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Illertissen: Eine 20-jährige Erfolgsgeschichte, aber kein Ruhmesblatt für die Gesellschaft 

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Eine 20-jährige Erfolgsgeschichte, aber kein Ruhmesblatt für die Gesellschaft 

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    Sie stoßen auf 20 Jahre Illertisser Tafel an (von links): Bürgermeister Jürgen Eisen, Vorsitzende Ulrike Tiefenbach sowie die Pfarrer Daniel Städtler und Andreas Specker.
    Sie stoßen auf 20 Jahre Illertisser Tafel an (von links): Bürgermeister Jürgen Eisen, Vorsitzende Ulrike Tiefenbach sowie die Pfarrer Daniel Städtler und Andreas Specker. Foto: Regina Langhans

    Die Illertisser Tafel ist aus dem Stadtleben und der Region nicht mehr wegzudenken. Schon rein optisch wegen ihres zentralen Standortes gegenüber dem Rathaus. Tatsächlich geht es aber nicht um hübsche Symbole, sondern um Würde und Menschlichkeit. All dies ist in Illertissen hauptsächlich drei ehrenamtlich engagierten Menschen zu verdanken: Flemming Regaard als Initiator, Lydia Schnabl als erste Vorsitzende und Ulrike Tiefenbach als ihre Nachfolgerin, die inzwischen das Gesicht der Illertisser Tafel ist. 

    In einer Feierstunde, zunächst mit ihren Tafelkunden und später mit geladenen Gästen, Sponsoren, Freunden und Helfern wurde der nunmehr 20 Jahre bestehende Wohltätigkeitsverein verschiedentlich gewürdigt. Ulrike Tiefenbach ließ ihre Geschichte Revue passieren, welche zehn Jahre nach der ersten Tafel Deutschlands – initiiert von Frauen um Sabine Werth in Berlin – in Illertissen begann. Sollte sie dort ursprünglich Obdachlose unterstützen, kam bald der Aspekt der Lebensmittelverschwendung hinzu: überzählige, aber intakte Nahrungsmittel nicht wegwerfen zu müssen.

    Am 21. April 2004 öffnete die Illertisser Tafel erstmals in den Räumen des Caritas Centrums an der Beethoven-Straße. Es kamen 22 Kundinnen und Kunden, eine Woche später waren es 40 und ein Jahr später wurden 65 Ausweise ausgestellt. Mit dem Umzug ins städtische Adler-Nebengebäude 2006 gab es die Möglichkeit, eine Kühlzelle aufzustellen, finanziert von unserem Leserhilfswerk Kartei der Not. Lydia Schnabl habe auch den Traum gehabt, eine Kleiderkammer einzurichten, berichtet Ulrike Tiefenbach. Realität wurde dieser 2009 dank des günstig zu mietenden alten Arbeitsamtes an der Bahnhofstraße. Dann setzte ein Rohrbruch die

    Der Umzug in die Josef-Lumper-Straße als vorübergehende Bleibe seitens der Stadt wurde einfacher, indem 2013 auf Vermittlung von Josef Schnabl ein ganzer Lastwagen voll Kleidung in das vom Donauhochwasser geplagte ungarische Vác fuhr. 2015 bescherte die vielen ankommenden Geflüchteten der Tafel einen Riesenansturm. 2016 gab es Alarm aus der Kleiderkammer: Der Platz reichte nicht mehr und das Helferteam war zu klein. Nach einem Bericht unserer Redaktion gab es Zuwachs um 20 Personen, und mit dem Umzug der Kleiderkammer in ihr heutiges, ebenfalls günstig angemietetes Domizil an der Memminger Straße war auch die Raumnot behoben. 

    20 Jahre Illertisser Tafel: Zwei Bedürftige erzählen

    Es folgte 2020 die Coronapandemie, weshalb die Kleiderkammer schließen und die Tafelausgabe sich neu organisieren musste. Personelle Unterstützung gab es von Studierenden und Menschen in Kurzarbeit, die ihre Zeit sinnvoll nützen wollten. Sodann 2022 das überraschende Angebot der Spedition Dachser über freie Kapazitäten, weshalb Tiefenbach einen Aufruf zu Kleiderspenden startete, um den Lastwagen für eine Fahrt nach Rumänien voll zu bekommen. Die nächste, bis jetzt anhaltende Herausforderung ist der Ukrainekrieg. Alles werde teurer und die Lebensmittelläden hätten weniger übrig, schildert Tiefenbach. Dafür benötigten immer mehr Menschen die Unterstützung der Tafel. Waren es zuvor etwa 150 Ausweise, stieg die Zahl der Berechtigungen auf fast 500 und Tiefenbach führte gezwungenermaßen einen zeitweiligen Aufnahmestopp ein. "Deutschlands Tafeln stecken in der Krise", urteilt die Vorsitzende des Illertisser Vereins. Dennoch blickt sie positiv in die Zukunft, weil ihr um die nötige Unterstützung nicht bange ist: "Anfangs engagierten sich 23 Ehrenamtliche und inzwischen sind es 75 aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Herkunftsländern, alle hilfsbereit und teamfähig."

    Unter den Feiernden waren zwei Tafelkunden, die ein bisschen von sich erzählten. Ihre Schicksale ähneln sich, sie sind gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe und werden schwerlich wieder Arbeit finden, so sehr sie es wollten: Seit 31 Jahren lebt der ehemalige Lokführer aus Kasachstan in Deutschland und hat noch einen minderjährigen Sohn. Dem Dreischichtbetrieb seiner Firma war er nicht mehr gewachsen, nun ist er dankbar, bei der Tafel "zukaufen" zu können, wie er es nennt. Zumeist bestreitet er so seinen Wochenbedarf. Oder der gelernte Maschinenschlosser aus Unterroth, der nach Illertissen radelt, wenn er bei der Tafel einkaufen möchte. Je nach Witterung ist der Weg beschwerlich, wenn es vollgepackt wieder zurückgeht. Infolge eines schweren Unfalls musste er sein Haus verkaufen, wurde Hartz-IV-Empfänger. Nun ist er froh, seinen Alltag noch so bewältigen zu können. Auf der Helferseite hingegen steht Reinhold Blum, ebenfalls aus

    Stadtrat Illertissen will über künftige Räume der Tafel sprechen

    Anerkennende Worte gab es von Bürgermeister Jürgen Eisen, der auch künftig eine gute Unterbringung der Tafel zusicherte, sollte das Adler-Nebengebäude der Sanierung des Rathausumfelds zum Opfer fallen. Demnächst werde dies Thema im Stadtrat. Und weil es sich "um den sozialen Bereich" handele, meldeten sich auch die Geistlichen zu Wort. Der evangelische Pfarrer Daniel Städtler freute sich, dass Bedürftige "nicht weggeschoben", sondern bei der Illertisser Tafel Platz finden würden. Sein katholischer Kollege Andreas Specker hob deren Leistung hervor, nannte es aber auch "einen Skandal", dass Tafeln gebraucht würden.

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