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Altenstadt: Trauern in Pandemie-Zeiten: „Den Abschied kann man nicht nachholen“

Altenstadt

Trauern in Pandemie-Zeiten: „Den Abschied kann man nicht nachholen“

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    Das gemeinsame Abschiednehmen ist ein wichtiger Schritt in der Trauerarbeit. Während der durch Corona bedingten Einschränkungen war das nicht immer möglich.
    Das gemeinsame Abschiednehmen ist ein wichtiger Schritt in der Trauerarbeit. Während der durch Corona bedingten Einschränkungen war das nicht immer möglich. Foto: Anna Katharina Schmid

    Keine Umarmungen, kein Händedruck, keine Nähe. Trauern geht derzeit nur auf Abstand. Mittlerweile sind Beerdigungen mit Gottesdiensten möglich, es gibt noch Einschränkungen. Der 33-jährige Pfarrer Thomas Kleinle, der für Altenstadt, Osterberg, Kellmünz, Untereichen und Herrenstetten zuständig ist, hat in den vergangenen Wochen viele Beisetzungen begleitet.

    Herr Kleinle, vor allem auf dem Land kommen zur Beerdigung viele Menschen zusammen. Warum ist das gemeinsame Trauern nach dem Verlust eines lieben Menschen so wichtig für uns?

    Thomas Kleinle: In ihrer Trauer erleben nahe Angehörige Momente der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Sie finden keine Worte, um ihren Schmerz auszudrücken. Es unterstützt sie, wenn ein Außenstehender wie ich das Reden übernimmt und Trost spendet. Dazu gibt es Rituale, die eine Stütze sind. Das gemeinsame Beten, Weihwasser auf den Sarg geben – also aktiv etwas tun.

    Wie laufen Beerdigungen im Moment ab? Gibt es noch Einschränkungen?

    Kleinle: Auf dem Friedhof dürfen maximal 200 Leute mit Mindestabstand. Weil die Friedhöfe in der Verwaltungsgemeinschaft Altenstadt so klein ist, sind dort zum Beispiel aber nur 20 möglich. Gegenstände dürfen nach wie vor nicht von mehreren Menschen angefasst werden. Wir schlagen Angehörigen vor, selbst Blumen mitzubringen, mit denen Weihwasser auf den Sarg gegeben werden kann. Viele finden das sogar schöner.

    Lange waren die Beerdigungen nur im kleinsten Kreis möglich. Wie reagieren die Angehörigen auf die Einschränkungen?

    Kleinle: Sehr verständnisvoll. Sie leiden sehr darunter, das ist nachvollziehbar. Aber nie haben sie geschimpft oder mit mir diskutiert. Auch in der extremen Zeit, als nur 15 Menschen auf dem Friedhof kommen durften und kein Gottesdienst möglich war.

    „Die Spannung zwischen dem Festhalten und Loslassen“

    Kein Gottesdienst, kleiner Kreis, kein Chor. Das sind andere Beerdigungen, als wir kennen. Wie haben Sie als Pfarrer darauf reagiert?

    Kleinle: Es war sehr schwierig für mich. Alle Gespräche mit Angehörigen fanden telefonisch oder über E-Mail statt. Das Pragmatische stand dabei im Vordergrund, nicht die persönlichen Empfindungen. Auch die Predigten waren nicht einfach. Bei den engsten Familienangehörigen muss ich nicht über die Biografie des Verstorbenen reden. Ich habe erwartet, dass viele Trauernde dann gar keine Predigt hören wollen, aber das war nie der Fall. Alle Hinterbliebenen hatten den Wunsch, dass ich über das Leben des Verstorbenen und tröstende Worte aus dem Glauben spreche. Das war schön für mich zu sehen.

    Worüber sprechen Sie in diesen Predigten?

    Kleinle: Das grundsätzliche Thema darin ist, dass das Leben nach dem Tod nicht aufhört. Es geht um die Spannung zwischen dem Festhalten und Loslassen eines geliebten Menschen. Ich will verdeutlichen, dass er nicht fallen gelassen, sondern in Gottes Hände übergeben wird. Im Trauergespräch frage ich nach Hobbys, Leidenschaften und Charakterzügen des Verstorbenen, und versuche, schöne Erinnerungen von Angehörigen mit Bibelstellen zu verbinden.

    Wie bereiten Sie sich auf Beerdigungen vor?

    Kleinle: Ich mache mich bekannt mit der verstorbenen Person und bitte, vor allem bei schwierigen Beerdigungen, im Gebet um Hilfe für die richtigen Worte. Es ist meine Aufgabe, als neutrale Person zu stützen und halt zu geben. Entscheidend ist für mich die Nachbereitung. Da sortiere ich beim Abendgebet oder Spaziergang die erlebten Gefühle und Situationen. In meiner Heimat habe ich einmal enge Angehörige selbst beerdigt. Da musste ich mich beherrschen, um Worte zu finden und durch den Abschied zu begleiten. Aber als ich danach in der Sakristei alleine war und das Messgewand abgenommen habe, konnte ich die Trauer zulassen.

    Thomas Kleinle
    Thomas Kleinle Foto: Anna Katharina Schmid

    „Angehörige wollen ihren verlorenen Menschen einen würdevollen Abschied bereiten“

    Wenn die Beerdigung nicht so stattfinden konnte, wie man es gebraucht hätte - kann man das Trauern nachholen?

    Kleinle: Wir bieten den Angehörigen an, den Gottesdienst nachzuholen, wenn er nicht stattfinden konnte. Aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass viele das möchten. Die Trauer noch einmal neu aufmachen – ich weiß es nicht. Den Abschied bei einer Beerdigung kann man nicht nachholen.

    Was raten Sie Menschen, die mitten im Trauerprozess stehen?

    Kleinle: Vielen hilft, darüber zu reden. Dabei kann man die Gedanken klarer fassen und ordnen, sodass sie nicht nur im Kopf herumschwirren. Aber mein umfassendster Ratschlag ist: ehrlich zu sich zu sein. Viele verbiegen sich, um für Angehörige stark zu bleiben. Also: Auf sich schauen, merken, was man braucht, um sich zu verabschieden, und was guttut. Bei manchen ist das Ablenkung, bei anderen ein bewusstes Trauern. Was sehr hilft, sind Kerzen. Ich finde, so kann man seinem Denken im Äußeren einen Ausdruck verleihen.

    Hat sich Ihr Blick auf Beerdigungen während der Corona-Zeit verändert?

    Kleinle: Ich habe mehr als je zuvor gemerkt, wie sehr die Angehörigen ihren verlorenen Menschen einen würdevollen Abschied bereiten wollen. Es ist ihnen wichtig, ihre Dankbarkeit für alles Erlebte auszudrücken. Sie wollen die gemeinsame Zeit nicht einfach enden lassen, sondern bewusst einen Punkt setzen und den Verstorbenen in Würde verabschieden.

    Interview: Anna Katharina Schmid

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