräben als Einfassung. Andere berichteten, wie sie als Kinder etwa für Einkäufe oder Arztbesuche von Au nach Illertissen mitgenommen wurden.
Die Vöhlin-Dynastie und ihre Auswirkungen auf Illertissen
Bevor der historische Rundgang mit der Martinskirche und dem 1509 ebenfalls vor den Vöhlin errichtetem Benefiziatenhaus endete, vollzog Marita Kaiser noch den Schwenk in die jüngere Geschichte: Sie erzählte von der frühen Industrialisierung mit der Eröffnung des Bahnhofs 1862, als im Zweiten Weltkrieg die Hauptstraße noch Adolf-Hitler-Straße hieß und von den Vertriebenen nach 1945. Kaiser führt an, dass die heutige Identität Illertissens auf der Mischung aus Landwirtschaft, Industrie und Zuzug beruht – die Eingemeindung der Ortsteile Au, Betlinshausen, Jedesheim und Tiefenbach nicht zu vergessen. Dem Publikum ist bei der „Geschichtsstunde“ jedenfalls nicht langweilig geworden, wie hinterher zu hören war.
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