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Fellheim: Schicksal einer Memminger Jüdin: Eingewiesen, entmündigt, zwangssterilisiert

Fellheim

Schicksal einer Memminger Jüdin: Eingewiesen, entmündigt, zwangssterilisiert

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    Das Schicksal der Memminger Jüdin Anna M. - das Bild zeigt sie bei ihrer Arbeit als Sekretärin - beleuchtete Autor Robert Domes bei einer Veranstaltung in der Ehemaligen Synagoge Fellheim.
    Das Schicksal der Memminger Jüdin Anna M. - das Bild zeigt sie bei ihrer Arbeit als Sekretärin - beleuchtete Autor Robert Domes bei einer Veranstaltung in der Ehemaligen Synagoge Fellheim. Foto: Horst Hacker (Repro)

    Am 85. Jahrestag der NS-November-Pogrome von 1938 war der Autor Robert Domes erstmals in der Ehemaligen Synagoge in Fellheim zu Gast. Allerdings war der diesjährige Kaufbeurer Kunst- und Kulturpreisträger nicht für eine Lesung aus einem seiner Bücher („Nebel im August“, „Waggon vierter Klasse“) gekommen - vielmehr ging es ihm um eine „Präsentation aus der Forschung“. So teilte er mit dem Publikum die Ergebnisse seiner Recherchen zum Schicksal der damals jungen Memminger Jüdin Anna M. Im Zuge des Euthanasie-Programms der Nazis war sie zwangssterilisiert worden.

    Schon zu Beginn ihres Lebens hatte Anna M. zu kämpfen

    Grundlage des Vortrags war Annas 1935 geschriebener Lebenslauf. 1903 in Ungerhausen als zweite Tochter eines Postbotenehepaars geboren, sei sie ein „sehr schwer erziehbares Kind gewesen“. Weil sie an der „englischen Krankheit“ (Rachitis) litt, stand zu befürchten, dass sie schon in jungen Jahren sterben müsse. Dank der aufopfernden elterlichen Pflege gelang es aber, Anna trotz der Kinderkrankheit zu retten.

    Als Anna elf Jahre alt war - die Familie war inzwischen nach Memmingen gezogen - brach der Erste Weltkrieg aus. An Hunger leidend, durfte das Mädchen seine Mutter auf Bettelgängen zum Hamstern begleiten. Aus dem Jugendtraum, Lehrerin zu werden, wurde nichts, weil Anna amtsärztlich dafür als untauglich befunden wurde. Stattdessen trat sie eine Lehrstelle bei der Memminger Tuchgroßhandlung Julius Heilbronner (Ottobeurer Gasse 5) an - und anschließend 1920 eine kaufmännische Lehre. Ihr Chef unterstützte sie stets wohlwollend. Eine stabile Gesundheit war der Memmingerin jedoch nicht vergönnt, aus politischem Grund erlitt Anna auch einen Nervenzusammenbruch.

    Kolonnen eines braunen Mobs marschierten johlend durch die Stadt, Hass- und Schmählieder grölend. Davon schreckte sie gegen Mitternacht aus dem Schlaf. Ihr Versuch, sich telefonisch in der Reichskanzlei bei Hitler zu beschweren, wurde vermutlich vom Vater unterbunden. Im Memminger Bezirkskrankenhaus attestierte Dr. Spiegel, dass „Frln M. in einem Wahn lebt, anscheinend an einem ersten Schub von Jugendirresein (Schizophrenie) erkrankt und anstaltspflegebedürftig“ sei.

    Memminger Jüdin wurde in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren eingewiesen

    Daraufhin wurde Anna im Juli 1935 in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren eingewiesen und - inzwischen 32-jährig - vom Amtsgericht Memmingen entmündigt. Mit dem Stempel „Schizophrenie“ fiel die junge Frau unter das Gesetz vom 14. Juli 1934 „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Dort heißt es: „Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht werden.“ Ohne Annas Wissen geschweige denn ihr Einverständnis nahm ein unheilvolles Verfahren seinen Lauf. In unsäglicher Doppelrolle als Antragsteller und Richter am Erbgesundheitsgericht Kempten war Chefarzt Dr. Valentin Faltlhauser aktiv geworden. Anna M. fiel aus allen Wolken, als ihr ein Merkblatt „über das Wesen und die Folgen der Unfrucht-barmachung“ ausgehändigt wurde. Am 5. Oktober 1935 wurde der Eingriff im städtischen Krankenhaus

    Eindrucksvoll klangen am Ende des Abends Robert Domes’ Schlussworte nach: „Annas Wertekompass zeigte stets auf (...) tiefe Mitmenschlichkeit. Lassen Sie uns ihren Wertekompass zum Vorbild nehmen!“

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